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Quantz musste noch einmal ausgiebig verhört werden. Und wenn man alles aus ihm herausgebracht hatte, was herauszuholen war, hatte Weyhe das Ziel erreicht, auf das er so lange hingearbeitet hatte: ein wichtiger Berater Seiner Majestät zu werden. Gleich unter dem Großkanzler. Als Bindeglied zwischen den Behörden. An der Seite des Königs. Und wenn er das erst einmal geschafft hatte …

Er stutzte, als er den hellen Hof betrat. Die kleine Eskorte mit Quantz und den beiden Soldaten war stehen geblieben. Das Fortunator war versperrt. Eine blau gestrichene, viersitzige Kutsche stand quer vor dem Durchgang protzig im Weg.

Weyhe drängelte sich an Quantz und den Grenadieren vorbei und fuhr den Mann auf dem Kutschbock an. »Mach Er Platz, Kerl. Wir müssen vorbei. Sofort.«

Der Mann rührte sich nicht vom Fleck. Erst jetzt wurde Weyhe klar, dass er die Livree der königlichen Kutscher trug. Was war hier los? Wer befand sich in dem Fahrzeug? Es besaß kein Wappen auf der Seite, gehörte also nicht zum Fuhrpark Seiner Majestät.

»Hat Er nicht gehört? Platz machen soll Er! Wie ist Sein Name? Ich werde dem König melden, wie er sich verhalten hat. In einer Stunde bin ich bei Seiner Majestät.«

Die Tür der Kutsche öffnete sich, und heraus trat ein Offizier mit Federschmuck am Hut und glänzenden Tressen, die in der Sonne leuchteten. Weyhe hatte sich mit den Dienstgraden und Rangsymbolen der preußischen Armee befasst und sah sofort, dass es sich um einen Capitaine, einen Hauptmann der Leibgarde, handelte. Die Uniform schien brandneu zu sein. Wahrscheinlich hatte der Offizier noch kein einziges Manöver mitgemacht. Oder er hatte einen guten Burschen, der ihm den Rock vorbildlich sauber hielt.

»Was schreit Er hier herum?«, sagte der Capitaine.

»Entschuldigen Sie, Herr Hauptmann. Rat Weyhe mein Name. Ich habe einen Gefangenen nach Berlin zu überstellen. Wenn Sie so freundlich wären, die Durchfahrt frei zu machen. Unser Fahrzeug wartet vor dem Tor.«

»Einen Gefangenen?« Der Offizier zupfte seine blendend weißen Handschuhe zurecht. »Doch nicht etwa den Quantz?«

»Aber ja, Herr Capitaine, genau den.« Weyhe konnte die Blicke des Musikus und der Grenadiere in seinem Rücken spüren.

Jetzt sah der Hauptmann über Weyhe hinweg und blickte die Grenadiere an. »Ihr da. Den Quantz herbringen.«

Ehe Weyhe etwas sagen konnte, führten sie den Musikus heran. »In die Kutsche mit ihm«, befahl der Capitaine.

»So warten Sie«, sagte Weyhe. »Er soll nach Berlin. Ich bin noch nicht fertig mit ihm.«

»Seine Majestät ebenfalls nicht.«

»Aber ich habe befohlen –«

»Seit wann befiehlt ein Zivilist?«, schrie der Offizier und gab den Soldaten den Befehclass="underline" »Weitermachen.«

Weyhe näherte sich der Kutsche, in der zwei Männer saßen. Es waren Zivilisten wie er, hohe Herren in bunten Röcken, wie es schien. Als er nahe an der Tür war, erkannte er sie. Der eine war d’Argens, der andere Algarotti. Kammerherren.

»Wer hat den Befehl erteilt?«, fragte er den Capitaine, während Quantz die Kutsche bestieg.

»Was geht Ihn das an?«

»Ich will die Ordre sehen.«

»Hat Er eine Ordre für den Transport nach Berlin?«

»Nein, aber Seine Majestät wird sie mir geben, wenn ich mit Ihm gesprochen habe. Und das wird in spätestens einer Stunde geschehen.«

»Er will eine Ordre von mir und hat selber keine? Kerl, ist Er besoffen? Seine Majestät will den Quantz sehen. Halt Er sich zurück, verdammt noch mal.«

Das durfte nicht wahr sein! Der Musikus zum König? Damit er sich doch noch herausredete? »Wie ist Ihr Name?«, fragte Weyhe. »Ich kenne viele Offiziere, aber Sie habe ich noch nie gesehen.«

»Voigt«, sagte der Offizier. »Seit heute im Regiment. Auch wenn Ihn das nichts angeht.«

»Seit heute? Woher sind Sie gekommen? Aus Berlin?«

»Köpenick«, sagte der Capitaine und lächelte. »Ich war ein Junge aus Köpenick, ehe ich in die preußische Armee eintrat, in Schlesien kämpfte und nach einer Zeit auf den Gütern meiner Familie zum Soldatenleben zurückkehrte. Doch wir kommen ins Plaudern. Und dafür ist keine Zeit. Entschuldige Er uns jetzt. Wir müssen los.«

Weyhe schüttelte den Kopf. Voigt … Nie gehört.

Der Offizier beachtete ihn nicht weiter, nahm neben Quantz in der Kutsche Platz und gab ein Zeichen. Das Fahrzeug wendete. Weyhe rannte zur Tür und klopfte dagegen.

»Was will Er noch?«, rief der Hauptmann ärgerlich, als er den Schlag einen Spalt geöffnet hatte.

»Nehmen Sie mich mit zum König«, rief Weyhe. »Ich muss als Ermittler in dieser Sache dabei sein.«

»Pardon, Monsieur, aber die Plätze sind besetzt.« Von drinnen ertönte lautes Gelächter. »Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten selbst eine Kutsche?«

Weyhe sah hilflos zu, wie sie durch das Tor verschwanden. Er ballte die Fäuste und fluchte vor sich hin. Die Grenadiere standen immer noch da.

»Steht nicht herum wie die Idioten«, schrie Weyhe. »Wir müssen hinterher. Zum König.«

24

Kaum war die Kutsche durch das Tor gefahren, und kaum war das Gelächter verklungen, erwachte Quantz aus seiner Erstarrung. Seine Majestät wollte ihn sprechen. War das Glück oder Pech? Würde das alles nur noch schlimmer machen?

Er sah in die Gesichter von d’Argens, des operndichtenden Algarotti und diesem Hauptmann Voigt, und ihm dämmerte, dass etwas nicht stimmte. Wenn dem König an einem Gespräch mit ihm gelegen war, schickte er einen Boten mit einer kurzen schriftlichen Ordre an Weyhe. Es war nicht die Art Seiner Majestät, zwei Kammerherren und einen Offizier für so eine banale Aufgabe in Bewegung zu setzen.

Die Herren sahen ihn schweigend an.

»Was wird hier gespielt?«, fragte Quantz, und als sei diese Frage der entscheidende Zünder zu einer Explosion gewesen, brachen alle drei ein weiteres Mal in schallendes Gelächter aus.

»Es wurde Zeit, dass jemand es diesem aufgeblasenen Wicht einmal zeigt«, sagte d’Argens.

»Allerhöchste Zeit«, bestätigte Algarotti. »Diesen unsäglichen Menschen könnte man gerade in eine Commedia verpflanzen. Er macht sich lächerlich, aber er merkt es noch nicht einmal.« Wieder folgte ein Salve von Gelächter.

»Dieses Gesicht«, sagte d’Argens. »Man müsste ein Pesne sein, um es malen zu können.«

Algarotti nickte. »Schade, dass es nur in unserer Erinnerung weiterlebt. Doch das war die Sache schon wert.«

Die Kutsche nahm nicht den direkten Weg zum Brandenburger Tor und damit zum Sommerschloss. Sie waren in die Hüttergasse hinauf zum Kanal gefahren und bogen jetzt rechts ab – in Richtung Kellertor.

»Sie haben dem Rat einen Streich gespielt?«, fragte Quantz.

D’Argens nickte. »Ja, und was für einen.«

»Aber warum? Wollen Sie mich wirklich zu Seiner Majestät bringen? Wir fahren eine ganz andere Strecke. Was haben Sie vor?«

»Keine Sorge. Es geht nicht zum König, sondern zu einem Freund. Einem Freund von Ihnen und einem Freund von uns. Einem gemeinsamen Freund von uns allen.«

»Wer? Etwa La Mettrie?«

»Voilà«, sagte der Marquis. »Er hat uns Ihre Lage geschildert. Und wir haben uns so prächtig amüsiert, als Sie neulich in die Tafelrunde des Königs platzten … Wir haben uns gedacht, dass wir Ihnen ein wenig unter die Arme greifen müssen. So weit das in unserer Macht steht.«

»Aber was geschieht nun?«

»Lassen Sie sich überraschen.«

Sie folgten dem Kanal, dann ging es wieder in Richtung des Hauses, wo Brede seine Fahrzeuge und seine Pferde stehen hatte.

Die Kutsche hielt. Der Offizier, der Quantz gegenübersaß, öffnete den Schlag. »Sie gestatten?«

»Sind Sie wirklich Hauptmann?«, fragte Quantz.

Wieder Gelächter. D’Argens legte ihm die Hand auf das Knie. »Je weniger Sie über unseren kleinen Streich wissen, desto besser. Machen Sie das Beste daraus. Wir wünschen Ihnen Glück.«