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Quantz wusste nicht, was er sagen sollte. Dass La Mettrie jedes Gespräch so schnell ins Philosophische drängte, strengte ihn an. »Wie schätzen Sie die Andeutungen ein, die Graf Keyserlingk in der Kutsche gemacht hat?«, fragte er.

Der Franzose wiegte den Kopf hin und her. »Ich finde, er hat recht. Was er vermutet, ist letztlich eine gute Erklärung für alles. Musik als Chiffre. Als Geheimschrift … Das ist es doch, worauf er anspielte, oder?«

»Und der König verwendet Chiffren«, sagte Quantz. »Das ist bekannt.«

»Natürlich. Er benutzt die sogenannte Vigenère-Methode. Sie ist sehr einfach und sehr effektiv. Man legt ein Codewort fest, das man für die Verschlüsselung lückenlos hintereinanderweg unter den zu chiffrierenden Text schreibt. Dann zählt man die Anzahl der Alphabetstellen des Codewortes zum Text hinzu und erhält jeweils einen neuen Buchstaben. Verstehen Sie?«

»Nicht so ganz«, gab Quantz zu.

»Nehmen wir an, zu verschlüsseln wäre ein K. Ihr Geheimwort zeigt an derselben Stelle ein Z. Z steht an letzter Stelle des Alphabets. Aus K wird der Buchstabe, der von dort aus an letzter Stelle steht. Also J. Nehmen wir an, im klaren Text stünde T und das Codewort zeige an der Stelle ein B, den zweiten Buchstaben des Alphabets, so würde aus dem T ein U, weil das der zweite Buchstabe nach dem T wäre. Niemand außer den Eingeweihten kennt das Lösungswort, niemand weiß, wie lang es ist und ob es in sich überhaupt einen Sinn ergibt, was ja keine Rolle spielt. So ist die Methode ziemlich sicher. Vorausgesetzt, niemand verrät das Geheimwort. Denn dies schließt alles auf – Texte von riesiger Länge. Ganze Schlachtpläne. Ich habe aber noch nie gehört, dass Musik beim Chiffrieren eine Rolle spielt.«

»Und auch wenn«, sagte Quantz. »Stellen Sie sich vor, Sie wollen Buchstaben durch Notenzeichen ersetzen. Manche Buchstaben sind ja direkt als Noten darstellbar, von A bis zum H. Aber was machen Sie mit all den anderen Buchstaben? Und es käme ein weiteres Problem hinzu: Es ergäbe nämlich keinen Sinn. Nehmen wir an, wir würden den Buchstaben von A bis H die zugehörigen Noten und von I bis Z andere musikalische Zeichen zuordnen, Halbtöne oder Pausen zum Beispiel. Und wir hätten dann ein Wort wie … sagen wir Friedrich. Würde man das als Noten verschlüsselt hinschreiben, würde das Ergebnis zwar wie Musik aussehen, aber jeder, der sich in der Tonkunst ein wenig auskennt, würde sofort erkennen, dass es musikalisch gesehen Unsinn ist. Weil es schlecht klingt. Und es wäre auch nutzlos, die Buchstaben mit anderen Zeichen zu versehen. Das Problem bliebe dasselbe.«

»Ich verstehe«, sagte La Mettrie. »Zeigen Sie mir doch die Tabellen, die in Berlin für solches Aufsehen gesorgt haben –«

Quantz legte die Papiere auf das Pult. »Sie glauben, das hier sei so eine Chiffriermethode? Ich glaube nicht. Es wäre ja noch komplizierter«, fuhr er fort, »wenn diese Unterlagen eine Kompositionsmaschine und eine Grundlage für Chiffrierungen wären. Beides in einem, das kann ich mir nicht vorstellen.«

La Mettrie ließ seinen Blick über die Notenzeichen schweifen. »Solche Begabungen, wie Andreas zweifellos eine besitzt, kommen immer wieder vor. Sie sind angeboren und gehen oft mit einem eigenartigen Verhalten einher, das die Umgebung als Idiotie abtut. Ich denke, dies hier, wie auch die kleinen kombinatorischen Auflistungen bei Ihrer Themensuche, war für Andreas nur Spielerei. Auch die Diebstähle der königlichen Noten. Es kann sein, dass die Einbrecher diese Notierungen hier suchten. Doch es kann auch sein …« La Mettrie schloss die Augen, legte die Hand ans Kinn und schwieg einen Moment. So konzentriert hatte Quantz den Franzosen noch nicht erlebt. »Andreas hatte Angewohnheiten«, sagte er und öffnete die Augen wieder.

»Angewohnheiten? Ja, mir aufzulauern. Noten zu schreiben. Sich seltsam zu verhalten.«

»Das meine ich nicht. Dass er Leuten auflauerte, die ihn interessierten, habe ich auch erlebt. Der Junge war oft bei mir. Er musste mir immer die Einladungen vom König bringen. So wie er bei Ihnen Noten geschrieben hat, befasste er sich bei mir mit der französischen Sprache. Ich habe ihm sogar ein bisschen Französisch beigebracht.«

»Warum haben Sie mir das nie gesagt?«

»Ich sah keinen Anlass dafür. Wer weiß, wo sich Andreas noch herumgetrieben hat …«

Quantz schüttelte den leichten Stich von Eifersucht ab, den ihm diese Nachricht versetzt hatte.

Er musste sich eingestehen, dass er es genossen hatte, von Andreas heimlich besucht zu werden, er wusste selbst nicht, warum. Dann fiel ihm auf, dass der Franzose etwas Bestimmtes hatte sagen wollen, aber wieder einmal kompliziert ausgeholt hatte. »Worauf wollen Sie nun hinaus?«, fragte er.

La Mettrie stand auf. »Wenn Andreas mich nicht vorfand, hatte er eine besondere Art, Botschaften für mich zu hinterlassen. War es bei Ihnen vielleicht genauso?«

»Was meinen Sie?«, fragte Quantz.

Der Kammerherr strebte der Tür zu. »Lassen Sie uns hinuntergehen. Ich zeige es Ihnen.«

Quantz folgte ihm bis auf die Straße. Hier blieb La Mettrie stehen und schien sich das Mauerwerk des Hauses genau anzusehen. Er bückte sich und untersuchte sogar die Treppenstufen.

»Was tun Sie denn da?« Quantz blickte die Straße hinab. Wenn der Franzose so weitermachte, würden sie Aufsehen erregen.

»Also hier ist nichts«, sagte La Mettrie. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte an dem Baum hoch, der auf der Höhe von Quantz’ Haus am Kanal stand. Seine Krone überragte die Straße und reichte bis an die Fenster von Quantz’ Arbeitszimmer heran.

»Manchmal«, sagte Quantz, »ist Andreas dort hinaufgeklettert und hat mich am Fenster zu Tode erschreckt. Er war ein guter Kletterer.«

La Mettrie kniff die Augen zusammen. Dann nickte er, als sei ihm eine Erkenntnis gekommen. »Wir müssen wieder hinauf«, sagte er. »Kommen Sie.«

Als sie im Flur am Fuß der Treppe waren, hielt La Mettrie an und drehte sich um. »Dieser kleine Rat aus Berlin, dieser Weyhe – hat er jemals eine Andeutung gemacht, dass er Sie überwachen lässt?«

»Das war nicht nötig. Der König hat ihm ja freie Hand gegeben, damit er seine Ermittlungen durchführen kann.«

»Das französische Polizeysystem …«, sagte La Mettrie. »Der König hat vor, es auch in Preußen einzuführen.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Abgesehen von bestimmten organisatorischen Details geht es darum, dass in Zivil gekleidete Beamte Verbrechen aufklären sollen. Die Beamten sind als solche nicht zu erkennen.«

»Welchen Vorteil hätte das?«, fragte Quantz. »Wenn man sie nicht erkennt, wie sollen sie sich denn Respekt verschaffen?«

»Es geht nicht um Respekt, sondern um Geheimhaltung. Es geht darum, das Volk zu beobachten, wenn es gerade nicht spürt, dass die Staatsmacht in der Nähe ist.«

»Warum sagen Sie mir das alles?«

Und warum standen sie hier im Treppenhaus? Wäre es nicht bequemer, sich oben in der Stube aufzuhalten? »Weil ich glaube, dass Sie das Objekt genau solcher Ermittlungen sind. Beamte des Königs umgeben Sie, und Sie können sie als solche nicht erkennen.«

»Herrn Weyhe kenne ich doch.«

»Sicher. Aber er wird Helfer haben. Kommen Sie mit hinauf. Und tun Sie so, als sei nichts.«

La Mettrie eilte in den ersten Stock. Quantz kam hinterher. In der Komponierstube stand La Mettrie mit dem Rücken zum Fenster. »Ich bin sicher«, sagte er, »dass Sie überwacht werden, und zwar von dem Haus gegenüber. Dort lauern Helfer von Rat Weyhe oder von sonst jemandem.«

Das Haus gegenüber. Natürlich – darüber hatte Quantz ja selbst schon nachgedacht. Und er hatte dort Licht gesehen!

»Glauben Sie, dass solche Beamte mein Haus durchsucht haben? Sophie sagte ja, es seien Zivilisten gewesen.«

»Möglich.«

»Und woher wissen Sie von der Überwachung?«