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Ganz offensichtlich war der König inkognito hier – auch das war eine berühmte Angewohnheit von ihm. Immer wieder besuchte er ohne Vorankündigung die verschiedenen Organe der Staatsverwaltung. Kein Beamter sollte sich zu sicher fühlen. Stets konnte im nächsten Moment der König vor ihm stehen. Und Friedrich war sehr geübt darin, seine Anwesenheit so lange zu verbergen, wie er wollte. Nur die Herren vom Gericht waren eingeweiht gewesen. Der Rat dagegen nicht.

»Majestät«, rief Weyhe. »Wenn wir gewusst hätten –«

»Sie sollen nicht wissen«, sagte der Monarch. »Sie sollen Ihren Dienst tun

Weyhe verbeugte sich gleich noch einmal. »Und ich hoffe, Eure Majestät sind zufrieden.«

»Ich habe Ihren Bericht bereits gelesen, Herr Rat.«

Der König wandte sich Quantz zu, sein Blick tastete seine Gestalt ab. Quantz hatte das Gefühl, innerlich abzusterben. Ob der König an seiner groben Kleidung Anstoß nahm? Auf dem nächtlichen Weg nach Berlin hatte Quantz ein Sammelsurium aus geflickten, abgetragenen alten Soldatenkleidern in der Kutsche vorgefunden. Der Rock, einstmals dunkelblau, war verschossen und mit Flicken bedeckt, die Hosen durchgescheuert. Die Perücke war grau und ausgefranst. Doch nein, das konnte es nicht sein. Äußerlichkeiten interessierten Seine Majestät nicht.

Und da wusste Quantz, was gerade geschah. Es war des Königs Art und Weise, von ihm Abschied zu nehmen. Von einem Mann, dem er jahrelang vertraut hatte. Bei ihm war es doch ähnlich wie bei La Mettrie. Wenn ein Vertrauter des Königs sich etwas zuschulden kommen ließ, dann beschädigte das Seine Majestät selbst und sein Amt von Gottes Gnaden. Und Friedrich hatte ihm einst vertraut. Jahrelang. Jahrzehntelang.

Ehe es Quantz selbst bewusst geworden war, kniete er vor dem König. »Majestät, es tut mir unendlich leid«, brachte er hervor. »Ich weiß, dass ich Ihr Vertrauen genossen habe. Aber ich kann in meiner Lage nichts anderes tun, als Euch zu versichern, dass ich ganz und gar unschuldig bin.«

»Steh Er auf, Mann«, sagte Seine Majestät. »Was fällt Ihm ein? Und warum sagt Er das mir? Nicht ich bin Sein Gericht, sondern diese Herren da, die ich dazu ermächtigt habe. Begreift Er das denn nicht? Er hat erklärt, Er habe nichts mehr hinzuzufügen. Nichts mehr zu sagen. So schweige Er. Es ist vorbei.«

Ein Soldat riss Quantz am Arm in die Höhe. Auf dem Gesicht des Königs erschien ein verzerrtes Lächeln. »Immerhin hat Er die Zeit im Kerker mit Seiner Kunst verbracht.« Er blickte auf eine Stelle an Quantz’ Rock.

Quantz griff danach und hatte einen Zettel in der Hand. Ein paar Noten standen darauf. Er starrte sie an.

»Arbeitet Er immer noch an einem neuen Konzert?«, fragte der König. »Das hat Er nun nicht mehr nötig. Es wird keine Konzerte mehr geben. Jedenfalls nicht mit Ihm.« Friedrich drehte sich um und schritt auf die Tür zu.

Quantz erkannte die Notenschrift. Das hatte Andreas geschrieben. Das war seine Handschrift. Wo kam dieser Zettel her?

Die Noten wurden in Quantz’ Kopf Musik. Zu einer sehr eigenwilligen, schrägen Melodie. Eine Erinnerung streifte ihn. In der Dunkelheit des Kerkers, im Hause des Gesandten Graf Bernes … Papier hatte geraschelt. Andreas hatte nach ihm gegriffen, in dem Moment, als Quantz erkannt hatte, wer sich mit ihnen in diesem Gefängnis befand. Andreas, der Botschaften mit Noten schreiben konnte.

Er hatte ihm eine Botschaft zugesteckt.

Der König war bereits in der Tür verschwunden.

Die Herren vom Kriminalgericht folgten ihm. Nur er, Weyhe und die Soldaten waren noch im Raum.

»Ich habe noch eine Aussage zu machen«, rief Quantz mit lauter, fester Stimme. »Eine Aussage von allerwichtigster Bedeutung.«

»Im Kerker«, zischte Weyhe. »Später. Wenn ich Sie besuche, gewesener Musikus.«

»Pardon, ich spreche nur mit Seiner Majestät.« Quantz schrie jetzt, damit der König es hören musste.

»Die Chance ist vertan«, beharrte Weyhe.

»Ich weiß um einen neuen Verrat. Ich sage es dem König und sonst niemandem.«

»Ich bin im Moment der König. Seine Majestät ist gegangen. Die Macht ist nun mein. Zumindest was Ihn betrifft.« Weyhe nickte dem Grenadier zu, der Quantz am Arm fasste und ihn in Richtung Ausgang schob.

Doch dort kam ihnen der König entgegen. »So weit würde ich nicht gehen, Herr Rat«, sagte er streng. »Sie haben in diesem Casus eine Menge Macht, aber der König sind Sie nicht. Was will Er noch, Quantz?« Er sah auffordernd herüber.

Quantz’ Lippen zitterten. Der Zettel brannte wie Feuer an seinen Fingerspitzen. »Eine letzte Unterredung, Eure Majestät.«

»Warum?«

»Es ist von ungeheurer Dringlichkeit. Ich flehe Sie an.«

»Wird Er mich um Beeinflussung des Gerichts bitten?«

»Nein, Majestät.«

Die Stille, die im Raum lastete, kam Quantz fast unendlich lang vor. Schließlich gab der König Weyhe und den Soldaten mit einer Kopfbewegung zu verstehen, den Saal zu verlassen.

Weyhe erhob Protest. »Sie allein lassen mit einem gefährlichen Gefangenen? Eure Majestät, wir müssen für Ihre Sicherheit sorgen!«

Der König hob das Kinn und sah auf den Rat hinab. »Ich habe gefährlichere Schlachten geschlagen. Machen Sie sich um meine Sicherheit keine Sorgen.«

Weyhe sah noch einmal kurz Quantz und dann den König an. Schließlich ging er, und sie waren allein.

»Was will Er nun? Strapaziere Er meine Geduld nicht länger.« Friedrich zog die Augenbrauen hoch.

»Majestät, ich glaube, dass hierin«, Quantz hob das Notenblatt, »die Wahrheit über alles zu finden ist.«

***

Es war ganz und gar gelungen!

Rat Weyhe spazierte inmitten des leuchtenden Frühlingstags durch die Stadt. Er kam vom Schloss und bewegte sich in Richtung der neueren Stadtteile im Norden. Die Hände auf dem Rücken, stellte er ganz den gut situierten Bürger dar, der er war.

Der König hatte ihm eine Beförderung versprochen. Eine gute Laufbahn beim Kriminalgericht. Und damit viele Gelegenheiten, die Vorgänge in Seiner Majestät Kanzleien zu beobachten. Seiner Pflicht nachzukommen. Und hin und wieder in Berlin Kontaktleute zu treffen, die seine geheimen Berichte über diese Vorgänge Graf Bernes und Habsburg zukommen ließen.

Weyhe mied die Straße, wo das Haus des gewesenen Musikus lag. Die Magd Sophie, so hieß es, wohne noch dort. Als sie von der Inhaftierung ihres Dienstherrn erfahren hatte, war sie auf die königlichen Boten losgegangen wie eine Furie. Weyhe befürchtete, dass die Magd, sollte sie ihn vorbeigehen sehen, wieder die Nerven verlor. Und sich auf offener Straße mit einer Frau zu streiten, passte nun ganz und gar nicht zu seiner Würde.

Er lenkte seine Gedanken auf Angenehmeres. Zum Beispiel auf die Residenz, die er sich bald selbst hier in Potsdam anschaffen würde. Ein Haus mit Bediensteten. Nicht übel. Er musste freilich achtgeben. Das Geld aus Habsburg durfte nur vorsichtig ausgegeben werden. Plötzlicher Reichtum machte verdächtig.

Herrlich, diese schnurgeraden Straßen ohne Hindernisse, ohne unverhoffte Kurven oder andere Unregelmäßigkeiten. Er näherte sich dem Jägertor. Die stilisierten Granaten links und rechts waren bereits zu erkennen. Weyhe kam der Krieg in den Sinn, der wahrscheinlich unmittelbar bevorstand – auch wenn es in Potsdam nicht danach aussah.

Doch bald besaß Habsburg genug Informationen über die Pläne des preußischen Königs, um andere europäische Mächte zu einer Koalition zu gewinnen. Und gemeinsam würde man Preußen dann in die Zange nehmen. Dann würde dieser eigenartige Soldatenstaat wieder zu dem werden, was er einst gewesen war: ein unbedeutendes Kurfürstentum inmitten einer unfruchtbaren, hässlichen Landschaft.

Sicher war es besser, mit dem Kauf der Residenz noch zu warten, bis der Krieg gewonnen war und Preußen am Boden lag. Wien war ohnehin die bessere Alternative, um ein unbeschwertes Leben zu führen. Das riesige habsburgische Reich hatte viele schöne Ecken – von Böhmen nach Norditalien. Die Toskana …