Выбрать главу

»Welchen Grund gibt es, dass ein so hoher Beamter und selbst Sie sich so sehr mit Andreas’ Taten befassen?«, fragte Quantz.

»Sie haben keine Fragen zu stellen, Sie haben sie nur zu beantworten.«

Aber es waren doch nur Noten. Die Noten eines Königs, natürlich, aber es handelte sich nicht um gestohlenes Tafelsilber, nicht um Geld oder Gold. Nur Noten.

»Majestät, bitte gestatten Sie«, begann Quantz wieder, obwohl er wusste, dass sein Verhalten an Ungehorsam grenzte. »Andreas kann sich manchmal nicht unterordnen. Glauben Eure Majestät nicht, dass er sich nur in der Stadt versteckt und wieder auftauchen wird? Ich will ihn nicht in Schutz nehmen oder sein Verhalten verteidigen, aber –«

»Sie haben nicht begriffen, dass es nicht nur um Freiberger geht. Natürlich wird er wieder auftauchen. Und seine Strafe erhalten. Mir liegt jedoch daran, etwas Wichtiges zu erfahren. Und zwar ob er außer den Noten nicht noch mehr Dokumente gestohlen hat. Und wenn ja, was mit ihnen geschah. Ob er sie weitergegeben hat.«

»Ich verstehe, Majestät. Verzeihen Sie. Selbstverständlich haben Sie recht.«

»Weyhe genießt mein Vertrauen. Sie werden ihm Rede und Antwort stehen, wie er es wünscht. Es ist Ihnen bekannt, dass ich mich ungern in Justizvorgänge mische. Es wäre ein schlechter Staat, in dem der königliche Einfluss über die Maßen nötig ist. Enttäuschen Sie mich also nicht. Und ich wäre sehr enttäuscht, wenn Weyhe herausbekäme, dass die Sache mehr mit Ihnen zu tun hat, als Sie zugeben.«

»Jawohl«, sagte Quantz.

»Gehen Sie nun und schicken Sie mir Weyhe noch einmal her. Ich möchte erfahren, was er bisher herausgefunden hat.«

Bisher? Andreas war doch erst in der vergangenen Nacht verschwunden. Wie schnell konnte sich Weyhe all die Informationen verschaffen, die er brauchte?

Er verbeugte sich und bewegte sich rückwärts hinaus. Als der Rat Quantz in den Marmorsaal kommen sah, nickte der ihm kurz zu.

Quantz wollte vorbei, doch Weyhe hielt ihn am Oberarm fest. Der Griff war überraschend stark.

»Sie finden sich um Punkt zwölf Uhr bei mir im Stadtschloss ein«, zischte er. »Bis dahin. Oder wie des Königs habsburgische Lieblingsfeindin sagen würde: Habe die Ehre, Herr Musikus. Genießen Sie die Zeit bis Mittag noch ein wenig mit Ihrer Magd.«

Quantz machte sich los und stolperte fast, als er ins Vestibül trat. Ein Lakai hielt ihm die Tür zum Ehrenhof auf. In seinen Eingeweiden stach es, als er sich in die bereitstehende Kutsche zwängte.

Kaum hatte der Mann auf dem Kutschbock das Gefährt die Rampe hinunter und ein Stück weit die gerade Straße hinter sich gebracht, trommelte Quantz außen auf das Holz. Der Kutscher zügelte das Pferd, und es gelang Quantz gerade noch, die Seitentür zu öffnen und hinaus ins freie Grün zu laufen.

Auf der linken Seite, Bornstedt zu, begann der Wald. Quantz schlug sich ins Unterholz und genoss die Erleichterung, als er, von Büschen verborgen, seinen Bedürfnissen freien Lauf lassen konnte.

5

»Der Kaffee ist noch nicht bereitet«, sagte Sophie. »Ich wusste ja nicht, wann Sie zurückkehren würden.«

Quantz nickte nur und ging in seine Schlafkammer zum Waschtisch. Er musste sich reinigen. Danach setzte er sich an den gedeckten Tisch. Sophie hatte wie immer seine Wünsche berücksichtigt und für Gebäck gesorgt.

»Was ist passiert?«, fragte sie.

Er hatte zu einem Gebäckstück greifen wollen, doch nun legte er seine Hand auf Sophies Unterarm. »Setz dich«, sagte er.

»Wie Sie wünschen.«

Auf dem Rückweg hatte Quantz sich über vieles den Kopf zerbrochen. All die Fragen um Andreas’ Verschwinden. Die Reaktion des Königs.

Ob Andreas wirklich Staatsdokumente gestohlen hatte? Der König musste doch wissen, ob etwas fehlte. Natürlich würde man es Quantz nicht sagen, wenn das der Fall war. Und bei dem Aufwand, den Seine Majestät betrieb, konnte das nur heißen: Es waren definitiv wichtige Unterlagen entwendet worden. Aus einem kleinen Schlösschen, wo die Lakaien zu allen Räumen Zutritt hatten, weil der König es sich in den Kopf gesetzt hatte, hier im Sommer nicht nur zu leben, sondern auch zu arbeiten, mit allem, was dazugehörte – Beratern, Sekretären, Ministern, Generälen.

Eigentlich brauchten Lakaien gar nichts zu stehlen, wenn sie spionieren wollten. Es reichte, wenn sie die Ohren offenhielten und aufpassten. Sie waren stets zugegen. Sie hielten Kerzenleuchter, öffneten Türen, servierten Kaffee, warteten auf Befehle.

Seine Majestät fürchtete Spionage. Und hatte er nicht die Schlesischen Kriege gewonnen, weil er in einer solchen Situation ein gesundes Misstrauen gegen alles und jeden entwickelte? Auch gegen seine engsten Vertrauten? Sogar gegen seinen alten Flötenlehrer? Kälte kroch unter Quantz’ Haut.

»Was haben Sie?«, fragte Sophie. »Sie sehen blass aus.« Sie senkte den Blick. »Wenn Sie mir doch erzählen würden, was Sie bedrückt.«

Da fiel von Quantz das Gefühl der Enge und des Eingesperrtseins ab. Er atmete durch. Die Entspannung brachte ihn fast zum Weinen. Er hatte niemanden, der ganz und gar auf seiner Seite stand. Die anderen Musiker mieden ihn, weil er letztlich keiner von ihnen war. Auch unter den Hofbeamten hatte er keine Verbündeten. Alle beneideten ihn um seine exzellente Stellung.

Wenn er nicht aufpasste, würde der Riss in seinem Verhältnis zum König breiter und breiter werden. Vor allem, wenn dieser junge, braun gekleidete Rat Andreas nicht fand und nicht bewiesen wurde, dass Andreas – und er selbst natürlich auch – keine Spione waren.

Quantz war einundfünfzig Jahre alt. Er hatte sich darauf eingestellt, den Rest seines Lebens mit dem Dienst in Potsdam und dem guten Gehalt beim König zu verbringen. Was sollte werden, wenn man ihn vom Hof jagte?

Er musste an die seltsame Frage des Rats denken, ob er und der König Freunde gewesen waren. Sicher waren sie das – damals, als Friedrich noch Kronprinz war und in Rheinsberg residiert hatte. Er und Quantz waren eine eingeschworene Gemeinschaft gewesen. Friedrich hatte vor seinem strengen, bigotten, prügelnden, vom Militär besessenen Vater geheim halten müssen, dass er die Flöte blies, komponierte, Musik machte, französische Literatur las und dichtete. Dass ihn das Kriegshandwerk kaum interessierte.

Natürlich war der alte König misstrauisch. Einmal war er seinem Sohn auf die Schliche gekommen. Er war plötzlich in Rheinsberg aufgetaucht, als Quantz dem Prinzen gerade eine Lektion im Flötenspiel erteilte. Während der Soldatenkönig die Treppenstufen heraufpolterte, packten Friedrich und Quantz in fiebriger Hast Flöten und Noten zusammen. Als der König das Gemach betrat, hatte sich Quantz im Kamin versteckt. Dabei ruinierte er sein Gewand, das ihm Friedrich später durch einen prachtvollen, sehr teuren Rock ersetzte.

Ja, damals hätte er Friedrich einen Freund nennen können. Aber heute? Heute war Friedrich der König.

Kaum hatte er den Thron bestiegen, war das Erbe des Vaters auch in Friedrichs Charakter durchgebrochen. Die Begeisterung für das Militär gipfelte sieben Monate später in einem beispiellosen Feldzug gegen Habsburg – im Dezember, einem Monat, in dem es wegen ungünstiger Witterung kein Feldherr wagte, einen Krieg zu beginnen.

Doch Friedrich wagte es und trotzte in einer langen Kette von Schlachten der Kaiserin Maria Theresia das begehrte Schlesien ab. Fünf Jahre zogen sich die Kämpfe hin. Als endlich der Aachener Friede geschlossen wurde, als ganz Europa aufatmete und in Potsdam und Berlin eine neue Zeit anbrach, die eine Friedenszeit sein sollte, da war aus dem poesie- und musikversessenen Jüngling ein seltsames Doppelwesen geworden. Jetzt war er Flötenspieler und Militarist, strenger Befehlshaber und Dichter, Soldatenschinder und Philosoph. Und er sah seine Siege in jeder Minute von allen Seiten bedroht. Auch von Menschen, denen er eigentlich vertraute.