»Sie werden in einer Stunde wieder anrufen«, sagte er. »Kommen Sie jetzt, ich will Ihnen meinen Besitz zeigen. Verstehen Sie etwas von Bienen?«
»Na ja, ein bißchen, ja. Ich bin nämlich in Oxford vom naturhistorischen Käfer gebissen worden.« Er war im Begriff, Mendel zu erzählen, wie er sich mit Goethes Metamorphosen der Pflanzen und Tiere in der Hoffnung abgegeben hatte, wie Faust herauszufinden, »was die Welt im Innersten zusammenhält«. Er wollte erklären, warum es unmöglich war, das Europa des neunzehnten Jahrhunderts zu verstehen, ohne eine ordentliche Kenntnis der Naturwissenschaften zu besitzen, er fühlte sich eifrig und voll von bedeutenden Gedanken und war sich heimlich klar darüber, daß sich sein Kopf mit den Ereignissen des heutigen Tages abplagte, daß er in einem Zustand nervöser Erregung war. Seine Handflächen waren feucht.
Mendel führte ihn zur Hintertür hinaus. Dort standen drei nette Bienenstöcke an der Mauer, die den Garten nach hinten abschloß. Sie standen in dem feinen Regen, und Mendel sagte: »Ich habe mir immer gewünscht, welche zu halten, auszuprobieren, wie das Ganze geht. Ich habe auch eine Menge gelesen, direkt Angst habe ich bekommen, kann ich Ihnen sagen. Komische kleine Kerle sind das.« Er nickte ein paarmal, um dieses Urteil zu unterstreichen, und wieder sah Smiley ihn mit Interesse an. Sein Gesicht war schmal, aber muskulös, und sein Ausdruck völlig verschlossen. Sein eisengraues Haar war sehr kurz geschnitten und borstig. Er schien dem Wetter gegenüber ebenso völlig gleichgültig zu sein wie das Wetter ihm. Smiley kannte das Leben, das hinter Mendel lag, genau. Er hatte bei den Polizisten der ganzen Welt dieselbe lederne Haut gesehen, dieselben Reserven von Geduld, Bitterkeit und Verdruß. Er konnte sich die langen ergebnislosen Stunden im Dienst bei jedem Wetter vorstellen, wenn man auf einen wartete, der vielleicht niemals kam - oder kam und zu schnell wieder verschwand. Er wußte auch, wie sehr Mendel und die anderen von gewissen Persönlichkeiten abhängig waren - manche launenhaft, tyrannisch, nervös und wankelmütig, gelegentlich einige weise und warmherzig. Er wußte, wie intelligente Menschen durch die Stupidität ihrer Vorgesetzten gebrochen werden, wie Wochen geduldiger Arbeit bei Tag und Nacht von einem solchen Menschen einfach beiseite geschoben werden konnten.
Mendel führte ihn den schlüpfrigen, mit Bruchsteinen belegten Pfad hinauf zu den Bienenstöcken. Er beachtete den Regen noch immer nicht, nahm einen der Stöcke auseinander, erklärte und zeigte ihn. Er sprach stoßweise, mit langen Pausen zwischen den einzelnen Sätzen, und zeigte alles langsam und genau mit seinen schlanken Fingern.
Nachdem sie wieder ins Haus gegangen waren, führte ihn Mendel durch die beiden unteren Räume. Der Salon war ganz geblümt. Blumen auf den Vorhängen und Teppichen und ebenso auf den Überzügen der Möbel. In einem kleinen Eckschrank standen einige Deckel-Bierkrüge neben einem Paar Pistolen und einem Pokal für Scheibenschießen.
Dann folgte ihm Smiley hinauf. Es roch nach Petroleum vom Ofen auf dem Treppenabsatz, und im Waschraum war aus dem Warmwasserbehälter tatsächlich ein leichtes Brodeln zu hören.
Mendel zeigte ihm sein Schlafzimmer.
»Das Brautgemach. Das Bett habe ich bei einer Auktion für ein Pfund gekauft. Box-Federmatratzen. Es ist erstaunlich, was man so erwischen kann. Die Teppiche gehörten früher Königin Elisabeth. Sie wechseln sie jedes Jahr. Die habe ich in einem Laden in Wafford gekauft.«
Smiley stand etwas verwirrt in der Tür. Mendel kam zurück und ging an ihm vorbei, um die Tür zum zweiten Schlafzimmer zu öffnen.
»Und das ist Ihr Zimmer, wenn Sie es wollen.« Er drehte sich Smiley zu. »Ich würde an Ihrer Stelle lieber nicht zu Hause schlafen. Man kann nie wissen, nicht wahr? Übrigens werden Sie hier besser schlafen, die Luft ist besser.«
Smiley begann zu protestieren.
»Steht ganz bei Ihnen. Sie tun, was Ihnen paßt.« Mendel wurde direkt verlegen. »Ich verstehe nicht mehr von Ihrer Arbeit als Sie von der Arbeit der Polizei, ganz ehrlich. Sie tun ganz einfach, was Ihnen paßt. Soweit ich gesehen habe, sind Sie ja imstande, auf sich aufzupassen.«
Sie gingen wieder hinunter. Mendel zündete im Salon den Gaskamin an.
»Also, zumindest müssen Sie gestatten, daß ich Sie heute abend zum Essen einlade«, sagte Smiley.
In der Halle läutete das Telefon. Es war Mendels Sekretärin wegen der Nummern.
Mendel kam zurück. Er übergab Smiley eine Liste von sieben Namen und Adressen. Vier davon konnten ausgeschieden werden, es waren solche aus der Bywater Street. Drei blieben übrig: der Leihwagen einer Firma Adam Scarr und Söhne in Battersea, ein Geschäftswagen, der der Severn Tile Company in Eastbourne gehörte, und der dritte war als das Eigentum des Botschafters von Panama bezeichnet.
»Ich habe einen Mann, der sich gerade mit Angelegenheiten Panamas beschäftigt. Es wird dort nicht schwierig sein - sie haben nur drei Wagen in England.«
»Battersea ist nicht weit weg«, fuhr er fort. »Wir könnten rasch einen Sprung hinüber machen. In Ihrem Wagen.«
Selbstverständlich, selbstverständlich«, sagte Smiley schnell. »Und dann können wir in Kensington dinieren. Ich werde einen Tisch im >Entrechat< bestellen.«
Es war jetzt vier. Sie blieben noch eine Weile sitzen und plauderten in ziemlich oberflächlicher Weise über Bienen und Haushalt. Mendel war ganz gelöst, während Smiley noch immer unbeholfen und bedrückt versuchte, einen Modus zu finden, um beim Sprechen nicht immer Weisheiten von sich zu geben. Er konnte sich ausmalen, was Ann über Mendel gesagt hätte. Sie wäre begeistert von ihm gewesen, hätte eine Persönlichkeit aus ihm gemacht, eine besondere Stimme und ein eigenes Gesicht bereit gehabt, um ihn nachzuahmen, hätte eine Geschichte von ihm gemacht, bis er in ihr Leben gepaßt hätte und kein Rätsel mehr gewesen wäre. Darling, wer hätte gedacht, daß er so gemütlich sein kann! Der letzte Mensch, von dem ich mir erwartet hätte, daß er mir sagen könnte, wo ich billig Fische kaufen kann. Und was für ein reizendes kleines Haus. Ihm ist es gleichgültig - er muß doch wissen, daß Deckel-Bierkrüge Kitsch sind, aber es kümmert ihn nicht. Ich finde, er ist ein Schatz. Frosch, lade ihn doch zum Dinner ein. Das mußt du tun. Nicht, weil wir über ihn lachen wollen, sondern weil wir ihn gern haben. Er hätte ihn natürlich nicht eingeladen, aber Ann wäre zufrieden gewesen - sie hätte einen Weg gefunden, ihn gern zu haben. Und dann hätte sie ihn vergessen.
Das war es, was Smiley sich wünschte, eine Möglichkeit, Mendel gern zu haben. Er war nicht so geschickt wie Ann, eine zu finden. Aber Ann war Ann - einmal ermordete sie einen Neffen aus Eton fast, weil er zu Fisch Bordeaux trank, aber wenn Mendel sich bei ihren crepes suzette die Pfeife angezündet hätte, dann würde sie es wahrscheinlich nicht beachtet haben.
Mendel machte wieder Tee, und sie tranken ihn. Um etwa viertel nach fünf brachen sie in Smileys Wagen nach Battersea auf. Auf dem Weg kaufte Mendel eine Abendzeitung. Er las sie unter Schwierigkeiten im Lichte der Straßenlampen. Nach ein paar Minuten fuhr er gereizt auf: »Krauts, verdammte Krauts. Gott, wie ich sie hasse!«
»Krauts?«
»Ja, Krauts. Diese Hunnen, diese Jerries, verdammte Deutsche! Nicht einmal Sixpence würde ich für alle miteinander geben. Blutdürstige, dreckige Hammel. Prügeln schon wieder auf die Juden los. Und wir waren drüben. Haben sie niedergehauen und wieder auf die Beine gestellt. Vergeben und vergessen. Warum, zum Teufel, vergessen, das möchte ich wissen! Warum Dieberei, Raub und Mord vergessen, nur weil sie von Millionen begangen worden sind? Herrgott, wenn irgend so eine arme kleine Null von einem nur zehn Shilling mitgehen läßt, dann ist die ganze Polizei der Hauptstadt hinter ihr her. Aber Krupp und das ganze Gesindel - nein, da nicht. Verdammt noch einmal, wenn ich in Deutschland ein Jude wäre, dann würde ich . . .«
Smiley war plötzlich hellwach: »Was würden Sie dann tun? Was täten Sie dann, Mendel?«