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John le Carre

Schatten von gestern

Deutsch von Ortwin Munch

Das Curriculum Vitae von George Smiley

Als Lady Ann Sercomb gegen Ende des Krieges George Smiley heiratete, pflegte sie ihn ihren erstaunten Freunden aus Mayfair als einen direkt atemberaubend gewöhnlichen Menschen zu schildern. Als sie ihn dann zwei Jahre später zugunsten eines Autorennfahrers aus Kuba verließ, verkündete sie rätselhaft, daß sie ihn nie hätte verlassen können, wenn sie es nicht zu diesem Zeitpunkt getan hätte. Und Viscount Sawley begab sich eigens zu dem Zweck in seinen Klub, um die Bemerkung fallen zu lassen, die Katze wäre aus dem Sack.

Dieser Ausspruch, der eine Zeitlang als Bonmot herumging, kann nur von Leuten verstanden werden, die Smiley kannten. Klein, dick und von ruhiger Gemütsart, schien er eine Menge Geld für wirklich miserable Anzüge auszugeben, die auf seinem viereckigen Gestell wie die Haut einer verschrumpelten Kröte wirkten. Tatsächlich sagte Sawley auch bei der Hochzeit: »Die Sercomb heiratet einen Ochsenfrosch in Ölzeug und Südwester.« Und Smiley, der von dieser Klassifizierung nichts wußte, war wie in der Hoffnung auf den Kuß, der ihn in einen Prinzen verwandeln sollte, zum Altar gewatschelt.

War er reich oder arm, Bürger oder Bauer? Wo hatte sie ihn aufgegabelt? Die Widersinnigkeit der Verbindung wurde durch Lady Anns nicht zu übersehende Schönheit noch hervorgehoben, und das Rätselhafte der Angelegenheit durch das Mißverhältnis zwischen dem Mann und seiner Braut unterstrichen. Aber der Tratsch muß sich seine Gestalten schwarz oder weiß malen und sie mit Sünden und Motiven ausstatten, die sich leicht in den Code der Konversation verschlüsseln lassen. Daher kam Smiley, der weder Schule, Eltern, Regiment oder Beruf noch Reichtum oder Armut aufweisen konnte, ohne Adreßzettel in den Gepäckwagen des Expreßzuges der Gesellschaft und wurde bald ein verlorener Koffer, endgültig verloren, als die Scheidung sich anbahnte und ausgesprochen worden war, ein Koffer, der auf den staubigen Stellagen der Neuigkeiten von gestern herumlag und den keiner mehr haben wollte.

Als Lady Ann ihrem Star nach Kuba folgte, dachte sie ein wenig über Smiley nach. Mit widerwilliger Bewunderung gestand sie sich ein, daß es Smiley sein würde, wenn es nur einen einzigen Mann in ihrem Leben gäbe, und es befriedigte sie, daß sie diese Tatsache durch das heilige Sakrament der Ehe bewiesen hatte.

Wie Lady Anns Abreise auf ihren ersten Gatten wirkte, machte der Gesellschaft, die ja wenig an dem Anteil nimmt, was nach der Sensation kommt, kaum Kopfzerbrechen, obwohl es ganz interessant gewesen wäre, zu erfahren, was Sawley und sein Kreis von Smileys Reaktion gehalten hätten; von Smileys fettem bebrilltem Gesicht, das sich in energische Falten der Konzentration zog, wenn er aufmerksam die weniger bekannten deutschen Poeten las, während er seine plumpen, feuchten Hände in den herunterbaumelnden Ärmeln zu Fäusten ballte. Aber alles, was Sawley zu diesem Anlaß von sich gab, war ein leichtes Achselzucken und die Bemerkung: >Partir c'est courir un peu<, und es schien ihm nicht klar zu sein, daß, während Lady Ann nur davonlief, ein Teil von George Smiley gestorben war.

Der Teil, der weiterlebte, sein Beruf als Nachrichtenoffizier, paßte ebensowenig zu seiner Erscheinung wie die Liebe oder seine Vorliebe für nicht anerkannte Dichter. An diesem Beruf hatte er Spaß, und dieser Beruf versah ihn auch gnädigerweise mit Kollegen, deren Charakter und Herkunft ebenso im Dunkel lagen. Er bot ihm auch, was er früher einmal am meisten geliebt hatte, nämlich akademische Exkursionen in das Mysterium menschlichen Verhaltens, die sich aus der praktischen Anwendung seiner eigenen Schlüsse ergaben.

Einmal in den zwanziger Jahren, als Smiley mit seiner bescheidenen Mittelschule fertig war und geblendet in die düsteren Arkaden seines bescheidenen College in Oxford stolperte, hatte er von Dozenturen geträumt und einem Leben, das den literarischen Obskuritäten Deutschlands im siebzehnten Jahrhundert gewidmet sein sollte. Aber sein eigener Lehrer, der ihn besser kannte, dirigierte ihn klugerweise aus dem Bereich der Ehren, die ihn ohne Zweifel erwartet hätten. An einem wunderschönen Morgen des Monats Juli im Jahre 1928 saß ein verwirrter und ziemlich rot angelaufener Smiley vor der Prüfungskommission des Komitees für Akademische Forschung in Übersee, einer Organisation, von der er sonderbarerweise noch nie etwas gehört hatte. Jebedee, sein Lehrer, hatte sich merkwürdig vage ausgedrückt, als er ihm die Sache erklärte: »Versuch es mit diesen Leuten, vielleicht behalten sie dich; sie zahlen so schlecht, daß du sicher in guter Gesellschaft sein wirst.« Aber Smiley war verärgert gewesen und hatte das auch gesagt. Er machte sich Gedanken darüber, daß Jebedee, der sich doch sonst immer so präzis ausdrückte, auswich. Ein wenig mißmutig willigte er aber ein, seine Entscheidung auf Allerseelen zu verschieben, bis er Jebedees mysteriöse »Leute« gesehen hätte.

Er wurde den einzelnen Mitgliedern der Kommission nicht besonders vorgestellt, doch kannte er ungefähr die Hälfte vom Sehen. Da war einmal Fielding, der in Cambridge über das französische Mittelalter las, Sparke aus dem Institut für orientalische Sprachen und Steed-Asprey, der an demselben Abend am Professorentisch diniert hatte, als Smiley Jebedees Gast gewesen war. Er mußte zugeben, daß er beeindruckt war. Denn daß Fielding seine Wohnung, von Cambridge gar nicht erst zu reden, verließ, war schon an und für sich ein Wunder. Später dachte Smiley an dieses Interview immer als an einen Schleiertanz, eine genau berechnete Folge von Enthüllungen, von denen jede eine andere Einzelheit eines geheimnisvollen Ganzen zeigte. Endlich entfernte Steed-Asprey, der der Vorsitzende zu sein schien, den letzten Schleier, und die Wahrheit stand in ihrer ganzen verwirrenden Nacktheit vor ihm. Man bot ihm einen Posten in einer Organisation an, die Steed-Asprey mangels eines besseren Namens schamhaft als Geheimdienst bezeichnete.

Smiley hatte um Bedenkzeit gebeten. Sie gaben ihm eine Woche. Geld wurde nicht erwähnt.

An diesem Abend aß er irgendwo in London in einem ziemlich guten Lokal und ging ins Theater. Er fühlte sich merkwürdig wirr im Kopf, und das bedrückte ihn. Er war sich völlig darüber im klaren, daß er ja sagen würde. Das hätte er schon gleich bei der Unterredung tun können. Es war nur instinktive Vorsicht und vielleicht der verzeihliche Wunsch, sich Fielding gegenüber ein bißchen zu zieren, der ihn davon abhielt, sofort einzuschlagen.

Nachdem er sich verpflichtet hatte, kam das Training: anonyme Landhäuser, anonyme Instruktoren, viele Reisen, die immer weiter wurden, und schließlich die phantastische Aussicht, ganz auf sich allein gestellt zu arbeiten.

Sein erster Posten im Einsatz war verhältnismäßig amüsant. Zwei Jahre als englischer Lektor an einer kleinen deutschen Universität: Vorlesungen über Keats und Ferien in bayrischen Jagdhütten mit Gruppen von feierlich ernsten deutschen Studenten der verschiedensten Herkunft. Gegen Ende der langen Ferien pflegte er einige von ihnen nach England zu bringen, von denen er schon die wahrscheinlich in Frage kommenden über geheime Verbindungen an eine Adresse in Bonn bezeichnet hatte. Während der ganzen beiden Jahre hatte er keine Ahnung, ob seine Empfehlungen berücksichtigt wurden oder nicht. Er wußte nicht einmal, ob man an seine Kandidaten herantrat oder nicht, noch hatte er eine Möglichkeit, festzustellen, ob seine Botschaften je ihren Bestimmungsort erreichten. Und wenn er in England war, hatte er keinen Kontakt mit dem Department.

Seine Gefühle bei der Durchführung seiner Arbeit waren gemischt und einander widersprechend. Es reizte ihn, von einem Beobachtungspunkt aus das, was er als den »potentiellen Agenten« in einem Menschen zu definieren gelernt hatte, zu finden und auszuwerten, Miniaturtests des Charakters und des Verhaltens zu erfinden, die ihn über die Qualitäten eines Kandidaten informieren konnten. Dieser Teil von ihm war blutlos und unmenschlich. In dieser Rolle war Smiley der internationale gekaufte Söldner seines Berufes, unmoralisch und ohne anderes Motiv als das seines persönlichen Vorteils.