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Für Quantz war kein weiteres Pult vorhanden. Er würde seinen Part auswendig spielen.

Er gab das Zeichen und sie begannen. Und da sprudelte sie wieder, die Quelle des Glücks in Quantz’ Seele. Er genoss es immer wieder, die Musik zu hören, die in den vergangenen Tagen nur in seinem Kopf gewesen war. Es erfüllte ihn mit einem befriedigenden Gefühl der Dankbarkeit und des Stolzes. Da konnte der junge Bach so viel Häme verbreiten, wie er wollte.

»Im Mittelsatz bitte mehr Zurückhaltung«, sagte Quantz, als sie das Konzert durchgespielt hatten.

Benda, auf dessen Stirn sich Schweißperlen zeigten, nickte. Im engen Zimmer war es warm und stickig geworden. Quantz bahnte sich den Weg zum Fenster und öffnete es.

»In einem großen Raum könnte das angehen, aber im Konzertzimmer des Schlosses …?«

»Wir werden sehen«, sagte Graun. Er sah Quantz an. »Wünschen Sie einen weiteren Durchgang?«

»Wir haben Zeit, und es würde Ihnen Sicherheit geben. Der König wird seine Partie nicht vom Blatt beherrschen, umso geschickter müssen Sie sein.«

Sie spielten das ganze Konzert, das insgesamt knapp zwanzig Minuten dauerte, noch zweimal durch. Am Ende kam Applaus von der Straße. Graun schloss das Fenster, ohne hinunterzusehen. »Wir sollen Musik für Seine Majestät machen. Nicht für das gemeine Volk.«

Bach stand auf. Mara erhob sich ebenfalls und legte das Cello auf dem Cembalo ab. »Sind wir dann fertig?«, fragte er. Quantz nickte. Sie würden bis zur Abfahrt zum Schloss einen kleinen Imbiss nehmen, den Sophie vorbereitet hatte.

Die Pulte wurden in eine Ecke gestellt, die Noten zusammengeräumt, die Instrumente verpackt. Als Quantz die vier Teile seiner Flöte auseinandergezogen und gereinigt hatte, fiel sein Blick auf Bach, der an seinem Pult stand. Quantz durchzuckte ein heißer Blitz, als er erkannte, dass der Zettel mit Andreas’ Noten noch dort lag.

Drei Schritte, und er nahm das Papier an sich. Doch es war zu spät.

»Versuchen Sie sich an etwas Ernsthaftem?«, fragte Bach.

»Und wenn es so wäre?«.

»Das scheint mir nicht Ihre Handschrift zu sein. Und was da steht, ist auch nicht von Ihnen. Erhalten Sie neuerdings beim Komponieren Hilfe?«

Quantz verfluchte sich innerlich. Er hätte den Zettel verbrennen sollen.

Die Tür öffnete sich. »Es ist angerichtet«, sagte Sophie.

Der kleine Benda und der große, schlanke Graun nickten lächelnd. Zum Glück hatten sie nichts mitbekommen.

»Diese Noten waren nicht für Sie bestimmt«, zischte Quantz Bach zu.

»Das weiß ich.« Der Pianist lächelte und schloss sich den anderen Musikern an, die den Raum verließen.

***

Andreas versuchte, nicht durch die Nase zu atmen, als er die hölzerne Schaufel unter den frischen Kothaufen schob, um den Dreck in den bereitstehenden Eimer zu befördern. Er hasste diese Arbeit, aber er war froh, dass man ihn wegen seines nächtlichen Ausflugs nur damit bestrafte.

Im Moment war ihm alles recht, was ihn an das Schloss Sanssouci band, denn hier fühlte er sich sicher. Die Erinnerung an den Mann, der ihm in dem dunklen Eingang aufgelauert hatte, war verblasst wie der üble Nachgeschmack eines Alptraums. Die Stadt war fern. Und das war gut so.

Ein tapsendes Geräusch näherte sich über das Parkett. Es war Biche, einer der königlichen Hunde, mit deren Hinterlassenschaft Andreas gerade beschäftigt war.

Biche und Alcmene, die Windspiele des Königs, durften im Schloss tun und lassen, was sie wollten. Meist hielten sie sich im engen Umkreis Seiner Majestät auf, doch wenn der Monarch in seinem Schlaf- und Arbeitszimmer saß oder sich mit hohen Herren beriet, wurde es ihnen zu langweilig, und sie erlaubten sich einen Rundgang durch die Zimmerfluchten oder in den Park.

Der Hund schnüffelte an der Schaufel, als wolle er nicht glauben, dass er vor nicht einmal einer halben Stunde für diesen Dreck gesorgt hatte. Er sah Andreas kurz bei der Arbeit zu, dann tapste er wieder davon.

Andreas verließ das schmale Audienzzimmer durch den Dienerausgang. Er durchquerte das Vestibül, wo der offizielle Schlosseingang lag, den er als Domestik nicht benutzen durfte. Er trug den Eimer durch die angrenzenden Dienerquartiere, die hinter der Reihe der Gästezimmer lagen. Schließlich erreichte er den Park, wo er den Hundedreck unter einem Busch ausleerte.

Der Sand hinter ihm knirschte. Schwere Schritte näherten sich. Andreas richtete sich auf. Er wagte selten, Menschen direkt in die Augen zu sehen. Doch der Mann, der auf ihn zukam, war Herr Fredersdorf. Vor ihm hatte Andreas keine Furcht.

»Andreas.« Die Stimme des hohen Herrn war mild. »Was höre ich da? Du bist in der Nacht dem Schloss ferngeblieben? Machst du uns Kummer?«

Nein, hätte Andreas am liebsten gesagt, aber er brachte wie immer keinen Ton heraus. Stattdessen liefen ihm Tränen über das Gesicht.

»Du weinst? Weißt du was? Ich glaube, sie haben dich genug bestraft mit diesem Kot hier. Es wartet eine bessere Aufgabe auf dich.«

Andreas blieb steif und starr stehen. Sein nasses Gesicht wurde kalt. Herr Fredersdorf hob die Hand und reichte ihm eine Nachricht. Angst beschlich Andreas. Er ahnte, was kam.

»Bring das in die Stadt.«

Es traf ihn wie ein Peitschenhieb. Nein! Nicht in die Stadt!

»Du gehst doch nun einmal gern hinunter. Aber du musst auch zurückkommen, verstehst du? Seine Majestät kann ungehalten sein, wenn die Domestiken nicht gehorchen.«

Andreas zitterte, doch Herr Fredersdorf bemerkte es nicht. Er sprach einfach weiter und erklärte, bei wem die Depesche abzugeben war.

»Du wirst hoffentlich uns und unserem König kein ungehorsamer Diener mehr sein. Sieh es als Prüfung an. Und als Beweis, dass Seine Majestät wieder Vertrauen zu dir hat.«

Andreas drängte sich gegen den Busch, die Äste schienen wie Hände nach seinem Rücken zu greifen, ihn abzutasten – als wollten sie ihn von hinten packen. Wie der Mann, der plötzlich in der Nacht aufgetaucht war …

»Es ist gut«, sagte Herr Fredersdorf. »Den Dreck da kann jemand anders vergraben. Geh jetzt.«

Plötzlich hatte Andreas die Botschaft in der Hand. Ein paar Atemzüge stand er noch zitternd da. Der hohe Herr war nicht mehr da. Schließlich siegte die angelernte Lakaiendisziplin, und Andreas setzte sich in Bewegung.

Mechanisch wanderte er die Straße hinunter, die in einigen Kurven zum Potsdamer Brandenburger Tor führte. Berittene Boten kamen ihm entgegen, zwei-, dreimal eine Kutsche. Niemand beachtete ihn. Die Lakaienlivree wies ihn als jemanden aus, der auf der untersten Stufe der Hofbediensteten stand. Ihn musste man nicht beachten.

Selbst die Torwache winkte ihn an den Schlangen von Wagen und Menschen zu Fuß vorbei, die ihre mitgebrachten Waren an der Akzisestelle kontrollieren ließen.

Kaum hatte Andreas die Stadt betreten, entstand vor seinem geistigen Auge der Grundriss der Stadt mit ihren schnurgeraden, manchmal etwas schräg angelegten Straßen, die sich unregelmäßig überkreuzten und schnitten. Während er weitermarschierte, schwebte vor ihm der Stadtplan, den er einmal zufällig in Herrn Fredersdorfs Arbeitskabinett gesehen und der sich seitdem in sein Hirn eingebrannt hatte.

Über dem südlichen Bereich um das Stadtschloss in der Nähe der mächtigen Havel verliefen mehrere Straßen quer, als habe der alte König, der die Stadt plante, einfach ein paar Striche gezogen.

Die breiteste davon war die Brandenburger Straße, der Andreas jetzt in Richtung des Bassins folgte – einem rechteckigen künstlichen See mit einer Insel in der Mitte. Neben dem Faulen See, den man trockengelegt und in einen großen bepflanzten Platz, eine Plantage, verwandelt hatte, bildete er auf Andreas’ innerem Stadtplan eine zweite leere Fläche.

Von diesem Bereich hielt sich Andreas fern. Er bog um eine Ecke und näherte sich dem Kanal. Dort, im Gasthof »Zur Goldenen Krone«, hatte er seinen Brief abzugeben.