Выбрать главу

»Du willst es also nicht? Das habe ich schon gemerkt.«

Nicken.

»Du willst es also doch?«

Kopfschütteln.

Der Mann seufzte. »Kerl, was meinst du nur? Das ergibt doch alles keinen Sinn.«

Andreas hob die Hände und bewegte sie wie ein Flötenspieler.

»Was machst du da?« Der Mann betrachtete die seltsame Geste. »Flöte? Willst du Flöte spielen?«

Der Mann runzelte die Stirn und starrte auf Andreas, der nun die Hände still hielt. »Aber es geht um eine Flöte? Nein? Ach, es geht um einen Flötenspieler? Der Flötenspieler … Der Kammermusikus. Meinst du ihn?«

Andreas nickte.

»Na endlich. Aber was willst du nun sagen?«

Andreas wies auf die Blätter, spielte dann wieder auf der unsichtbaren Flöte und zeigte nach unten auf die Blätter. Dann deutete er auf seinen Kopf.

»Soll das heißen, der Kammermusiker weiß von dem, was wir hier tun? Kerl, ich warne dich …«

Andreas schüttelte den Kopf.

»Nicht? Aber er weiß etwas

Er hatte es verstanden. Andreas bekräftigte es durch heftiges Nicken.

Der Mann zog die Augen zu Schlitzen zusammen. »Er kennt das System? Ist es das, was du sagen willst? Er hat ein System von dir? Sodass nutzlos ist, was wir hier tun?«

Andreas wartete mehrere Atemzüge. Dann nickte er langsam.

»Verdammt«, schrie der Mann. »Warum hast du das getan? Was machen wir jetzt? Eine neue Ausarbeitung wird nichts nützen. Was ist, wenn der König das Grundprinzip von Quantz erfährt? Oh, du bist ein Narr. Hast du es ihm verraten?«

Andreas reagierte nicht.

»Oh nein«, rief der Mann und legte die Hand auf seine Perücke, »du kannst es ihm nicht verraten haben. Du kannst ja nicht sprechen.« Er lief aufgebracht im Raum herum, blieb dann plötzlich stehen. »Du machst eine neue Ausarbeitung. Vorher wirst du weder essen noch schlafen. Und um den Rest kümmern wir uns.«

Er stürmte hinaus und donnerte hinter sich die Tür zu. Der Schlüssel drehte sich im Schloss.

Andreas spürte, wie eine Last von ihm abfiel. Er hatte den gewünschten Aufschub gewonnen.

***

»Danke, dass Sie mich mitnehmen«, sagte Quantz.

Keyserlingk nickte freundlich. »Bitte sehr, aber ich tue Ihnen den Gefallen nicht nur, um Ihnen den Weg zu Ihrer Unterkunft zu erleichtern. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mit Ihnen zu sprechen.«

»Über Musik? Über den seltsamen Kreis der eingeweihten Kontrapunktkünstler, den die Prinzessin gegründet hat?«

»Ich habe schon verstanden, dass Sie völlig unverhofft zu dieser Veranstaltung gekommen sind. Sie wirkten etwas deplatziert.«

»Weil es nicht dem Stil meiner eigenen Kompositionen entspricht? Weil ich mit diesen mathematischen Spitzfindigkeiten wenig anfangen kann? Sicher – ein Komponist muss dergleichen lernen, um das Material zu beherrschen. Wie ein Maler die Perspektive oder ein Dichter das Versmaß. Aber wenn es darum geht, Werke zu schaffen, die neu und originell sind, dann sollte man sich von den Vorschriften, wie und wann welche Stimme voranzuschreiten hat, lösen. Wenn man nicht gerade ein Genie wie Johann Sebastian Bach ist, vertrocknet einem die Musik, während man sie noch aufs Papier schreibt.«

»Wahre Worte, mein lieber Quantz, und Sie werden sich wundern, dass es vor allem einen Musiker gibt, der genau Ihrer Meinung ist.«

»Bachs Sohn? Das ist nichts Neues. Sie wissen sicher, dass das königliche Thema, mit dem alles angefangen hat, von ihm stammt?«

Keyserlingk nickte. »Ich bin über diese Sache informiert. Eine kleine Rache an seinem Vater, die sich – wie das oft der Fall zu sein pflegt – gegen ihn selbst gerichtet hat. Bach will seinen alten Herrn mit dem Thema, an dem er lange gebrütet haben muss, hereinlegen, der Vater macht eine phantastische Ausarbeitung der Idee, der König nimmt sie nicht zur Kenntnis und schickt sie seiner Schwester, die dergleichen Musikorakel liebt – und sie wiederum hält sich an Bachs Sohn, um einen Zirkel zu gründen, der sich genau der trockenen Musikrichtung des alten Bach verschreibt. Carl Philipp Emanuel kann natürlich der Prinzessin keinen Korb geben, und auch Herr Mizler ist ihm keine große Hilfe, denn der ist kein ausführender Musiker. Die größte Ironie des Schicksals aber ist, dass der junge Bach viel lieber frei und voller großer Emotionen auf dem Hammerflügel improvisieren würde. Doch nun wird er bis zum Ende seiner Tage Fugen spielen müssen.«

Langsam schritten die Pferde durch die Innenstadt von Berlin. In der Kutsche war es zu dunkel, als dass Quantz das Gesicht des Grafen hätte sehen können. Warum erzählte er ihm das alles? Wollte er nur mit ihm gelehrt über Musik plaudern?

»Haben Sie Herrn Bach einmal aus dem Stegreif spielen hören?«, fragte Keyserlingk nach einer Weile. »Man hat das Gefühl, er will mit seinen Tönen die Türen zu ganz neuen Reichen aufstoßen. Ich habe auch einen jungen Cembalisten im Dienst. Er heißt Goldberg. Sie haben vielleicht von ihm gehört. Der Kantor Bach hat eine Reihe von Variationen geschrieben, die mir Goldberg immer wieder vorspielt. Es ist wirklich unglaublich, welchen Unterschied man erlebt: hier die abgezirkelte, harmonische Musik des alten Bach, dort die emotionale, affektierte des jungen. Man muss sich fragen, wo das alles noch hinführt. Wie sich die Musik entwickeln wird in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten.«

»Erwarten Sie, dass ich mit Ihnen über die Zukunft der Musik spekuliere, Graf Keyserlingk? Sie wissen, dass das nicht meine Art ist. Ich bin Praktiker, kein Theoretiker.«

»Kein Theoretiker? Und dann gelingt es Ihnen, so etwas zu entwickeln, wie das, was wir gerade erlebt haben?«

Quantz biss sich auf die Lippe und schwieg.

»Ich wollte Sie nur warnen«, fuhr der Graf fort.

»Warnen?« Quantz’ Stimme klang selbst in seinen eigenen Ohren brüchig. »Wovor?«

Keyserlingk lachte leise, aber es war kein abfälliges, sondern ein wohlwollendes Lachen. »Sie können die Verstrickungen, in denen Sie sich gerade befinden, nicht ignorieren. Glauben Sie, die Geschichten über den toten Lakaien, die seltsamen Notendiebstähle und den entflohenen Soldaten machen an der Akzisemauer halt und dringen nicht nach Berlin? Die Prinzessin freilich lebt in ihrer eigenen Welt. Sie interessieren solche Gerüchte kaum. Doch viele andere schon, seien Sie dessen versichert …«

Quantz seufzte. »Ich hätte es mir denken können. Aber ich kann Ihnen auch etwas versichern: Ich habe weder mit dem Tod des Andreas Freiberger etwas zu tun noch mit den anderen Dingen. Es ist eine Hofintrige. Zwischendurch hatte ich sogar schon vermutet, hinter diesem Kreis von Musikenthusiasten stecke derjenige, der hinter der Intrige steckt.«

»Glauben Sie es nicht mehr?«

»Glauben Sie es denn? Sie wissen mehr über diesen Kreis als ich. Und wovor wollten Sie mich eigentlich warnen?«

»Wenn wir eine Sache aus der Betrachtung der Musik, wie sie in den Kreisen der Prinzessin praktiziert wird, gelernt haben, dann doch dies: Musik steht nie für sich selbst. Sie bedeutet etwas. Gefühle. Oder eben etwas Mathematisches, Zahlen. Zeichen.«

»Aber Herr Graf, geht es nicht um eine Hofintrige? Mein Verdacht ist, dass mich jemand aus dem Umkreis des Königs drängen will, weil er meinen Posten haben möchte. Was soll das mit der Musik zu tun haben?«

»Ich bin russischer Gesandter«, sagte Keyserlingk und blickte Quantz mit einem Blick an, der Besorgnis verriet.

»Ja, sicher. Aber was hat das nun mit den Vorfällen zu tun?«

»Mein Verdacht mag schwer zu verstehen sein. Aber nach dem, was ich über diesen Freiberger gehört habe und was sonst noch so berichtet wird über die Vorfälle … Ist Ihnen einmal der Gedanke gekommen, dass man Musik als Spionagemethode verwenden könnte?«

»Wie bitte? Nein … Wie soll das gehen?« Was sollte Quantz davon halten? War das ein Gedanke, der aus Amalias und Mizlers musikwissenschaftlicher Hexenküche stammte? Er belustigte Quantz fast ein wenig.