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»Tatsachen?« sagte Maston. »Was für Tatsachen? Nehmen wir an, sie hat gelogen - sie ist eine merkwürdige Frau, in jeder Weise. Ausländerin, Jüdin. Der Himmel mag wissen, was sich da für Einflüsse auf ihren Verstand bemerkbar machen. Man hat mir gesagt, daß sie während des Krieges schwer gelitten hat, verfolgt und so weiter. Sie sieht wahrscheinlich in Ihnen den Verfolger, den Inquisitor. Sie merkt, daß Sie hinter irgend etwas her sind, gerät in Panik und erzählt Ihnen die erstbeste Lüge, die ihr in den Sinn kommt. Macht sie das zu einer Mörderin?«

»Warum hat Fennan also angerufen? Warum hat er sich diesen Schlaftrunk gemacht?«

»Wer kann das wissen?« Mastons Stimme war jetzt voller, suggestiver. »Wenn Sie oder ich, Smiley, je zu diesem fürchterlichen Punkt gelangen würden, an dem man sich entschließt, sich selber zu vernichten, wer könnte wohl sagen, was unsere letzten Gedanken sein würden? Und bei Fennan ist es das gleiche. Er sieht seine Karriere in Trümmern, sein Leben hat keinen Sinn mehr. Ist es nicht verständlich, daß er in einem solchen Augenblick der Schwäche oder der Unentschlossenheit den Wunsch hatte, eine menschliche Stimme zu hören, noch einmal die Wärme menschlichen Kontaktes zu fühlen, bevor er starb? Eine phantastische Grille vielleicht, eine Sentimentalität, aber nicht unwahrscheinlich bei einem Menschen, der so fertig, so in eine fixe Idee verrannt ist, daß er sich das Leben nimmt.«

Smiley mußte ihn bewundern. Es war gut vorgetragen, und er war Maston auf diesem Gebiet nicht gewachsen. Plötzlich fühlte er in sich eine wachsende Panik aufsteigen, eine Hilflosigkeit, die nicht zu ertragen war. Und gleichzeitig eine nicht zu zügelnde Wut über diesen Theater spielenden Angeber, diesen geschniegelten Affen mit dem graumelierten Haar und dem gescheiten Lächeln. Panik und Wut schwollen plötzlich zu einer Woge an, die seine Brust überflutete und seinen ganzen Körper durchdrang. Er bekam einen heißen hochroten Kopf, seine Brillengläser beschlugen sich, und als letzte Demütigung traten ihm Tränen in die Augen.

Maston, der das, Gott sei Dank, nicht bemerkte, fuhr fort: »Sie können von mir nicht erwarten, daß ich auf dieses Beweismaterial hin beim Innenminister andeuten soll, die Polizei hätte einen falschen Schluß gezogen. Sie wissen, wie gespannt unser Verhältnis zur Polizei ist. Einerseits haben wir Ihre Verdachtsmomente: daß, kurz gesagt, Fennans Benehmen gestern abend nicht mit der Absicht zu sterben zusammenzureimen ist. Seine Frau hat Sie offenbar angelogen. Auf der anderen Seite haben wir die Meinung erfahrener Kriminalbeamter, die an den Umständen seines Todes nichts Aufregendes gefunden haben, und wir haben Mrs. Fennans Aussage, daß ihr Mann über die Einvernahme aufgeregt war. Es tut mir leid, Smiley, aber so liegt der Fall.«

Es herrschte völlige Stille. Smiley kam langsam wieder zu sich. Die Entwicklung der Dinge machte ihn blöde und raubte ihm die Sprache. Er starrte kurzsichtig vor sich hin, sein rundes, faltiges Gesicht war noch rot, der Mund schlaff und stupid. Maston wartete darauf, daß er etwas sagen würde, aber Smiley war erschöpft und mit einem Mal völlig uninteressiert. Ohne Maston noch einen Blick zuzuwerfen, stand er auf und ging hinaus.

Er ging in sein Zimmer und setzte sich an den Schreibtisch. Mechanisch sah er seine Arbeit durch. In seinem Einlaufkörbchen war nicht viel - ein paar Rundschreiben des Amtes und ein persönlicher Brief an G. Smiley Esq., Verteidigungsministerium. Die Schrift war ihm nicht bekannt. Er öffnete den Umschlag und las:

»Lieber Smiley!

Es ist unbedingt notwendig, daß ich morgen mit Ihnen im Restaurant Compleat Angler in Marlow speise. Bitte, tun Sie Ihr möglichstes, daß ich Sie dort um ein Uhr treffen kann. Ich habe Ihnen etwas zu sagen.

Ihr Samuel Fennan«

Der Brief war mit der Hand geschrieben und trug das Datum des vorhergehenden Tages, Dienstag, 3. Januar. Er war in Whitehall um sechs Uhr abends abgestempelt worden.

Einige Minuten starrte er den Brief an, den er steif vor sich in der Hand hielt, wobei er den Kopf nach links neigte. Dann legte er den Brief auf den Schreibtisch, zog eine Lade heraus und entnahm ihr ein einzelnes, unbeschriebenes Blatt Papier. Er schrieb ein kurzes Gesuch um seine Entlassung an Maston, an das er mit einer Klammer Fennans Einladung heftete. Dann läutete er nach einer der Sekretärinnen, legte den Brief in den Korb für die ausgehende Post und ging zum Lift. Wie gewöhnlich steckte der im Parterre mit dem Teewagen der Registratur fest, und nach kurzem Warten begann Smiley, zu Fuß die Treppen hinunterzugehen. Auf dem halben Weg erinnerte er sich daran, daß er seinen Regenmantel und ein paar kleine persönliche Dinge in seinem Zimmer vergessen hatte. Ach was, dachte er, sie werden sie mir schicken.

Auf dem Parkplatz setzte er sich in seinen Wagen und starrte durch die nasse Windschutzscheibe.

Es war ihm egal, verdammt egal. Erstaunt war er natürlich, und zwar darüber, daß er fast die Beherrschung verloren hatte. Derartige Gespräche hatten in Smileys Leben eine große Rolle gespielt, und seit langer Zeit hatte er sich gegen alle Spielarten solcher Unterredungen für gewappnet gehalten, gegen schulmäßige, disziplinarische, ärztliche und religiöse. Seine verschwiegene Natur verachtete den Zweck aller Verhöre, ihre terroristische Vertraulichkeit und unausweichliche Realität. Er erinnerte sich an ein unbeschreiblich glückseliges Dinner mit Ann bei Quaglino, bei dem er ihr die Chamäleon-Gürteltier-Taktik geschildert hatte, mit der man so einen Ausfrager schachmatt setzen konnte.

Sie hatten bei brennenden Kerzen diniert. Schneeweiße Haut und Perlen - sie tranken Kognak - Anns weitoffene, glänzende Augen gehörten nur ihm. Smiley war der Verliebte, und er spielte diese Rolle wunderbar. Ann fand ihn herrlich und war durch ihre harmonische Zärtlichkeit erregt.

«... und damals habe ich gelernt, mich in ein Chamäleon zu verwandeln.«

»Und dabei hast du gerülpst, du ungezogener Frosch?«

»Nein, auf die Farbe kommt es an. Chamäleons wechseln die Farbe.«

»Natürlich wechseln sie die Farbe. Sie sitzen auf grünen Blättern und werden grün. Bist du auch grün geworden, Frosch?«

Er berührte ihre Fingerspitzen leicht mit den seinen.

»Also jetzt hör zu, du naseweise Person, wenn ich dir die Chamäleon-Gürteltier-Taktik gegen einen unverschämten Ausfrager erklären soll.« Ihr Gesicht war ganz nahe an seinem, und ihre Augen hingen in leidenschaftlicher Liebe an ihm.

»Diese Taktik basiert auf der Theorie, daß der Inquisitor, der nichts so sehr liebt wie sich selber, von seinem eigenen Bild angezogen wird. Man muß daher genau dieselbe soziale, temperamentmäßige, politische und intellektuelle Farbe annehmen, die der Inquisitor hat.«

»Du aufgeblasener Frosch. Aber ein begabter Liebhaber bist du schon.«

»Ruhe! Manchmal scheitert diese Taktik an der Stupidität oder Bosheit des Inquisitors. Wenn das der Fall ist, dann muß man sich in ein Gürteltier verwandeln.«

»Gürtel tragen, Frosch?«

»Nein, man muß ihn in eine Position versetzen, die so haarsträubend ist, daß man ihm überlegen ist. Für die Konfirmation bin ich von einem pensionierten Bischof vorbereitet worden. Ich war seine ganze Schülerschaft und habe an einem halben Feiertag genügend Unterricht genossen, um eine ganze Diözese leiten zu können. Aber indem ich das Gesicht des Bischofs betrachtete und mir vorstellte, daß es sich unter meinem Blick mit einem dicken Fell überzog, behielt ich meine Überlegenheit. Von diesem Tag an sind meine Fähigkeiten in dieser Beziehung noch gewachsen. Ich konnte ihn in einen Affen verwandeln, ihn in das Schiebefenster einklemmen, ihn nackt in eine Versammlung der Freimaurer schicken, ihn dazu verdammen, wie die Schlange auf dem Bauch zu kriechen . . .«