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»Aber wo ist er hin?«

»Man wird ihn weggebracht haben. Dorthin, wo man seine Fähigkeiten braucht.«

Quantz seufzte. »Wenn wir nur eine Spur von ihm finden würden. Einen Beweis, dass er hier war. Ein Kleidungsstück zum Beispiel.«

»Da werden wir kein Glück haben. Lassen wir es gut sein, lieber Maître de Musique. Wir sollten uns mit etwas anderem befassen, das mir eben aufgefallen ist.« Sie wollten zurückgehen, da packte La Mettrie Quantz mit der freien Hand am Arm.

Von vorn, von der Wachstube her, kamen Schritte.

»Wir müssen hier raus«, zischte La Mettrie und zog Quantz am Rock hinter sich her. Doch da knallte dröhnend Eisen auf Stein. Die Kerkertür war zu. Ein Schlüssel knirschte im Schloss.

»Hallo?«, schrie La Mettrie. Die Eisenstäbe standen so weit auseinander, dass der Franzose die Lampe eine Armlänge in die Wachstube halten konnte. Und da auf der Treppe stand neben dem Brunnenschacht ein grobschlächtiger Mann.

»Brede«, rief Quantz. »Brede, Er ist das. Lass Er uns hier heraus.«

Der Fuhrmann rührte sich nicht von der Treppe. La Mettrie rüttelte an den Eisenstäben. Brede grinste über das ganze Gesicht.

»Was fällt Ihm ein«, schrie der Franzose, »einen Kammerherrn und den persönlichen Musikmeister des Königs einzusperren. Das wird Ihn teuer zu stehen kommen.«

Nun kam Brede langsam die Stufen hinunter und setzte sich breitbeinig auf die Bank. »Ihr seid Verräter«, sagte er. »Und Verräter gehören in den Kerker.«

»Er weiß genau, dass das nicht wahr ist«, rief Quantz. »Wir haben alles herausgefunden. Er ist der Verräter. Er hat Andreas entführt. Und hier versteckt. War Er auch der Unbekannte auf der Plantage?«

Bredes Grinsen fiel in sich zusammen, und sein Blick wurde düster. »Niemand kann davon wissen«, brummte er.

»Selbstverständlich können wir das wissen«, schrie La Mettrie, »und Er ist ein Hornochse, wenn Er das nicht begreift. Wir wissen alles. Dieser geheime Keller wird Seine Majestät sehr interessieren. Und Er hat auf jeden Fall ausgespielt, denn wenn erst einmal bewiesen ist, dass von hier aus die flüchtigen Grenadiere die Stadt verlassen haben, dann wird Seine Majestät eins und eins zusammenzählen.«

La Mettries Tirade würde ihnen nichts nützen, da war sich Quantz sicher. Was brachte es, in ihrer Lage den Mann, der sie eingesperrt hatte, auch noch zu beschimpfen? Vielleicht würden sie nie Gelegenheit haben, Seiner Majestät von dem Keller zu erzählen. Und davon, wie die Flucht der Deserteure vonstattengegangen war. Und überhaupt … Wie genau konnten die Soldaten die Stadtmauer überwinden? Es musste von hier einen weiteren Ausgang geben. Einen, der vielleicht weiter in die Tiefe führte. Plötzlich wusste Quantz die Antwort.

»Der Brunnen!«, rief er. »Sie sind durch den Brunnen geklettert. Er besitzt eine Verbindung zur Havel.«

»Selbstverständlich, Herr Quantz«, sagte La Mettrie mit beißender Ironie in der Stimme. »Schön, dass Sie auch endlich drauf gekommen sind. Und wenn ein Grenadier zu schwach auf der Brust ist, um die lange Strecke zum anderen Havelufer zu tauchen, dann helfen ihm die Schilfrohre.«

»Sehr gut, die Herren, sehr gut.« Brede stand auf. »Doch diese Erkenntnis wird Euch nichts nützen. Der Herr Rat wird Euch für die Verräter halten. Er wird dem König die Schuldigen liefern und die seid Ihr.« Er wandte sich der Holztür zu.

»Brede, ein Wort noch«, rief Quantz. »Sag Er mir, warum Er das getan hat. Warum verrät Er unseren guten König? Ich habe immer große Stücke auf Ihn gehalten. Sag Er es mir. Bitte.«

Der Fuhrmann blieb stehen, wartete kurz, und dann drehte er sich um. Sein Gesichtsausdruck wirkte sehr ernst. »Der König ein guter König? Das sagt Ihr, der Ihr in der Pracht des Schlosses Musik machen dürft.« Seine Augen wurden enger. »Ein Schinder ist er. Nicht besser als seine prügelnden Unteroffiziere. Er macht sich selbst nicht die Hände schmutzig. Aber seine Männer marschieren in den Tod. Sieben Brüder hatte ich. Sechs sind in Mollwitz ins Feuer gegangen. Der siebente musste durch die Prügelgasse. Als er verblutet war, da hab ich dem König feierlich Rache geschworen. Und ich habe geschworen, allen Grenadieren, die sich von ihm lossagen wollen, zu helfen.«

Für ein paar Atemzüge war es still im Raum. Brede blickte stumm zu ihnen hinüber. Dann griff er in eine Tasche in seinem Wams, holte etwas hervor und warf es zur Eisentür hin. Es klirrte auf dem Stein. La Mettrie hob die Lampe. »Der Schlüssel«, rief er überrascht. Quantz blickte rasch zu Brede, doch der Fuhrmann war verschwunden. Die massive Holztür hatte er hinter sich geschlossen.

Der Franzose angelte sich den Schlüssel und öffnete die Kerkertür. Er rannte die Stufen hoch. »Versperrt«, sagte er. »Er hat unser Gefängnis vergrößert, aber gefangen sind wir dennoch.«

Quantz legte seine rechte Hand um einen der Stäbe. La Mettrie drehte sich um. »Wahrscheinlich«, sagte er, »haben Sie ihn mit Ihrer Aufforderung, sich zu erklären, ein wenig erweichen können. Aber so recht will mir das alles nicht einleuchten. Worin besteht der Unterschied, ob wir im Kerker verschmachten oder festgenommen werden – oder in der kleinen Stube hier?«

Quantz ging zu ihm hin und blickte hinab in den Brunnen. Das Wasser wirkte kompakt. Es schimmerte wie schwarzes Glas. »Vielleicht wollte er uns eine letzte Chance geben? Eine Chance zur Flucht?«

»Aber warum? Was liegt ihm daran? Nun gut, immerhin können wir jetzt unsere Theorie überprüfen. Ihr wirklich bis auf den Grund gehen. Was meinen Sie, lieber Maître de Musique? Ob man durch dieses Loch wirklich auf die andere Seite der Havel gelangt?«

»Was wollen Sie tun?«, fragte er, obwohl er die Antwort kannte. Nein, dachte er. Alles, nur nicht in diesen Brunnen.

La Mettrie lächelte. »Was man eben tut, um Erkenntnis zu erlangen. Sie sollten es mittlerweile wissen.« Er stellte die Lampe auf das Mäuerchen und zog sich die Schuhe aus.

»Das ist nicht Ihr Ernst, Monsieur!«

»Wollen Sie lieber hier unten versauern? Wir brauchen alle Erkenntnisse, mein lieber Freund. Erst dann können wir unsere Unschuld beweisen. Das heißt – Ihre Unschuld natürlich. Ich als Kammerherr des Königs bin ja über alle Schuld erhaben.« Er stand nun in Strümpfen da und lächelte Quantz verschmitzt an, als sei das alles nur ein Spiel. Als befänden sie sich nicht in den geringsten Schwierigkeiten. Gleichzeitig leuchteten seine Augen, als berste er vor Unternehmungslust.

»Sind Sie sich da sicher?«, sagte Quantz. »Immerhin sieht es für Seine Majestät jetzt so aus, als hätten Sie mit dem angeblich verräterischen Hofflötisten gemeinsame Sache gemacht. Das haben Sie nun von Ihrer Sucht nach Erkenntnis.«

La Mettrie sah ihn nachdenklich an. »Sie mögen recht haben. Und so bleibt uns tatsächlich nur eine einzige Möglichkeit.«

Er ging zu dem Bündel Schilf hinüber und nahm einige der Stäbe. Dann zog er seinen Rock aus. »Was ist mit Ihnen, lieber Maître de Musique? Können Sie nicht oder wollen Sie nicht?« Als Quantz immer noch zögerte, fügte er mit einem Zwinkern hinzu: »Habe ich Ihnen nicht vorgeschlagen, einmal in der Havel zu baden? Jetzt haben Sie Gelegenheit dazu.«

***

Brede kletterte schnaufend in dem engen Schacht aufwärts und kämpfte sich aus dem Verschlag unter der Treppe hervor. Auch hier oben im Flur war es dämmrig. Die Nacht brach langsam herein. Bald war Zapfenstreich.

»Da ist Er ja.«

Der Fuhrmann richtete sich auf. Eine dunkle kleine Gestalt füllte den Eingang von der Straße aus. Auch ohne die Person zu erkennen, wusste Brede, wer da vor ihm stand. Es war der Rat Weyhe.

Brede bückte sich und machte einen Diener. »Halten zu Gnaden, ich habe die Verräter gefangen. Sie sind in meinem Keller.«

Der Rat schwieg.

»Soll ich Euch zu Ihnen bringen?«, fragte Brede. »Der Weg ist verborgen. Man muss hinter der Treppe –«