Quantz’ Gedanken drifteten, umspült von der Musik, weiter ab. Sanssouci war neu. Erst vor einem Jahr war das Sommerschloss eingeweiht worden – als sichtbares Zeichen einer neuen Zeit. Nach den Kriegen um Schlesien, so hieß es, wollte Friedrich hier seiner Muße frönen und ein neues Arkadien schaffen. Einen Hort der Künste und der Philosophie mitten in Preußen.
Draußen vor dem Schloss blühten auf den Terrassen Wein und Feigen, die mühsam hinter dicken Treibhausgläsern gezogen wurden. Hier drinnen erklang herrliche Musik nach italienischem Gusto – Musik, die von ihm, Quantz, komponiert worden war. Ohne Zweifel würde er im neu entstehenden Arkadien seine Aufgabe haben.
Doch schon immer, seit er zum ersten Mal das Konzertzimmer betreten hatte, fragte er sich, welche Bedeutung dieses Spinnennetz besaß.
Es ging auf acht Uhr zu, als das Konzert vorbei war. Die Musiker entfernten sich bereits in den Marmorsaal, um die Instrumente zu verpacken.
Quantz wurde wie üblich in das hintere Zimmer des Königsflügels gebeten. Hier befand sich Friedrichs Schreibtisch und im Hintergrund, in einer großen Nische, sein einfaches Bett. Die Lakaien hatten die Kerzen angezündet. Das flackernde Licht erfüllte den Raum.
An der kleinen Tür, die zur Bibliothek führte, stand reglos eine Gestalt. Es war Fredersdorf, der »Geheime Camerier und Obertresorier« des Königs, der sich neben vielen anderen Aufgaben auch um die privaten Finanzen Seiner Majestät kümmerte. Er trat vor und händigte Quantz wortlos einen Lederbeutel mit Münzen aus. Das Honorar für die neue Komposition. Fünfundzwanzig Taler.
»Ich bin zufrieden, Quantz«, sagte der König. »Doch Sie machen es mir zu leicht. Mir und sich selbst übrigens auch.«
Quantz neigte den Oberkörper. »Eure Majestät, verzeiht … Ich verstehe nicht.«
Friedrich legte Quantz die Hand auf die Schulter. »Sie schreiben immer dieselben Passagen. Viel zu oft verlassen Sie sich auf das Reglement der einfachen Themen, die wie Fanfaren klingen. Sie sind doch nicht mein Militärmusikus, der Märsche schreibt, nicht wahr?«
»Wie Sie wünschen, Majestät.«
»Ich habe das Gefühl, Sie machen manchmal selbst die Fehler, die Sie mir früher in meinen ersten Kompositionen angekreidet haben. Sie geben sich nicht genug Mühe bei der Erfindung Ihrer Grundeinfälle. Denken Sie darüber nach.«
»Ich werde es beherzigen, Majestät.«
»Kein Reglement, verstehen Sie? Aber trotzdem soll sich jede Erfindung in den Grenzen bewegen, die ein Konzert auferlegt. Harmonie von Strenge und Freiheit.«
Der König ließ sich in dem Stuhl an seinem Schreibtisch nieder. Ein Quietschen kam aus der Ecke neben dem Fenster, wo die Windspiele Biche und Alcmene träge auf dem Parkettboden lagen. Einer der Hunde gähnte und zeigte das hellrosa Fleisch in seinem Maul. Als seine Zähne aufeinanderschlugen, war ein festes, trockenes Klappern zu hören.
»Man kann die Muse nicht bemühen, wenn sie einem nicht gewogen ist. Wagen Sie etwas. Wir werden morgen das neue Konzert noch einmal probieren. Aber seien Sie fleißig, lieber Quantz.«
»Jawohl, Majestät.«
»Ach ja, und noch etwas. Am Mittwoch Souper und Konzert bei der Königin in Monbijou.«
Quantz nickte. Wenn Friedrich »Königin« sagte, dann meinte er seine Mutter, die er gewöhnlich jede Woche in Berlin besuchte. Gelegentlich gehörte die Hofmusik zu seiner Begleitung, sehr selten auch Quantz. Nun war es wieder einmal so weit. Quantz zuckte bei dem Gedanken an die Reise in die preußische Hauptstadt ein wenig zusammen. Er hätte die Zeit lieber zum Komponieren benutzt. Aber er musste gehorchen.
»Danke, das wäre alles«, sagte Friedrich.
Quantz verbeugte sich und ging rückwärts zur Tür. Der König beachtete ihn nicht weiter. Er hatte sich Papieren zugewandt, die auf dem Schreibtisch lagen.
Die Musiker saßen bereits in den wartenden Kutschen, die im letzten Licht des Tages wie dunkle Klötze auf dem Ehrenhof standen, die reglosen Pferde davor.
Als Quantz einstieg und sich neben Bach zwängte, erklang aus Richtung der Stadt ferner Lärm – prasselnde Trommeln, ein dumpfer Kanonenschuss.
Es war Zapfenstreich. Die Soldaten mussten in ihre Quartiere. Die Wachpatrouillen begannen, die Wirtshäuser abzusuchen, um Spätheimkehrer einzusammeln. Auch die Bürger hatten jetzt ihrer Pflicht nachzukommen und sich in die Wohnungen zurückzuziehen.
»Man könnte glauben, es herrsche immer noch Krieg«, murmelte Bach. »Dabei hat der König die Kaiserin besiegt, und wir leben im Frieden.«
Quantz sagte nichts. In ihm tönten die Melodien der Konzerte nach. Die Kutsche fuhr mit einem Rucken an.
Quantz betrat sein Haus, schloss ab und ging an der Stube mit den schlafenden Grenadieren vorbei die Treppe hinauf. Mit jedem Schritt fiel das Gefühl des Stolzes, seiner eigenen Musik in der königlichen Interpretation gelauscht zu haben, von ihm ab. Ein dumpfer Nachklang blieb – die Sticheleien von Bach und die offensichtliche, wenn auch unausgesprochene Missachtung der anderen.
Er machte sich nichts vor. Er wurde wesentlich besser bezahlt als die anderen. Er hatte weniger anstrengende Pflichten, da er nur seiner Eingebung zu gehorchen brauchte – zumindest in den Augen derer, die täglich musizieren mussten, und das nicht nur im Kammerkonzert Seiner Majestät, sondern auch bei großen repräsentativen Anlässen und in der Oper. Und sie hielten es für leicht, alle paar Tage eine gute Viertelstunde Musik zu komponieren, die dem König gefiel.
Oben wartete Sophie. Sie hatte im ganzen Treppenhaus die Kerzen angezündet, um ihm ein festliches Willkommen zu bereiten. Das Leuchten in ihren Augen versprach weitere Freuden, die diese Nacht für ihn bereithielt.
»Du sollst nicht so viel Licht anzünden«, sagte er. »Wie schnell könnte ein Brand ausbrechen.«
Ihr Blick zeigte Enttäuschung, und sofort bereute er seine Worte. »Vergib mir«, fügte er schnell hinzu. »Du weißt, ich kann so viel offenes Feuer schlecht ertragen …«
In seiner Jugend hatte er einmal einen Brand erlebt, in Radeberg, wo er Stadtpfeiferdienste geleistet hatte – damals noch ein siebzehnjähriger Niemand, der von der großen Musikerkarriere träumte. In der Johannisnacht hatte der Blitz eingeschlagen und in Windeseile die ganze Stadt in Brand gesetzt. Auch das Haus, in dem Quantz in einer kleinen Stube unter dem Dach hauste und seine ersten Kompositionen zu Papier brachte.
Wie aus einem Traum war er aufgeschreckt, als die Glocken ertönten und die Rufe »Feuer, Feuer« zu hören waren. Als er auf die Straße trat, hatte schon der Rauch zwischen den Häusern gelegen. Seine Noten und seine Musikinstrumente – eine Geige und eine Oboe – waren in den Flammen geblieben. Noch heute sah er sich durch die Gassen kämpfen, dem Stadttor zu und dann hinaus, nur weg von der höllischen Hitze, die alles zu versengen drohte. Er hatte nur sich selbst und das, was er auf dem Leib trug, retten können.
Sophie servierte im Speisezimmer ein einfaches Mahl – wohl wissend, dass Quantz mit vollem Magen nicht gut arbeiten konnte. Und in die Arbeit stürzte er sich immer, wenn er von den Konzerten des Königs kam. Auf dem Tisch standen Brot, Käse und Rotwein. Auch diese kulinarische Vorliebe hatte er von seinen vielen Reisen mitgebracht. Die Art der Abendmahlzeit stammte aus Italien. Für Quantz beschwor der würzige Geschmack ein wenig von dem Zauber der Nächte herauf, die er an den venezianischen Lagunen, zwischen römischen Ruinen oder an der Küste bei Neapel erlebt hatte. Auch wenn der etwas blasse Rotwein, den er hier in Preußen genoss, von der Ahr, der Käse aus Brandenburg und das Brot aus Potsdam kamen.