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Er ging zu einem Telefon, wählte den Zentralen Fernsprechdienst und sagte: „Ich möchte eine Mitteilung an den Gelehrten Myreck, Akademie für Abstrakte Wissenschaften, Zustellungsabteilung, Valloin, Zweigstelle 86, senden.“ Es war eine Deckadresse, die Myreck ihm genannt hatte. „Die Mitteilung lautet: Baird Ewing ist von unseren Gegnern verhört und gefoltert worden. Augenblicklich schläft er in seinem Hotelzimmer. Rufen Sie ihn heute nachmittag an.

Diese Nachricht ist Punkt Vierttagmittag zu übermitteln. Ist das klar?“

Er ging durch die Halle zu einem müßigen Terrestrier und fragte „Verzeihung — könnten Sie mir einen Einkredit-Schein wechseln? Ich möchte die Energitronzelle benutzen und habe kein Kleingeld.“

Der Terrestrier gab ihm zwei Halbkreditmünzen; sie wechselten einige höfliche Worte, dann strebte Ewing auf die Zelle zu, befriedigt, daß sich seine Identität eingeprägt hatte. Nach der Explosion würde es Zeugen geben, die aussagten, daß ein schlanker Mann die Zelle betreten hatte.

Er schob eine Münze in den dafür bestimmten Schlitz; der Energievorhang, der den Eingang bildete, färbte sich lange genug hellrosa, daß Ewing hindurchtreten konnte, und kehrte augenblicklich wieder zu seiner schimmernden schwarzen Undurchsichtigkeit zurück. Ewing stand vor einem Strahl warmen roten Lichtes.

Die Energitronzelle stellte lediglich eine Spielart der gewöhnlichen Ionenstrahldusche dar, eine molekulare, zerstäubte „Flüssigkeit“, die dem Reklameschild zufolge den Körper belebte und das Herz erfrischte. Ewing wußte, daß sie zugleich eine wirksame Selbstmordmöglichkeit lieferte. Eine hellerleuchtete Tafel besagte:

VORSICHT!

DER BENUTZER WIRD DAVOR GEWARNT, SICH DEN IN DIE ZELLE EINGELASSENEN GRENZLINIEN ZU NÄHERN ODER SICH AN DEM MECHANISMUS DES ENERGITRONS ZU SCHAFFEN ZU MACHEN. ER KANN IN UNGEÜBTEN HÄNDEN GEFÄHRLICH SEIN.

Ewing lächelte kalt. Mit ruhigen Fingern griff er nach dem plombierten Kontrollkasten; er riß ihn auf und drehte den Rheostaten in seinem Innern scharf nach oben. Der Molekularstrahl veränderte sich; er wurde verschwommener und knatterte.

An den Grenzlinien der Zelle existierte, wie er wußte, eine Gefahrenzone, die von nicht völlig ausgeglichenen Kraftfeldern eingenommen wurde; einen Arm oder ein Bein dazwischenzuhalten, konnte eine heftige Explosion zur Folge haben. Er näherte sich den Grenzlinien und streckte die Hände in die Gefahrenzone.

Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte ihn: Was ist aus meinem Retter geworden? Ihn hatte er bei seinen Erwägungen völlig außer Acht gelassen. Ewing dachte einen Augenblick lang über ihn nach; dann blieb ihm keine Zeit mehr, weiter zu überlegen, denn ein blendender Blitz lohte auf, eine donnernde Energiewelle erhob sich aus der Zelle und zermalmte ihn in ihrem mächtigen Griff.

12. Kapitel

Ewing erwachte. Sein Körper war steif und schmerzte an hundert Stellen, sein Kopf dröhnte. Er drehte sich im Bett um und preßte eine Hand gegen die Stirn.

Was ist geschehen?

Die Erinnerung kehrte zurück. Stöhnend kroch er aus dem Bett und starrte sich im Spiegel an. Er sah erschreckend hager aus. Dunkle Ringe umgaben seine Augen. Er machte einen schlechteren Eindruck als in dem Moment, in dem er Tage zuvor auf dem Schiff erwacht war.

Ein Umschlag lag auf dem Stuhl neben seinem Bett. Er runzelte die Stirn, hob ihn auf, befühlte ihn. Er war verschlossen und an ihn adressiert. Er öffnete ihn. Fünf Zweikredit-Scheine flatterten heraus, und mit ihnen ein Briefbogen. Er legte die Banknoten sorgfältig auf das Bett, faltete den Bogen auseinander und begann zu lesen.

„Zweittagnachmittag. An mein Selbst einer früheren Zeit — den Mann, den ich Ewing-zwei nenne, von Ewing-eins …“

Er kam beim Lesen wieder völlig zu sich. Seine erste Reaktion bildeten Ärger und Unglaube; dann begann er an seinen Fingernägeln zu knabbern, als er bestimmte Formulierungen erwog. Er besaß einen einigermaßen kenntlichen Diktatstil. Und dies war entweder eine hervorragende Kopie oder das Original.

In welchem Fall —

Er schaltete den Kommunikator ein und fragte: „Welches Datum haben wir heute, bitte?“

„Vierttag, den dreizehnten Fünftmonat.“

„Danke. Wie kann ich Zugang zu den Telestatberichten vom Zweittag, dem elften, erlangen?“

„Wir könnten Sie mit dem Archiv verbinden“, schlug der Robot vor.

„Tue das“, stimmte Ewing zu.

Er vernahm das Klicken umgeschalteter Relais, dann sagte eine neue robotische Stimme: „Archiv. Wie können wir Ihnen dienen?“

„Ich bin an dem Wortlaut einer Nachricht interessiert, die ein Ereignis behandelt, das am Zweittagnachmittag stattfand. Kurzschluß in einem Energitronmechanismus der Vorhalle des Grand Valloin Hotels.“

Fast augenblicklich antwortete der Robot: „Wir haben die Nachricht. Sollen wir sie vorlesen?“

„Ja.“

„Zweittag, 11. Fünftmonat 3806. Die Explosion einer Energitronzelle in der Halle des Grand Valloin Hotels forderte ein Menschenleben, verursachte einen auf zweihunderttausend Kredite geschätzten Sachschaden, verletzte drei Gäste und unterbrach den normalen Hotelbetrieb für nahezu zwei Stunden. Als Ursache wird ein erfolgreicher Selbstmordversuch angenommen. Kein Leichnam konnte geborgen werden, aber Zeugen erinnerten sich, daß ein schlanker Mann in Straßenkleidung wenige Augenblicke vor der Detonation die Zelle betreten hatte. Von den Gästen des Hotels wird keiner vermißt. Die Nachforschungen der Polizei haben eingesetzt.“

Der Robot hielt inne und schloß: „Das ist alles. Wünschen Sie eine Kopie? Sollen wir nach weiteren Informationen über den Gegenstand suchen?.“

„Nein“, erwiderte Ewing. „Nein, nein, danke.“ Er unterbrach die Verbindung und ließ sich schwer auf die Bettkante fallen.

Es konnte natürlich immer noch eine Täuschung sein. Aber zuviele unerklärliche Umstände und unmotivierte Handlungen waren darin eingeschlossen. Anzunehmen, daß ein früherer Ewing sich in der Zeit verdoppelt hatte, um ihn zu retten und die Nachricht zu hinterlassen, stellte die bei weitem einfachere Hypothese dar.

Ein annähernd endgültiger Beweis ließ noch auf sich warten. Ewing fand eine kleine blaue Frosterpistole auf seinem Nachttisch und studierte sie nachdenklich.

Der Mitteilung zufolge würde Myreck nach seinem Erwachen anrufen.

* * *

Eine Stunde später saß er in einem Salon der Akademie für Abstrakte Wissenschaften in einem Laxosessel und fühlte, wie die Schmerzen ihn unter Myrecks geübten Fingern verließen. Musik hüllte ihn ein, faszinierende alte Musik — Beethoven, hatte Myreck gesagt. Er schlürfte sein Getränk. Ihm schienen die zurückliegenden Ereignisse fast unglaublich: der Anruf Myrecks, die Fahrt durch Valloin, das Gebäude, das gegenüber dem Rest der Stadt um drei Mikrosekunden phasenverschoben war, und vor allem die Tatsache, daß die Mitteilung in seinem Zimmer unzweifelhaft der Wahrheit entsprach.

Er erkannte, daß seine Verantwortung, bereits vorher kolossal, noch gewachsen war. Ein Mann hatte sein Leben für ihn geopfert, und obschon in Wirklichkeit kein Leben aufgehört hatte, kam es Ewing vor, als wäre ein Teil seiner selbst gestorben, den er nie gekannt hatte.

Die Unterhaltung bewegte sich flüssig dahin. Die Erdenmenschen, kleine neugierige Männer, fragten ihn über die Klodnidrohung aus, und ob das Volk Corwins imstande sein würde, den Angriff abzuschlagen, wenn er kam. Ewing sagte ihnen die Wahrheit: daß sie es versuchen würden, aber nicht viel Hoffnung auf Erfolg bestünde.

Und dann ging Myreck auf ein neues Thema über: die Möglichkeit einer Auswanderung der Akademiemitglieder nach Corwin, wo sie zumindest sicherer sein würden als auf einer Erde, die von Sirius IV beherrscht wurde.

Ewing schien der Vorschlag zweifelhaft. Er setzte den sichtlich enttäuschten Irdischen auseinander, welche Schwierigkeiten ihrer Beförderung im Wege standen und wie wenige Schiffe Corwin besaß. Er sah den schmerzlichen Ausdruck in ihren Zügen; er konnte ihnen nicht helfen, dachte er. Die Erde hatte ihre Gegner und Corwin seine eigenen. Corwin drohte Zerstörung, der Erde bloße Besetzung. Corwin benötigte die Hilfe dringender.