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»Was meinen Sie?«

»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie meinetwegen auf die habsburgischen Dienste verzichtet. So sind wir also Freunde geworden?«

»Ich denke schon.«

La Mettrie lächelte. »Vielleicht haben wir ja Glück, und sie kerkern uns gemeinsam ein. Wir hätten viel Zeit, um gemeinsam zu philosophieren. Und vielleicht können Sie mir einige Ihrer Kompositionen vorpfeifen. Welch ein Glück wäre das …«

Sein Gesicht hellte sich auf, und Quantz wurde klar, dass der Franzose sich keinen Spaß erlaubt hatte. Er meinte das tatsächlich ernst. Er sah tatsächlich in jeder Lage immer nur das Glück. Und wenn es sich nur noch um ein Quäntchen davon handelte, das man aus dem Schicksal herauspressen musste wie den Saft aus einer schon vielfach ausgequetschten Frucht.

26

Das Glück war nicht auf ihrer Seite. Man führte Quantz in einen Raum, der sich kaum von dem unterschied, den sie im Keller von Bredes Remise vorgefunden hatten. Immerhin enthielt er neben dem Stroh in der Ecke eine schmale Holzpritsche und einen stinkenden Eimer für die Notdurft.

Er schreckte aus unruhigem Schlaf hoch, als sich die Eisentür quietschend öffnete. Jede Bewegung schmerzte. Als er sich aufrichtete, rebellierte sein Magen. War es Übelkeit oder Hunger, was ihn quälte? Wahrscheinlich beides.

Im Eingang erschien ein Wachsoldat. »Mitkommen«, bellte er.

Quantz stand unter Schmerzen auf. Kaum war er ein paar Schritte gegangen, schienen seine Füße in Flammen zu stehen. Das mörderische Brennen musste eine Nachwirkung des nächtlichen Ausfluges ohne Schuhe sein.

Der Soldat ließ ihn vorgehen. Erst jetzt wurde Quantz bewusst, wie groß das Innere der Festung war. Es ging durch enge, höhlenartige Gänge, die hin und wieder an einer dick gemauerten Brüstung entlangführten.

Wo befand sich wohl La Mettrie? War sein Kerker weit entfernt? Vielleicht konnte er beim Festungskommandanten eine Eingabe machen und demütigst darum bitten, in eine gemeinsame Zelle mit dem Franzosen gelegt zu werden.

Er war nicht in der Lage, irgendwen um irgendetwas zu bitten. Schließlich kamen sie in einen riesigen Raum – ebenfalls mit Steinfußboden und rohen Wänden, aber erstaunlich hell, denn zwei Fenster gingen auf einen gepflasterten Hof hinaus. Nur der rückwärtige Teil der Halle lag im Schatten.

Eine Reihe von Zivilisten wartete bereits. Und Rat Weyhe, dem seit der Begebenheit im Keller des habsburgischen Gesandten ein triumphierender Ausdruck im vernarbten Gesicht eingebrannt zu sein schien. An einem langen Tisch saßen noch andere Herren nebeneinander. Sie waren wohl Vertreter des Gerichts.

Ein Uniformierter blieb neben der Tür stehen, die anderen hatten sich in den schattigen Bereich zurückgezogen. Einige Grenadiere standen bereit. Ein Offizier von höherem Rang, wahrscheinlich der Festungskommandant, saß in dem dunkleren Bereich des Raumes auf einem Stuhl wie auf einem Thron.

Der Soldat, der Quantz aus der Zelle geholt hatte, befahl ihm, stehen zu bleiben. Die Herren betrachteten den Ankömmling neugierig.

»Das ist der gewesene Musikus Quantz«, erklärte Weyhe. »Seine Rolle in der Affäre können Sie meinem Bericht entnehmen. Ich möchte Ihnen hiermit nur Gelegenheit geben, sich ein Bild von dem Delinquenten zu machen, bevor Sie sich entschließen, die Anklage zu erheben. Nichts soll ausgelassen werden, nichts soll Ihnen verborgen bleiben. Sie sehen hier den Beginn der Verhandlung eines Falles, der deshalb besonders bedeutend ist, da sich darin mehrere Verbrechen vereinen, die dann in dem abscheulichsten Verbrechen schlechthin münden – im Verrat gegen Seine Majestät den König.« Der Rat machte eine bedeutungsschwangere Pause.

Die Herren hinter den Tischen versenkten ihre Blicke in große Schriftstücke – wahrscheinlich der von Weyhe erwähnte Bericht.

Quantz stand hier noch nicht vor Gericht. Weyhe sicherte sich vorher ab. Er holte sich nicht vom König die Erlaubnis, den Fall vor Gericht zu bringen, sondern er bat die Justiz selbst darum, alle notwendigen Maßnahmen zu entscheiden.

»Um den Fall noch einmal genau darzulegen«, begann Weyhe, »lassen Sie mich bitte alle Fakten referieren.«

Quantz hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Doch er musste anhören, wie der Rat ihn als Drahtzieher einer großen Verschwörung hinstellte, der mit Hilfe des Lakaien Andreas Freiberger und des Fuhrmanns Lukas Brede nicht nur Desertionen ermöglicht, sondern systematisch Spionage betrieben hatte.

»Die ersten Verdachtsmomente kamen uns, als in Andreas Freibergers Quartier im Schloss Noten Seiner Majestät gefunden wurden, die dort nichts zu suchen hatten. Offenbar hat Herr Quantz sich doch nicht so ganz auf die Raffinesse des Lakaien verlassen können. Kein Wunder – er war ja auch ein Idiot.« Er sah Quantz spöttisch an. »Ich meine natürlich Freiberger.«

Verhaltenes Gelächter erfüllte den Raum.

»Deswegen«, fuhr der Rat fort, »haben er und Brede sich Freibergers entledigt – und das auf eine Weise, die Aufsehen erregen und damit von dem eigentlichen Verdacht, dem eigentlichen Fall ablenken sollte. Ich habe die Ereignisse in Bornstedt im Bericht genau dargelegt. Brede hat auch hierbei mitgeholfen.«

»Was ist aus dem Fuhrmann geworden? Ist er auch in Haft?«, fragte einer der Männer.

Weyhe schüttelte den Kopf. »Leider ist mir dieser Verbrecher entwischt.«

»Er ist geflohen?«

»In die Ewigkeit entwischt, meine ich. Wir haben ihn ertappt, als wir den Keller unter seinem Haus fanden. Er versuchte, einen hohen Beamten Seiner Majestät anzugreifen, und wurde im Gegenzug sofort getötet.«

»Welchen Beamten?«

»Mich«, erklärte Weyhe mit einer gewissen Feierlichkeit in der Stimme. »Auch das finden Sie in dem Bericht. Weiter hinten, denn es ist erst gestern geschehen.« Er räusperte sich. »Eine besondere Rolle spielt allerdings ein Kammerherr Seiner Majestät, Monsieur La Mettrie, der in ganz Europa bekannt ist als Verfasser höchst umstrittener Schriften. Herr Quantz hatte zu ihm engen Kontakt. Die beiden sind zusammen geflohen. Es ist sogar erwiesen, dass Monsieur La Mettrie Herrn Quantz aus dessen erster Inhaftierung befreit hat. Damit missbrauchte er seine Kammerherrenwürde.«

Nun kam ein mehrstimmiges Geräusper vom Tisch. Die Herren blickten sich betroffen an. Quantz konnte förmlich sehen, was in ihren Köpfen vor sich ging. Einen Kammerherrn anklagen … Formal war das möglich, doch ging das nicht zu weit? Schließlich würde das bedeuten, dass man dem König selbst misstraute, der in seiner Gnade und Weisheit ja La Mettrie zum Kammerherrn berufen hatte.

Der Gedanke traf Quantz wie ein Schock. Nie und nimmer würde man La Mettrie bestrafen. Quantz würde ganz allein seine Kerkerhaft absitzen oder hingerichtet werden. Das Blut pochte in seinen Ohren. Der Rat redete weiter, doch Quantz hörte nicht mehr zu. Es fiel ihm schwer, sich auf den Beinen zu halten, und er kämpfte gegen die Ohnmacht, die ihn niederzudrücken drohte.

Weyhe sprach und sprach. Dann war es irgendwann still im Raum, alle sahen Quantz an, auf dessen Stirn kalter Schweiß stand.

»… haben Sie etwas gefragt. Herr gewesener Musikus … Ob Sie noch etwas zu sagen haben!«

Quantz schüttelte den Kopf. »Nein«, brachte er mühsam hervor.

Die Herren griffen nach ihren Papieren und nickten einander zu. Stühle rutschten lärmend über den Steinfußboden. Die Soldaten in der dämmrigen Ecke auf der anderen Seite des Saales nahmen Haltung an, als sich der Festungskommandant erhob und einen Schritt nach vorn machte. Ein Blick aus zwei blauen Augen traf Quantz, in dem sich schlagartig alles verkrampfte. Der Offizier, den er für den Kommandanten gehalten hatte, war …

»Eure Majestät«, rief Quantz und verbeugte sich. Weyhe erstarrte, senkte dann aber ebenfalls rasch das Haupt. Er schien ebenso überrascht zu sein wie Quantz.