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La Mettrie schüttelte den Kopf. »Das ist es nur, wenn man auch etwas zu sagen hat. Es erzeugt keine Einfälle. Wenn Sie keine haben, nützt es Ihnen nicht. Opium vermag nur Hemmungen zu beseitigen, die so manchem Künstler im Wege stehen. Viele Autoren sind gehemmt, weil sie glauben, mit ihren Werken, obwohl sie von deren Wahrhaftigkeit vollkommen überzeugt sind, gegen Regeln zu verstoßen, eventuell die Autorität gewisser hoher Herrn zu untergraben. Und deswegen trauen sie sich nicht, ihren Gedanken auf dem Papier freien Lauf zu lassen. Die Gedanken sind aber das Wichtigste.«

»Ich verstehe. Aber mein Fachgebiet ist die Musik. Und da gibt es kaum Gelegenheit anzuecken.«

»Wirklich nicht? Es gibt doch auch Musik, die das Innerste der Emotionen entblößt, die keine Rücksicht auf Formen und Harmonien nimmt, die zuerst erschreckt, doch dann eine tiefere Wahrheit offenbart? Und diese Musik wirklich aufs Papier zu bringen, erfordert Mut. Manche holen sich diesen Mut mit Opium … Nun? Vermissen Sie etwas?«

»Bitte drehen Sie sich um, ich muss etwas überprüfen.«

»Selbstverständlich.« Der Franzose wandte sich ab – dem Fenster zu, das auf den Kanal hinausging.

Mit ein paar Griffen hatte Quantz das Geheimfach in seinem Stehpult geöffnet. Dort bewahrte er einen Teil seiner Ersparnisse auf. Auf den ersten Blick erkannte er, dass die Einbrecher nicht daran gerührt hatten. Er schloss das Fach wieder.

»Fertig«, sagte er.

Der Franzose sah immer noch hinaus. »Wunderbar … Sagen Sie – haben Sie schon einmal bemerkt, dass sich dort drüben in dem Haus etwas tut?«

»Wie meinen Sie das?«

»Wird dort gearbeitet?«

»Hin und wieder. Soviel ich weiß, soll das Haus abgerissen werden.«

»Es sieht aus wie eine Ruine«, sagte La Mettrie.

»Das ist nur vorübergehend. Wie Ihnen bekannt ist, hat Seine Majestät eine neue Bebauung der Stadt angeordnet. Die alten Fachwerkhäuser sollen guten neuen Steingebäuden Platz machen.«

»Ich verstehe«, sagte La Mettrie und wandte sich um. »Und?«

»Was und?«

»Haben die Einbrecher etwas gestohlen?«

»Nein, nicht das Geringste. Aber gehen wir nach unten.«

In der Werkstatt hob Quantz jeden einzelnen Holzsplitter auf und ordnete die Reste den einzelnen Flöten zu, an denen er gearbeitet hatte. Es zeigte sich dasselbe Bild: Nichts fehlte, es war nur alles durchsucht worden. Um Platz zu schaffen, hatte man das Fenster zum Garten geöffnet und einige Werkzeuge einfach nach draußen geworfen.

»Es stellt sich die Frage«, sagte Quantz, »wie der Einbrecher hereingekommen ist. Oder die Einbrecher, falls es mehrere waren.«

»Wahrscheinlich hat Sophie ihnen geöffnet. Oder haben Sie Spuren von Gewalteinwirkung an der Haustür entdeckt?«

»Nein. Aber wir können Sophie später sicher selbst fragen. Vielleicht kann sie den Mann oder die Männer sogar beschreiben.«

»Das hoffe ich«, sagte La Mettrie. »Aber kehren wir doch zu unserem Grundgedanken zurück. Es wurde etwas gesucht und nichts gestohlen. Oder wurde etwas gefunden, von dem Sie gar nicht wussten, dass es da ist? Oder etwas, das Sophie besaß? Wir müssen alles in Betracht ziehen.« Nachdenklich ging La Mettrie auf und ab. In ihm schien es zu arbeiten.

»Gehen wir zurück nach oben, in meine Stube«, schlug Quantz vor. »Dort können wir uns besser unterhalten. Außerdem können wir uns um Sophie kümmern.«

Als sie oben angekommen waren, hörten sie ein leises Stöhnen aus dem Zimmer, wo die junge Frau lag. Sie gingen hinein. Sophie war wach.

»Sophie, endlich«, rief Quantz. »Wie geht es dir?«

»Alles in Ordnung«, flüsterte sie. »Ich hatte nur solche Angst.«

»Monsieur La Mettrie kennst du ja … Er hat dir geholfen.« Quantz wandte sich um. »Wo ist er denn? Monsieur?«

Der Franzose kam aus der Küche. In der Hand hielt er ein Glas mit rötlich verfärbtem Wasser. »Trinken Sie das, Madame«, sagte er. »Und ruhen Sie sich noch ein wenig aus.«

»Einen Moment«, sagte Quantz und wandte sich zu Sophie. »Gleich kannst du wieder schlafen. Bitte hilf uns erst weiter. Wer ist es gewesen? Kannst du ihn beschreiben? Oder waren es mehrere?«

Sophie nickte. »Mehrere«, sagte sie. »Aber … es ging so schnell. Es war sehr spät am Abend. Es hatte geklopft. Ich ging nach unten und habe geöffnet. Da sind sie gekommen, haben mich gepackt. Einer hielt mich, ein anderer lief herein. Ich konnte mich losmachen und rannte nach oben. Einer ist mir hinterher. Ich habe mich im Schrank versteckt. Und saß in der Falle. Er ließ mich nicht raus. Irgendwann blieb mir die Luft weg, und ich wurde ohnmächtig.«

»Waren es Soldaten?«, fragte La Mettrie.

»Ich glaube nicht.« Sophie trank das Glas aus und sank ermattet auf das Kissen zurück.

»Lassen wir sie jetzt schlafen«, sagte La Mettrie.

Sie verließen das Zimmer. Nebenan fragte der Franzose: »Bitte berichten Sie mir genau, was Sie in Berlin gemacht haben. Hat es mit unserem Fall zu tun gehabt, oder waren Sie etwa auf königliche Weisung dort?«

»Ich wollte ein für alle Mal wissen, was die anderen Musiker im Stadtschloss treiben.«

»Und? Ist es Ihnen gelungen?«

»Allerdings.«

Quantz berichtete alles, was er erlebt hatte. »Auf dem Heimweg war ich euphorisch. Stellen Sie sich vor: Andreas hat eine Kompositionsmaschine erfunden. Damit bin ich all meine schöpferischen Sorgen los.«

La Mettrie lächelte. »Herr Quantz, fällt Ihnen eigentlich nicht auf, wie paradox Sie sich verhalten?«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie haben tatsächlich ein Problem als Komponist. Ihnen fällt nichts mehr ein. Die ewigen Konzerte für den König, alle nach demselben Strickmuster. Da muss eines Tages die Originalität auf der Strecke bleiben. In dieser Situation bemerken Sie, dass ich meine Phantasie scheinbar ab und zu ein wenig mit Opium anrege, und Sie tun es mir nach. Das Ergebnis ist ein äußerst peinlicher Auftritt beim König. Danach versuchen Sie es umgekehrt. Anstatt sich emotional zu lockern, glauben Sie nun, man könne mit rein mathematischen Methoden Ihrem Problem zu Leibe rücken. Sind Sie sicher, dass das funktioniert? Wird Ihnen das Komponieren mit den Tabellen nicht auch irgendwann über sein und Ihnen nur noch als lästige Pflicht erscheinen? Und ist das, was Sie auf diese Weise zustande bringen, überhaupt noch Kunst?«

Quantz überlegte. Der Franzose hatte recht, doch es ging nicht um die Frage, ob er Kunst produzierte. »Ich habe einen Dienst zu erfüllen, Herr La Mettrie. Der König –«

»Sie sollten mutiger sein, Herr Quantz, und nicht immer nur auf die Erfordernisse des Dienstes schielen, ehe Sie sich ans Notenpapier setzen. Sie waren doch einmal jung. Damals haben Sie davon geträumt, Musiker zu werden. Sie wollten komponieren. Aber haben Sie sich in Ihren Träumen als Mathematiker gesehen, der Noten aus Tabellen herausschreibt und sich dann freut, wenn sie gut zusammen klingen? Oder als jemand, der im Opiumrausch dahinvegetiert?«

»Dahinvegetiert? Aber Sie selbst nehmen Opium …«

»Und es bekommt mir oft nicht. Es hat auch eine zerstörerische Seite. Ich vertrage es nicht. Vor allem nicht mit Alkohol und fetten Speisen. Aber ich bin in einer Verfassung, in der ich nicht mehr darauf verzichten kann. Das macht mir manchmal Angst.«

»Sie haben Angst?«, rief Quantz überrascht. »Ich habe Ihren Mut bewundert, Ihre Freiheit …«

»Ja, ich habe oft Angst. Und auch wenn ich als Verteidiger des Glücks gelte, bin ich nicht immer fröhlich. Verstehen Sie denn nicht, Herr Quantz? Letztlich geht es doch um nichts anderes, als sich selbst zu finden und sich selbst in seiner Kunst darzustellen.«

»Ich dachte, es ginge darum, den König zu verherrlichen?«

»Ja, darum geht es auch. Weil er uns am Leben erhält. Aber darum geht es eben nicht nur. Und in Wirklichkeit geht es darum nur zu einem kleinen Teil.«