Ihre Hände glitten in sanfter Liebkosung über seine Schultern. Ewing blickte mitleidig auf sie herunter. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Lippen feucht, leicht geöffnet. Vielleicht spielt sie nicht, dachte er. Aber auch so war er nicht interessiert.
Er rückte plötzlich zur Seite, und sie verlor fast das Gleichgewicht, Ihre Augen öffneten sich weit; einen Augenblick lang loderte nackter Haß darin, aber siefing sich schnell und nahm eine Pose verletzter Unschuld an.
„Weshalb haben Sie das getan? Mögen Sie mich nicht?“
Ewing lächelte kalt, „Ich finde Sie amüsant. Aber ich lasse mich mit niemandem vor einem Spionstrahl ein.“
„Woher wissen Sie —“
„Außerdem“, fuhr er fort, „durchläuft der Planet, von dem ich komme, gerade eine puritanische Phase seiner Kultur. Und ich habe eine Frau auf Corwin, der ich treu bleiben will.“
Ihre Augen verengten sich; ihre Lippen kräuselten sich in momentanem Zorn, dann lachte sie — ein spöttisches Gelächter. „Sie halten das für eine Vorspiegelung? Sie glauben, ich täte es für mein Vaterland?“
Er nickte. „Ja.“
Sie versetzte ihm eine Ohrfeige.
„Gehen Sie jetzt?“ fragte er.
„Was hält mich noch?“ murmelte sie bitter. Sie funkelte ihn an. „Wenn Sie ein Musterexemplar corwinitischer Männlichkeit sind, bin ich froh, daß nicht öfter als alle fünfhundert Jahre jemand von euch hierherkommt. Maschine! Robot!“
Sie ergriff eine leichte Mantille, die über dem Stuhl lag, und legte sie sich um Schultern und Busen. Ewing traf keine Anstalten, ihr behilflich zu sein. Er wartete teilnahmslos mit gefalteten Armen.
„Sie sind unglaublich“, machte sie sich Luft, Sie hielt inne; dann leuchteten ihre Augen auf. „Sie bestehen also darauf, mich als Dame zu behandeln. Ich sollte sie dafür töten, aber ich werde es nicht tun. Wollen Sie jetzt wenigstens etwas mit mir trinken, bevor ich gehe?“
Sie war geschickt, dachte er, und zugleich unbeholfen. Sie hatte ihm den Vorschlag während der vergangenen halben Stunde so oft gemacht, daß er ein Narr gewesen wäre, nicht zu argwöhnen, daß das Getränk vergiftet war. Auch er konnte geschickt sein.
„Gut“, stimmte er zu. Er nahm das Glas, das sie für ihn eingegossen hatte, und reichte ihr das halbvolle, das sie, ohne zu trinken, die ganze Zeit über gehalten hatte. Er blickte sie erwartungsvoll an.
„Worauf warten Sie?“ fragte sie.
„Daß Sie zuerst trinken.“
„Immer noch voller Argwohn, wie?“ Sie hob ihr Glas und nahm einen tiefen Zug. Dann gab sie es an Ewing weiter, nahm ihm seines ab und trank ebenfalls daraus.
„Hier“, sagte sie. „Ich Bin noch am Leben. Kein tödliches Gift befindet sich in Ihrem Glas. Glauben Sie mir?“
Er lächelte. „Zumindest diesmal.“
Immer noch lächelnd, setzte er das Glas an. Die Flüssigkeit war warm und stark; er fühlte, wie sie durch seine Kehle rann. Einen Augenblick später gaben seine Beine nach.
Er kämpfte darum, sich aufrechtzuhalten. Das Zimmer schwankte um ihn; ihr triumphierendes Gesicht drehte sich in irrsinnigem Wirbel. Er fiel auf die Knie und klammerte sich an den Teppich.
„Es war vergiftet“, stieß er hervor.
„Natürlich. Ein Mittel, das auf den sirischen Metabolismus nicht wirkt. Wir waren bis jetzt nicht sicher, ob ein Corwinit darauf ansprechen würde.“
Er krampfte seine Hände in den Teppich. Der Raum verschwamm um ihn. Er empfand Übelkeit und gleichzeitig heißen Zorn über seine Unbesonnenheit. Immer noch bei Bewußtsein, hörte er, wie die Zimmertür sich öffnete und Byra fragte: „Habt ihr uns die ganze Zeit über beobachtet?“
„Ja.“ Die Stimme gehörte Firnik. „Glaubst du, daß er immer noch mit der Wahrheit hinter dem Berge hält?“
„Ich bin sicher“, bestätigte Byra. Ihr Tonfall klang rachsüchtig. „Er muß verhört werden.“
„Wir werden uns seiner annehmen“, versprach Firnik.
Der Corwinit versuchte, um Hilfe zu rufen, aber alles, was sich seinen Lippen entrang, war ein schwaches Stöhnen.
„Er kämpfte immer noch gegen das Gift“, vernahm er Byras Stimme. „Es müßte ihn jeden Moment überwältigen.“
Schmerz durchpulste ihn in quälenden Wellen. Sein Griff löste sich, und er fiel zur Seite. Er fühlte noch, wie kräftige Hände ihn unter den Armen packten und hochhoben, aber er konnte nichts mehr erkennen. Es wurde Nacht um ihn.
7. Kapitel
Frost umgab ihn. Sein starrer Körper ließ das Bewußtsein der betäubenden Kälte in sich eindringen. Ein Netz aus Schaum fesselte seine Arme und Beine. Er unternahm keinen Versuch, sich zu rühren oder auch nur zu denken. Er war zufrieden, hier in der Dunkelheit zu liegen und zu warten. Er glaubte, sich auf dem Heimweg nach Corwin zu befinden.
Er irrte sich. Der Laut von Stimmen weit über ihm drang in sein Bewußtsein, und er bewegte sich unruhig in dem Wissen, daß keine Stimmen auf dem Schiff erklingen konnten. Es war ein Einmannfahrzeug und bot keinen Raum für andere.
Aber die Stimmen blieben.
Ewing versuchte, sich durch den Nebel zu kämpfen, der sein Gehirn einhüllte. Er mußte aufwachen, dem Geheimnis nachgehen.
„— besser, wir schweigen jetzt. Er scheint zu sich zu kommen.“
„Er wird noch einige Minuten brauchen“, sagte eine andere Stimme.
Ewing fühlte, wie die Kälte von ihm zu weichen begann. Er stand im Begriff zu erwachen. Er kannte seine nächste Aufgabe: den Hebel neben seinem Gelenk zu ergreifen, der ihn aus den Fesseln des Gewebes befreien würde.
Immer noch mit geschlossenen Augen tastete er danach. Seine Hand schloß sich über Luft. Er streckte sie so weit wie möglich aus und bewegte sie im Kreise.
Kein Hebel befand sich in seiner Reichweite.
Irgend etwas stimmte hier nicht. War der Entwurf des Schiffes geändert worden?
Seine Hand beschrieb den Kreis ein zweites Mal. Immer noch kein Hebel. Zu seinem Erstaunen entdeckte er, daß seine Hand durch nichts gebunden war; er konnte sie in alle Richtungen bewegen.
Er hob die Hand und berührte seine Brust damit, dann seinen Schenkel. Er fühlte Tuch — kein Schaumgespinst.
„Macht euch fertig“, sagte die Stimme weit über ihm.
Ewings freie Hand griff wild um sich, aber sie fand kein Schaumgewebe. Nur Stimmen erfüllten das Schiff. Ein nebeliger Vorhang verschleierte seine Sicht. Er richtete sich auf, obschon seine steifen Muskeln dagegen protestierten. Er schlug die Augen, auf, schloß sie augenblicklich, als ein Lichtblitz darin explodierte, und öffnete sie dann langsam wieder.
Er spürte einen bitteren Geschmack im Mund; seine Zunge war pelzig. Seine Augen stachen. Sein Kopf schmerzte, und er fühlte eine bleierne Leere im Magen.
„Wir haben mehr als zwei Tage auf Ihr Erwachen gewartet“, meinte eine bekannte Stimme.
Er durchbrach den Nebel, der sein Gehirn einhüllte, und sah sich um. Er lag in einem großen Raum mit dreieckigen Fenstern. Vier Gestalten umstanden ihn: Rollun Firnik, Byra Clork und zwei dunkelhäutige Sirier, die er nicht kannte.
Er befand sich nicht in seinem Schiff. Das war eine Illusion, die seine betäubten Sinne ihm vorgegaukelt hatten.
„Wo bin ich?“ fragte er.
Firnik antwortete: „Im untersten Stockwerk des Konsulatsgebäudes. Wir haben Sie Sechsttagmorgen hierhergeschafft. Inzwischen ist es Ersttag.“
Ewing richtete sich auf und schwang die Beine über den Rand der Lagerstätte. Augenblicklich trat einer der unbekannten Skier vor, legte eine Hand auf seine Brust, packte mit der anderen seine Knöchel und warf ihn zurück auf das Bett. Ewing traf Anstalten, sich von neuem zu erheben; diesmal trug ihm der Versuch einen Schlag mit dem Handrücken ein, unter dem seine Unterlippe aufplatzte und ein Blutfaden über sein Kinn lief.