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»Ich wollte mir die Männer gern einmal ansehen, die so vehement versucht haben, meine Pläne zu durchkreuzen«, sagte der Graf. »Und die doch gleichzeitig mehr und mehr für deren Begünstigung gesorgt haben.«

»Wie eine Fliege im Netz der Spinne mit jeder Bewegung ihre Lage verschlimmert«, fügte Weyhe hinzu, »sich immer mehr in die klebrigen Fäden verwickelnd …«

Graf Bernes nickte anerkennend. »Ich wusste nicht, dass Sie eine poetische Ader haben, mein lieber Weyhe«, sagte er. »Aber Ihre Talente sind ja mannigfaltig. Davon konnte ich mich in letzter Zeit überzeugen.«

»Sie sind also der Verräter«, rief Quantz.

Weyhe wollte etwas sagen, aber Graf Bernes hieß ihn mit einer Handbewegung zu schweigen. »Verräter … Das ist nur ein Wort, Herr Kammermusiker. Was wissen Sie denn, welche Maschinerie des Verrats Ihr König in Bewegung hält, um seine Ziele zu erreichen. Sie können der Kaiserin nicht ernsthaft einen Vorwurf machen.«

»Wollen Sie uns töten?«, fragte La Mettrie. »Sicher wollen Sie das. Sonst würden Sie uns nicht noch Ihr Spiel ganz und gar durchschauen lassen. Ich frage mich jedoch, warum Sie uns nicht bereits auf den Wiesen an der Havel getötet haben. Wieso bringen Sie uns hierher? Um uns zu zeigen, dass sich dieser gemeine Wicht von einem Rat auf Ihre Seite geschlagen hat?«

Weyhe schwieg. Er beschränkte sich darauf, finster dreinzublicken und die Lippen zusammenzupressen.

»Geschlagen hat?« Der Graf lächelte. »Rat Weyhe stand schon immer auf unserer Seite. Und mit einem Plan, der eines Genies würdig ist, hat er dafür gesorgt, dass er nun auch in der Gunst Ihres Königs steigen wird. Er wird zu einem seiner engsten Vertrauten werden und über jeden Verdacht des Verrates erhaben sein. Schließlich hat er selbst einen raffinierten Verrat aufgedeckt, in den – so wird es der König sehen – zwei Männer verwickelt waren, denen er bisher glaubte, blind vertrauen zu können.«

»Einen Verrat, den Sie zuvor inszeniert haben«, sagte Quantz, »um ihn selbst aufzudecken?«

»Das seltsame Talent dieses ansonsten minderbemittelten Lakaien kam uns zupass«, sagte der Graf. »Und darüber hinaus die günstige Lage des Hauses meines Medicus an der Heiliggeistkirche in Potsdam. Wir verhalfen Grenadieren aus dem Leibregiment zur Flucht. Wir haben den Verdacht erweckt, jemand wolle des Königs Chiffrensystem auskundschaften oder ihm sogar ein neues schaffen – mit Hilfe der scheinbar so unschuldigen Kunst der Musik.«

»Was nun jedoch unmöglich ist, da der König es von uns erfahren wird«, rief Quantz.

»Der König wird nichts erfahren.« Der Graf drehte sich zu Weyhe, der plötzlich etwas Kurzes, Spitzes in der Hand hielt. Es war ein Stilett. Ein kleiner Dolch, mit dem Meuchelmörder schnell und unauffällig töteten.

Quantz hatte solche Waffen in Venedig gesehen, wo nächtliche Morde in den Gassen der Lagunenstadt an der Tagesordnung waren. »Nein«, rief er. »Tun Sie das nicht. Ich verspreche Ihnen, ich werde Seiner Majestät nichts sagen. Ich werde schweigen. Ich werde …«

Weyhe, den Dolch in der Hand, schritt weiter in den Kerker hinein. Bei Andreas, der immer noch am Boden saß, blieb er stehen. Mit einer schnellen Bewegung, die eine immense Kraft bewies, zog er den Lakaien hoch und rammte ihm gleichzeitig die Klinge in den Leib. Andreas’ Körper bäumte sich noch einmal kurz auf, und ein schmatzender Laut entfuhr ihm. Weyhe ließ ihn zu Boden rutschen und kehrte zu Bernes zurück, als wäre nichts gewesen.

»Sie werden natürlich nicht getötet, meine Herren«, sagte der Graf. »Jedenfalls nicht von uns. Rat Weyhe wird Sie in Haft nehmen und als Verräter der Strafe zuführen, die der König über Sie verhängt.«

»Der König ist gerecht«, rief Quantz. »Wir sind unschuldig. Er wird keinen Unschuldigen strafen.«

»Ja, ja, ich weiß«, sagte der Gesandte. »Seine Majestät gibt sich gern den Anstrich eines Herrschers, der sich nicht in Gerichtsdinge einmischt. Aber er unterschreibt dann doch alle Urteile, nachdem er sie geprüft hat. Und er handelt wie ein absoluter Fürst rein nach dem Anschein, den der Sachverhalt für ihn besitzt. Und in Ihrem Fall ist dieser Anschein sehr einfach, fast militärisch leicht zu verstehen: Sie sind die Verräter. Sie haben mit Brede gemeinsame Sache gemacht, als es darum ging, Grenadieren zur Desertion zu verhelfen. Sie selbst wurden schließlich aufgegriffen, als sie sich desselben Fluchtweges bedienten, um die Stadt zu verlassen. Andreas Freiberger war ein Spion, den Brede und der Herr Kammermusiker gemeinsam ermordeten, als seine Spionagetätigkeit ans Licht zu kommen drohte. Freiberger hat darüber hinaus ein neues Chiffrensystem ersonnen, das man Seiner Majestät dem König unterschieben wollte. Dieser Plan der Kaiserin ist gescheitert, da Sie in Ihrer Verteidigung die Verschlüsselungstechniken erklären werden. Aber dieser Verlust wird hundertfach aufgewogen. Denn die Summe aus allem ist, dass Rat Weyhe in Diensten des Königs von Preußen nun einmal die gesamte Intrige aufgedeckt hat – und nun zu einer der wichtigsten Personen unter dem königlichen Großkanzler und Justizminister Cocceji aufsteigen wird. In dieser Position wird er uns mit vielen nützlichen Details aus dem Umfeld des Königs versorgen. Und das mindestens bis Schlesien wieder unser ist. Lang lebe die Kaiserin!«

»Lang lebe die Kaiserin!«, rief Weyhe ebenfalls, und seine Augen glänzten.

Quantz blickte auf das blutige Bündel. Andreas’ Leiche. Grauen erfasste ihn. Welche Talente hatten in dem Jungen geschlummert … Was hätte aus dem Jungen noch werden können?

»Sie haben nun eine Wahl, lieber Herr Quantz«, sagte der Graf. »Sie können der preußischen Gerichtsbarkeit entgehen. Ich biete Ihnen die Möglichkeit, Ihr Talent der Kaiserin zu Füßen zu legen und Hofmusiker in Wien zu werden. Ihnen aber, Monsieur«, jetzt sah er La Mettrie an, »kann ich leider gar nichts bieten. Einem Ketzer, einem Seelenleugner und Kirchenbekämpfer wie Ihnen können wir nicht erlauben, im katholischen Reich der Kaiserin zu leben.«

»Dann werde ich auch verzichten«, sagte Quantz mit fester Stimme und wegen Andreas’ Schicksal Tränen den Augen. »Ich verdanke dem Monsieur zu viel, als dass ich auf Ihr schäbiges Angebot eingehen würde. Und da ich kein Verräter bin, sehe ich auch keinen Grund, nun zu einem zu werden.«

»Die zweite Begründung akzeptiere ich«, sagte der Graf. »Die erste verwundert mich eher. Was haben Sie einem so gottlosen Menschen, der sich hier in Brandenburg verkriecht und sein Fähnlein nach dem Winde dreht, schon zu verdanken?« Er lächelte. »Aber wie Sie wünschen. Sie sind nun, was mich betrifft, frei. Doch wenn Sie dieses Haus verlassen, wird dieser preußische Rat«, er zwinkerte Weyhe zu, »seiner Pflicht genügen, Sie in Haft nehmen und der Gerichtsbarkeit Ihres Landes entgegenführen. Leben Sie wohl.«

Vor der Residenz des habsburgischen Botschafters wartete schon die Patrouille. Der Rat spielte sein Spiel perfekt. Er informierte den Offizier in aller Form, dass er die gesuchten Herren Quantz und La Mettrie festgesetzt hätte – und zwar kurz bevor sie die Residenz des feindlichen Gesandten betreten hätten. Dort hatten sie offenbar Zuflucht gesucht, nachdem man ihre Machenschaften in Potsdam durchschaut hatte.

Der Morgen graute bereits, als sie Spandau erreichten. Diesmal hatte man Quantz und La Mettrie in eine einzige Kutsche gesperrt. Die Männer schwiegen. Selbst dem Franzosen waren offenbar die Worte ausgegangen.

Hinter dem Sperrzaun der Stadt waren dicke Kasematten zu erkennen. Vergitterte schwarze Löcher in grauen Mauern aus gewaltigen Quadern gähnten Quantz entgegen. Gebrüllte Befehle drangen ins Innere der Kutsche. Offenbar fand gerade die Wachablösung statt. Der Kopf eines behelmten Grenadiers erschien an der Seitentür, doch man kontrollierte sie nicht. Schließlich näherten sie sich im Schritt der eigentlichen Festung.

»Ich möchte Ihnen noch danken, Monsieur«, sagte La Mettrie.

Beim hallenden Geklapper der Pferdehufe konnte Quantz ihn kaum verstehen. Das Tor ins Innere des Gefängnisses war nicht einfach nur eine Durchfahrt, sondern ein Tunnel.