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Ich schwieg. Draußen tropfte das Tauwasser vom Dach.»Kannst du nicht..«, sagte ich dann leise,»kannst du nicht das, was ich in Gefahr getan habe, auch tun? Amerika ist groß, und die Melde pflicht existiert nicht. Außerdem sind die Staaten sehr selbständig und haben eigene Gesetze. Dies ist kein Vorschlag, ich rede nur so vor mich hin.«

«Ich will nicht gejagt und gesucht werden. Nein, Robert, ich muß es mit dem Glück versuchen. Damit, daß die Leute mir helfen, die mich zunächst einmal herausgebracht haben. Vergessen wir alles andere. «Er lächelte krampfhaft.»Trinken wir unseren Wodka und hoffen wir auf einen Herzinfarkt, solange wir noch frei sind.«

Die Tochter Vriesländers verlobte sich im März mit einem Ame rikaner. Sie heiratete im April. Vriesländer beschloß, zwei Emp fänge zu geben — einen als Amerikaner, den ändern als ehemali ger Emigrant. Er war zwar fest entschlossen, täglich mehr Ame rikaner zu werden, und er betrachtete die Heirat seiner Tochter mit einem echten, geborenen Amerikaner als einen bedeutenden Schritt weiter in dieser Richtung, aber er wollte uns Staaten losen gleichzeitig zeigen, daß er seine Herkunft zwar ver schweigen, aber nicht verleugnen wollte. Aus diesem Grunde gab es eine echte Hochzeitsfeier mit den Angehörigen des Mannes, Original-Mayflower-Leuten, und einigen ausgewählten Emi granten, die entweder schon eingebürgert oder Professoren waren, und eine spätere für die einfachen Staatenlosen und das ärmere Volk. Ich hatte keine Lust, dort hineinzugehen, aber Natascha, die blind vor Gier wurde, wenn sie an das Szegediner Gulasch der Köchin Vriesländers dachte, hatte darauf bestanden, weil sie glaubte, ich würde wieder einen Topf voll nach Hause bringen.

Es war, wie Vriesländer es ausdrückte, eine Art Abschiedsabend und ein neuer Anfang.»Die Wanderung durch die Wüste nähert sich dem Ende«, erklärte er.

«Wo ist das Gelobte Land?«fragte Kahn ironisch.

«Hier!«erwiderte Vriesländer erstaunt,»wo sonst?«

«Dann ist das hier eine Siegesfeier, wie?«

«Juden feiern keine Siege, Herr Kahn. Juden feiern, daß sie durchgekommen sind«, erklärte Vriesländer.

«Kommt das junge Paar heute auch?«fragte ich Frau Vrieslän der.

«Nein. Es ist gleich nach der Hochzeit nach Florida gefahren.«»Nach Miami?«

«Nach Palm Beach. Miami ist nicht so fein.«

Ich erinnerte mich an den Schwiegersohn; er war Bankier, seine Vorfahren waren vor Jahrhunderten aus England herüberge kommen mit der >Mayflower<, dem sagenumwobenen kleinen Schiff, der Arche Noah der amerikanischen Aristokratie, die etwa zehnmal so groß wie die >Queen Mary< gewesen sein mußte, wenn sie all die Sträflinge und Piraten beherbergt haben soll, deren Urenkel später behaupteten, ihre Ahnen seien mit ihr an gekommen.

Ich sah mich um. Gleich zu Anfang hatte ich gefühlt, daß die Stimmung anders war als sonst. Vriesländer veranstaltete seinen Abend für Flüchtlinge alle paar Monate. Anfangs hatte er es ge tan, um dem versprengten Haufen so etwas wie einen Mittel punkt zu geben. Es hatte sich gezeigt, daß die Assimilierung mit Amerikanern den normalen Verlauf nahm, wie bei allen Minori täten — sie fand erst in der zweiten Generation statt. Die erste hockte unter sich, die zweite schwärmte dann aus. Gründe waren die mangelhafte Beherrschung der Sprache, überlieferte Gewohn heiten und die Schwierigkeit, sich im vorgerückten Alter noch an zupassen. Die Kinder, die in amerikanische Schulen gingen, glit ten ohne viele Reibungen in die Gewohnheiten des Landes hin ein. Die Eltern nicht. Daher kam — bei aller Dankbarkeit für die Aufnahme — das leise Gefühl, in einem angenehmen Gefängnis ohne Mauern zu sitzen, und der einzelne wurde sich nicht be wußt, daß nur er selbst es war, der die Schranken errichtete und fühlte. Das Land selbst war das fremdenfreundlichste der Welt.»Ich bleibe hier«, sagte Tannenbaum, der wieder einmal aus Hollywood zurückgekehrt war, um im Theater einen SS-Mann zu spielen.»Das ist der einzige Platz, wo wir nicht als Eindringlinge und Fremdkörper behandelt werden. Überall sonst war es anders. Ich bleibe hier.«

Vesel starrte ihn an.»Und wenn Sie keine Arbeit mehr finden? Sie haben einen starken Akzent, und wenn der Krieg jetzt zu Ende geht, hört es mit Ihren Rollen auf.«

«Im Gegenteil, dann geht es erst los.«

«Sie sind nicht Gott und allwissend«, sagte Vesel scharf.»Ebensowenig wie Sie, Vesel. Aber ich habe Arbeit.«

«Aber meine Herren«, rief Frau Vriesländer,»doch keinen Streit! Jetzt, wo wir alles hinter uns haben!«

«Haben wir?«fragte Kahn.

«Nicht, wenn Sie zurückgehen«, sagte Tannenbaum.»Was mei nen Sie, wie es da jetzt aussieht?«

«Heimat ist Heimat«, erklärte Vesel.

«Und Scheiße ist Scheiße.«

«Ich muß zurück«, sagte Frank traurig.»Was soll ich anderes tun?«

Es war die Frage dieses trübseligen Abends, den alle so voll von Zukunftsgedanken begonnen hatten. Plötzlich war das passiert, was Kahn vorausgesagt hatte. Die, die bleiben wollten, hatten, gerade weil sie nun bald zurück konnten, das ungewisse Gefühl, dadurch etwas verloren zu haben. Das Bleiben war nicht mehr ganz so strahlend wie vorher, obschon es sich in nichts geändert hatte. Und die, die zurück wollten und immer Europa als die alte Heimat vor sich hatten schimmern sehen, spürten auf einmal, daß es ein verwüstetes Land voller Probleme war und nicht ein Paradies. Es war wie bei einem Wetterhäuschen: Wenn die eine Figur hervortrat, ging die andere zurück. Die barmherzigen Illu sionen, von denen alle gelebt hatten, zerplatzten. Beide, sowohl die Heimkehrer wie die Dableiber, hatten das Gefühl der Deser tion. Es war die letzte Illusion. Sie desertierten dieses Mal sich selbst.

«Lissy will zurück«, sagte Kahn.»Lucy, der andere Zwilling, will bleiben. Sie waren fast nie getrennt. Beide glauben, die an dere sei eine Egoistin, und das Ganze ist eine Tragödie.«

Ich sah ihn an. Ich wußte nicht, wie er mit Lissy stand.»Wollen Sie Lissy nicht Zureden?«fragte ich.

«Nein. Der große Aufbruch«, sagte er sarkastisch.»Und die große Ernüchterung.«

«Auch für Sie?«

«Für mich?«sagte er lachend.»Ich zerplatze wie ein Ballon. Ich gehe nicht hierhin und nicht dahin. Und Sie?«

«Ich? Ich weiß es nicht. Es ist noch Zeit genug, darüber nachzu denken.«

«Das haben Sie doch getan, seit Sie hier sind, Robert.«

«Es gibt Dinge, die durch Nachdenken nicht besser werden. Man soll auch nicht zuviel darüber nachdenken. Sie werden nur schlimmer und schwieriger. Man tut sie plötzlich.«

«Ja«, sagte er.»Man tut sie plötzlich, das ist es.«

Vriesländer zog mich beiseite.»Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe über deutsche Aktien. Nach dem Waffenstillstand werden sie für ein Butterbrot zu haben sein. Und sie werden stei gen, steigen, steigen. Man kann das Land politisch hassen, zu sei ner Ökonomie kann man Vertrauen haben. Ein schizophrenes Volk. Tüchtige Wirtschafter, Wissenschaftler und Massenmör der.«

«Ja«, sagte ich bitter.»Und oft beides zugleich in einer Person.«»Wie gesagt: schizophren. Seien Sie auch schizophren: Machen Sie ein Vermögen und hassen Sie die Nazis.«

«Klingt das nicht sehr pragmatisch?«

«Nennen Sie es, wie Sie wollen. Wozu sollen die Geschäftskon zerne, die Sklavenarbeiter zu Tode geschunden haben, hinterher noch ein Vermögen verdienen?«

«Sie werden es verdienen«, sagte ich.»Das und sämtliche Ehren, Orden, Pensionen und alle Millionen. Ich bin nicht umsonst dort geboren. Wir haben es nach dem ersten Krieg gesehen. Gehen Sie wieder zurück, Herr Vriesländer?«

«Keinen Schritt! Mein Geschäft kann ich durchs Telefon erledigen. Wenn Sie Geld brauchen, strecke ich Ihnen gern tausend Dollar vor. Damit kann man drüben im Frieden allerlei anfan gen.«

«Danke. Ich werde Ihr Angebot vielleicht annehmen.«