»Du boshafter verliebter Frosch.«
So war es einst gewesen. Aber bei seinen letzten Gesprächen mit Maston hatte ihn die Fähigkeit, sich von der Situation zu lösen, verlassen. Er war jetzt zu stark beteiligt. Als Maston die ersten Züge gemacht hatte, war Smiley zu abgespannt und angeekelt gewesen, um sich zu wehren. Er nahm an, daß Elsa Fennan ihren Mann umgebracht und dazu irgendeinen Grund gehabt hatte, aber es interessierte ihn einfach nicht mehr. Das Problem existierte für ihn nicht länger: Verdacht, Erfahrungen, Beobachtungen, gesunder Menschenverstand - alles das stand für Maston mit den Tatsachen in keinem organischen Zusammenhang. Papier war eine Tatsache, Minister waren Tatsachen und Innenminister harte Tatsachen. Das Departement gab sich nicht weiter mit den vagen Eindrücken eines einzelnen Beamten ab, wenn sie mit der Politik in Widerstreit gerieten.
Smiley war erschöpft, tief und schwer. Er fuhr langsam nach Hause. Vielleicht sollte er heute auswärts essen. Irgend etwas ganz Besonderes. Es war jetzt erst Mittag. Er beschloß, den Nachmittag damit zu verbringen, Olearius auf seiner Hanseatenreise quer durch das russische Reich zu folgen. Und dann Dinner bei Quaglino mit einem einsamen Toast für den erfolgreichen Mörder, vielleicht für Elsa, in Dankbarkeit dafür, daß er zugleich mit dem Leben Sam Fennans auch die Karriere George Smileys beendet hatte.
Er erinnerte sich daran, in der Sloane Street seine Wäsche abzuholen, bog endlich in die Bywater Street ein und fand, drei Häuser von seinem eigenen entfernt, einen Parkplatz. Er kletterte mit dem braunen Wäschepaket in der Hand heraus, sperrte seinen Wagen sorgfältig ab, ging aus alter Gewohnheit um ihn herum und versuchte alle Türgriffe. Es regnete noch immer ein wenig. Er ärgerte sich darüber, daß schon wieder jemand vor seinem Haus geparkt hatte. Gut, daß Mrs. Chapel das Fenster seines Schlafzimmers geschlossen hatte, sonst hätte der Regen . . .
Plötzlich war er hellwach. Im Wohnzimmer hatte sich etwas bewegt. Ein Licht, ein Schatten, eine menschliche Gestalt? Es war irgend etwas, dessen war er sicher. War es Wahrnehmung oder Instinkt? War es eine latente Fähigkeit seines Berufes, die ihn warnte? Irgendein feiner Sinn oder Nerv, eine verborgene Reaktionsbereitschaft, die ihn alarmierte und der er nachgab?
Ohne auch nur einen Augenblick zu überlegen, ließ er die Schlüssel wieder in den Mantel gleiten, ging die Treppe zu seiner Haustür hinauf und läutete.
Es klang schrill durch das Haus. Dann trat Stille ein, und endlich drang deutlich das Geräusch von Tritten, die sich der Tür näherten, an Smileys Ohr. Sie klangen fest und sicher. Ein Rasseln der Kette, ein Klirren des Ingersoll-Schlosses, und die Tür wurde schnell und gewandt geöffnet.
Smiley hatte ihn vorher noch nie gesehen. Groß, blond, hübsch, etwa fünfunddreißig. Ein hellgrauer Anzug, weißes Hemd und graue Krawatte - babille en diplomate. Deutscher oder Schwede. Seine linke Hand blieb nonchalant in der Tasche seines Sakkos. Smiley sah ihn entschuldigend an.
»Ist Mr. Smiley zu Hause, bitte?«
Die Tür war jetzt ganz offen. Eine kleine Pause entstand.
»Ja, wollen Sie nicht hereinkommen?«
Den Bruchteil einer Sekunde lang zögerte er. »Danke, nein. Wollen Sie ihm bitte das hier geben?« Er übergab ihm das Wäschepaket und ging wieder die Stufen hinunter und zu seinem Wagen. Er wußte, daß er noch immer beobachtet wurde, ließ den Motor an, wendete und fuhr zum Sloane Square, ohne sich noch einmal in der Richtung nach seinem Haus umzudrehen. In der Sloane Street fand er einen Parkplatz und schrieb sich schnell sieben mehrstellige Zahlen auf. Es waren die Nummern der sieben Wagen, die in Bywater Street standen.
Was sollte er tun? Einen Schutzmann anhalten? Wer auch immer es gewesen war, wahrscheinlich war er schon davon. Übrigens gab es auch noch andere Überlegungen. Er schloß den Wagen wieder ab und ging über die Straße zu einem Telefonhäuschen. Er rief Scotland Yard an, bekam mit der Sonderabteilung Verbindung und fragte nach Inspektor Mendel. Aber es sah so aus, als hätte sich der, nachdem er seinem Vorgesetzten Meldung erstattet hatte, in heimlicher Vorwegnahme der Freuden des Pensionistenstandes nach Mitcham begeben. Smiley bat um seine Adresse, erhielt sie nach einigem Herumflunkern, fuhr nochmals los, drei Seiten eines Quadrats entlang und kam bei der Albert Bridge heraus. In einem neuen Gasthaus, das den Fluß überblickte, nahm er ein Sandwich und einen großen Whisky, und eine Viertelstunde später überquerte er die Brücke auf dem Wege nach Mitcham, während der Regen noch immer auf seinen unauffälligen kleinen Wagen herunterprasselte. Er machte sich Sorgen, wirklich ernste Sorgen.
Tee und Sympathie
Es regnete noch immer, als er ankam. Mendel war in seinem Garten und hatte den merkwürdigsten Hut auf, den Smiley je gesehen hatte. Er hatte sein Leben als Anzac-Hut begonnen, aber jetzt hing seine riesige Krempe überall herunter, so daß Mendel wie ein großer Pilz aussah. Er brütete über einem Baumstrunk, und eine bösartig aussehende Axt hing gehorsam in seiner sehnigen rechten Hand.
Er sah Smiley einen Augenblick scharf an, und dann erstrahlte sein schmales Gesicht langsam in einem breiten Grinsen, während er ihm die Hand entgegenhielt.
»Scherereien?« fragte Mendel.
»Scherereien.«
Smiley folgte ihm den Weg zum Haus hinauf. Es war ländlich und gemütlich.
»Es ist kein Feuer im Wohnzimmer - ich bin gerade erst zurückgekommen. Wie wäre es mit einer Tasse Tee in der Küche?«
Sie gingen in die Küche. Smiley amüsierte sich über die peinliche Ordnung, die fast feminine Nettigkeit, die überall herrschte. Nur der Polizeikalender an der Wand zerstörte die Illusion. Während Mendel einen Kessel aufs Feuer stellte und mit den Tassen herumhantierte, berichtete Smiley ruhig, was in Bywater Street passiert war. Als er fertig war, betrachtete ihn Mendel lange und schweigend.
»Aber warum hat er Sie hineingebeten?«
Smiley zwinkerte und wurde ein bißchen rot. »Das habe ich auch gedacht. Das hat mich einen Augenblick lang aus dem Gleichgewicht gebracht. Gut, daß ich das Paket hatte.«
Er trank einen Schluck Tee. »Obwohl ich nicht glaube, daß er auf das Paket hereingefallen ist. Vielleicht doch, aber ich bezweifle es. Sehr sogar.«
»Nicht hereingefallen?«
»Na, ich wäre es nicht. Kleiner Mann in einem Ford, der Wäsche austrägt. Wer konnte ich schon gewesen sein? Übrigens habe ich nach Smiley gefragt und es dann abgelehnt, ihn zu sehen - das muß ihm ziemlich komisch vorgekommen sein.«
»Aber was wollte er? Was hätte er mit Ihnen gemacht? Für wen hielt er Sie?«
»Das ist genau der springende Punkt, ganz genau, sehen Sie. Ich glaube, er hat auf mich gewartet, aber natürlich hat er nicht erwartet, daß ich läuten werde. Das hat ihn verwirrt. Ich denke, er wollte mich umbringen. Deshalb hat er mich ersucht, einzutreten. Er erkannte mich, aber wohl nur nach einer Fotografie, glaube ich.«
Wieder sah ihn Mendel eine Weile schweigend an. »Herrgott!« sagte er.
»Vermute, daß ich recht habe«, fuhr Smiley fort, »in jeder Weise. Ich vermute, daß Fennan wirklich ermordet wurde gestern abend, und heute wäre mir fast dasselbe passiert. Im Gegensatz zu Ihrem Beruf ereignet sich in meinem normalerweise nicht jeden Tag ein Mord.«
»Was soll das heißen?«
»Weiß nicht. Ich weiß wirklich nicht. Bevor wir weitermachen, könnten Sie vielleicht die Eigentümer dieser Nummern für mich feststellen lassen. Die Fahrzeuge standen heute zu Mittag in der Bywater Street.«
»Warum tun Sie es nicht selber?«
Smiley sah ihn einen Augenblick verwirrt an. Dann fiel ihm ein, daß er von seinem Entlassungsgesuch nichts erwähnt hatte.
»Ach. Tut mir leid, daß ich es Ihnen nicht erzählt habe. Also ich bin heute vormittag gegangen. Kurz bevor ich gefeuert worden wäre. Ich bin so frei wie der Wind. Und auch ungefähr ebenso verwendbar.
Mendel nahm ihm die Nummernliste ab und ging in die Halle, um zu telefonieren. Er kam nach ein paar Minuten wieder zurück.