»Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich nichts damit zu tun habe. Und was auch immer Ihre Verdachtsmomente gegen Brede sind …«
»Glauben Sie mir, wir haben genug Indizien. Wussten Sie, dass zum Beispiel das Haus, in dem Brede seine Pferde und seine Kutschen untergebracht hat, Dr. Eichel gehört?«
»Ich weiß nicht, wer das ist. Und ich weiß daher auch nicht, warum das wichtig sein soll.«
»Dr. Eichel ist Leibarzt von Graf Bernes. Und dieser wiederum ist der habsburgische Gesandte in Berlin. Also der offizielle Vertreter der ärgsten Feindin unseres Königs am preußischen Hofe. Und wie Sie wissen, erlaubt der König es nicht, dass Gesandte nach Potsdam kommen – außer er lädt sie ausdrücklich ein. Was aber praktisch nie vorkommt. Um dieses Verbot zu umgehen, hat Graf Bernes den Leibarzt Eichel vorgeschickt, der sich in letzter Zeit sehr oft hier in Potsdam aufgehalten hat.«
»Wenn ihm doch hier auch ein Haus gehört. Was wollen Sie damit beweisen? Wo ist die Verbindung zu Andreas Freiberger?« Quantz wurde siedend heiß. Andreas’ versteckte Botschaft in den Zetteln war die Verbindung zu Brede und damit zu diesem Graf Bernes. Hatte Andreas Quantz warnen wollen, und er hatte die Botschaft deshalb an seinem Haus versteckt? Nur er als Musiker war in der Lage, sie zu entschlüsseln. Er fragte sich, ob es dem Beweis seiner Unschuld dienlich sein konnte, wenn er Weyhe davon erzählte. Wahrscheinlich nicht.
»Ich möchte Sie nicht mit den Berichten langweilen, die mich über jeden Schritt des Doktors, des Grafen Bernes und vieler anderer informieren und die ich lesen musste, bevor mir klar wurde, dass sich in der habsburgischen Gesandtschaft etwas zusammenbraut. Das alles müssen Sie nicht wissen. Aber ich glaube, die Verbindung von Brede zu Andreas sind Sie.« Weyhe betrachtete ihn selbstgefällig.
»Ich? Wieso denn ich?« Quantz spürte Trockenheit im Mund. Er musste sich räuspern.
»Glauben Sie, dass es Zufall war, dass der eine Soldat aus Ihrem Haus desertierte und der andere starb? Dass Sie Andreas’ Leiche – wie Sie sagen – in Bornstedt gefunden haben? Obwohl ich immer noch glaube, dass Sie ihn zusammen mit Brede getötet haben, weil er Ihnen zu gefährlich wurde.«
Quantz atmete tief durch. »Ich habe Ihnen gesagt, wie es war. Und dabei bleibe ich. Es ist die Wahrheit, die ich auch dem König gegenüber vertreten werde. Bringen Sie mich zu ihm.«
»Vergessen Sie den König. Vertreten Sie es vor mir. Ich habe alle Vollmachten, wie Sie wissen. Ich bin in diesem Moment der König, verstehen Sie das denn nicht?« Weyhe, der immer noch vornübergebeugt dagesessen hatte, schob den Stuhl nach hinten und erhob sich. Offenbar war er es leid, immer zu Quantz aufsehen zu müssen. »Ich werde Sie direkt von hier aus nach Berlin bringen lassen. Dort wird man sich bei Gericht mit Ihrem Fall beschäftigen.«
»Aber Seine Majestät …«
»Nun vergessen Sie doch den König! Er schätzt es nicht, seine Autorität in Rechtsdingen persönlich walten zu lassen. Er duldet keine Rechtsbeugung durch seinen direkten Einfluss. Wir haben einen gerechten Herrscher, Herr Musikus. Seine Gerechtigkeit besteht unter anderem auch darin, dass er seinen Behörden traut.«
»Kann ich mich bitte setzen?«, fragte Quantz.
»Bitte sehr. Nehmen Sie sich einen Stuhl.« Weyhe wandte sich ab und sah aus dem Fenster, das von dem intensiven Blau des Himmels ausgefüllt war. »Es wäre besser für Sie, alles zu gestehen. Sie könnten darauf hoffen, dass man es Ihnen in Ihrem Sinne anrechnet. Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich Ihnen helfen will. Und dass dies jetzt Ihre letzte Möglichkeit ist.«
»Gestehen? Aber was?« Quantz schüttelte den Kopf.
Weyhe wandte sich um. »Alles, was Sie wissen. Da ist doch noch etwas, das Sie vor uns verbergen. Was wirklich auf dem Bornstedter Feld geschah. Die Geschichte mit dem Unbekannten auf der Plantage, dem angeblichen Fund der Leiche … all das glaubt Ihnen doch keiner. Und Andreas Freiberger … Was hat er gewusst?«
»Wenn ich es Ihnen sage – lassen Sie mich dann mit dem König sprechen?«
»Nur wenn es der König wünscht. Aber wie gesagt, was er vor allem wünscht, ist eine gerechte, unabhängige Arbeit seiner Behörden.«
»Gerechtigkeit …« Einen Moment überlegte Quantz noch. Er hatte doch die Wahrheit gesagt. Und es wurde ihm als Lüge ausgelegt. Hatte es Sinn, noch mehr zu erklären? Wenn er wirklich alles sagte … Wahrheit war immer die ganze Wahrheit. Eine halbe Wahrheit gab es nicht. Er fasste einen Entschluss. »Also gut«, sagte er. »Es gibt eine Verbindung zwischen Brede und Andreas. Ich weiß aber nicht, wie sie beschaffen ist. Sie werden sie auch nicht verstehen.«
Weyhe blieb regungslos am Fenster stehen und blickte wieder in den blauen Himmel.
»Sagen Sie mir nicht, was ich denken soll. Sagen Sie mir lieber endlich, was Sie wissen.«
»Ich versuche es … Wie gut kennen Sie sich mit Musik aus?«
Weyhe drehte sich um. Jetzt zeigte sich Überraschung auf seinem Gesicht. »Musik?« Er sah Quantz an. »Was hat das damit zu tun?«
»Verstehen Sie etwas davon? Ich meine, Noten lesen und so weiter?«
»Ich kann ein Tänzchen wagen, wenn es in gesellschaftlicher Form gewünscht wird. Aber meinen Sie, ich vergeude meine Zeit mit Flötenbläserei, Geigenkratzen oder Klaviertraktieren? Unnützes Zeug! Für was halten Sie mich? Für einen Müßiggänger? Für einen Tagedieb? Für einen Gaukler?«
In Quantz’ Brust formte sich ein dicker Klumpen aus Ärger. Was bildete sich dieser aufgeblasene Wicht ein? Die Tonkunst so zu verunglimpfen. »Sie werden gleich erleben, dass Sie sich der Bildung auf diesem Gebiet lieber nicht entzogen hätten«, sagte er bitter. »Und dann werden wir sehen, wer der wahre Tagedieb ist.«
Weyhe runzelte die Stirn. »Mäßigen Sie sich. Sie sprechen mit einem Beamten des Königs.«
»Sie ebenfalls.«
Der Blick des Rates wurde eiskalt. »Jeder kleine Grenadier leistet in einem Monat mehr als Sie in einem ganzen Leben. Sind Sie in der Lage, mit Ihrer Flöte Kriege zu gewinnen? Können Sie mit Ihren Noten Politik machen? Sie sorgen dafür, dass der König ein wenig Zerstreuung findet – für ein, zwei Stunden am Tag. Das könnte jede Hure leisten, wenn sich der König etwas aus Frauen machen würde. Aber im Grunde sind Sie nichts Besseres. Auch wenn Sie fürstlich dafür bezahlt werden, Herr Musikus.« Weyhe schien das letzte Wort voller Verachtung auszuspucken.
Der Klumpen in Quantz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Dass er einem solchen Ignoranten so ausgeliefert war – so etwas hatte er noch nie erlebt. Weder in Preußen noch in Sachsen, schon gar nicht auf seinen vielen Reisen. Sein Leben lang war er Menschen, die völlig taub für die Schönheiten der Musik waren, aus dem Weg gegangen. Und nun saß er in der Falle und musste sich gegen diesen kleinen Rat behaupten, der sich in der Gnade des Königs sonnte.
»Mit Ihrer Ansicht werden Sie sich beim König nicht beliebt machen«, sagte er. »Und letztendlich ist es doch das, was Sie wollen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen um mein Ansehen beim König.«
»Er schätzt ja nicht nur die in Ihren Augen so zeitverschwendende Musik, sondern auch die Dichtung. Er komponiert und dichtet selbst. Er schreibt in einer Sprache, die seine Untertanen, soweit sie nicht gerade sehr gebildet sind, kaum sprechen – und die Sie, lieber Herr Weyhe, auch nicht beherrschen. Glauben Sie, dass der preußische Hof wirklich der richtige Platz für Sie ist?« Quantz lächelte, spürte aber selbst, wie gezwungen dieses Lächeln war.