»Einen Augenblick, Polyp, wir wollen nicht über den Mond hinausschießen. Um was handelt es sich eigentlich? Wer, zum Teufel, redet hier von Mord?«
»Mach deine Ohren auf, Scarr, du bist ein kleiner Mann, der von den Großzügigen profitiert hat. Na gut, jetzt bist du der Großzügige. Ich rechne, daß es dich fünfzehn Jahre kosten wird.«
»Jetzt halten Sie schon endlich das Maul.«
»Nein, das werde ich nicht, kleiner Mann. Du steckst fest zwischen zwei Großen und bist der Dumme. Und was werde ich tun? Ich werde mich verdammt krank lachen, während du im Zuchthaus verrottest und dir deinen dicken Bauch anschaust. Siehst du das Spital dort? Da stirbt gerade ein Bursche, der von deinem großen Schotten umgebracht worden ist. Vor einer halben Stunde haben sie ihn hier in deinem Hof, blutend wie ein Schwein, gefunden. Ein anderer wurde in Surrey tot aufgefunden und, soviel ich weiß, einer in jeder verdammten Grafschaft hier im Land. Also es ist dein Problem, du Trottel, nicht meines. Noch etwas! Du bist der einzige, der weiß, wer er ist, nicht wahr? Er könnte vielleicht auf die Idee kommen, ein bißchen aufzuräumen, hast du kapiert?«
Scarr ging langsam auf die andere Seite des Wagens. »Steigen Sie ein, Polyp«, sagte er.
Mendel saß hinter dem Steuer und schloß die andere Tür von innen auf. Scarr setzte sich neben ihn. Das Licht schalteten sie nicht ein.
»Ich habe ein nettes Geschäft hier«, sagte Scarr ruhig, »die Einnahmen sind zwar klein, aber regelmäßig. Oder waren es wenigstens, bis dieser Kerl dahergekommen ist.«
»Was für ein Kerl?«
»Schön langsam, Polyp, drängeln Sie mich nicht. - Ich habe nicht an den Weihnachtsmann geglaubt, bis ich ihn getroffen habe. Holländer, sagte er, sei er, und im Diamantengeschäft. Ich will nicht behaupten, daß ich ihm geglaubt habe, denn Sie sind nicht aufs Hirn gefallen, und ich auch nicht. Ich habe nie gefragt, was er treibt, und er hat es mir auch nie gesagt, aber ich vermutete, daß es Schmuggel war. Geld zum Brennen hat er gehabt, das ist ihm aus den Fingern geflogen wie das Laub von den Bäumen im Herbst. >Scarr<, sagt er zu mir, >Sie sind ein Geschäftsmann. Ich habe Aufsehen nicht gern, noch nie gern gehabt, und ich höre, daß wir zwei Vögel mit gleichen Federn sind. Ich brauch' einen Wagen. Nicht für immer, nur zum Ausleihen.< Er hat es nicht ganz so gesagt, wegen des Ausländischen, aber das ist so ungefähr der Sinn. Ich sage: >Was ist Ihr Vorschlag, machen Sie mir ein Angebote >Gut<, sagt er, >ich bin vorsichtig. Ich will einen Wagen, daß niemand an mich 'ran kann. Wenn ich zum Beispiel einen Unfall hätte. Kaufen Sie für mich einen Wagen, Scarr, einen netten alten Wagen, der etwas unter der Haube hat. Aber auf Ihren eigenen Namen<, sagt er, >und stellen Sie ihn für mich aufs Eis. Hier sind fünfhundert Pfund für den Anfang und zwanzig im Monat für die Garage. Und dann gibt es extra was für jeden Tag, wenn ich ihn benutze. Aber, wie gesagt, ich bin scheu, und Sie kennen mich nicht. Dafür<, sagt er, >zahle ich: daß Sie mich nicht kennen.«
Den Tag werde ich nicht vergessen. Es hat in Strömen geregnet, und ich habe gerade am Motor von einem alten Taxi herumgebastelt, das ich von einem Kerl in Wandsworth gekauft hatte. Einem Buchmacher war ich vierzig Pfund schuldig, und die Polente ist zudringlich geworden wegen eines Wagens, den ich auf Abstottern gekauft und in Clapham verkloppt hatte.«
Mr. Scarr holte tief Atem und blies dann die Luft wieder aus, mit einem Ausdruck von komischer Resignation.
»Auf einmal stand er hinter mir wie mein eigenes Gewissen und ließ Pfundnoten über mich herunterregnen wie alte Totoscheine.«
»Wie hat er ausgesehen?« erkundigte sich Mendel.
»Ziemlich jung war er. Großer blonder Bursche, aber eiskalt, kalt wie die Nächstenliebe. Seit damals habe ich ihn nie mehr gesehen. Er hat mir Briefe geschickt, die in London aufgegeben und auf gewöhnlichem Papier mit der Maschine geschrieben waren. Einfach nur: >Seien Sie Montag abend bereit« oder: »Donnerstag abend« und so. Es war alles genau ausgemacht. Ich habe den Wagen in den Hof gestellt, fix und fertig und voll Sprit. Wann er zurück sein wird, hat er nie gesagt. Hat ihn nur reingefahren bei Feierabend, oder später, die Standbeleuchtung brennen lassen und ihn abgesperrt. In die Kartentasche hat er immer ein paar Pfund gelegt, für jeden Tag, den er weg war.«
»Was war, wenn was schiefgegangen ist, wenn man dich für irgend etwas anderes beim Kragen hatte?«
»Er hat mir eine Telefonnummer gegeben und gesagt, ich soll anrufen und nach jemandem fragen.«
»Wie war der Name?«
»Er hat mir gesagt, ich soll mir einen aussuchen. Ich habe Blondie ausgesucht. Er hat das nicht sehr komisch gefunden, aber wir sind dabei geblieben. Die Nummer war Primrose 0098.«
»Hast du sie einmal gebraucht?«
»Ja, vor ein paar Jahren. Ich wollte zur Erholung zehn Tage nach Margate. Da habe ich mir gedacht, es ist besser, daß ich ihm das sage. Ein Mädchen war am Telefon - nach der Stimme auch eine Holländerin. Sie hat gesagt, Blondie ist in Holland, und sie wird die Botschaft übernehmen. Aber dann später habe ich mir die Mühe nicht mehr gemacht.«
»Warum nicht?«
»Es ist mir aufgefallen, verstehen Sie, daß er immer alle vierzehn Tage, immer am ersten und dritten Dienstag gekommen ist, außer im Januar und Februar. Diesmal ist er zum erstenmal im Januar gekommen. Er hat den Wagen meistens am Donnerstag zurückgebracht. Komisch, daß er heute abend gekommen ist. Aber jetzt ist es ja aus mit ihm, oder?« Scarr hielt die Karte, die ihm Mendel gegeben hatte, in seiner riesigen Hand.
»Ist er eigentlich manchmal weggeblieben? Längere Zeit?«
»Im Winter war er mehr weg. Im Januar ist er nie gekommen, auch im Februar nicht. Wie ich gesagt habe.«
Mendel hatte die fünfzig Pfund noch in der Hand. Er warf sie Scarr auf den Schoß.
»Bilde dir jetzt nicht ein, daß du Schwein gehabt hast. Ich möchte nicht in deinen Schuhen stecken, nicht einmal für zehnmal soviel Geld. Ich werde wiederkommen.«
Mr. Scarr sah beunruhigt aus.
»Ich hätte nicht gepfiffen«, sagte er, »aber ich will da in nichts hineinverwickelt werden, verstehen Sie. Schon gar nicht, wenn das alte Land dabei zu Schaden kommen würde, nicht wahr, Chef?«
»Ach, jetzt halt doch schon endlich den Mund«, sagte Mendel. Er war müde. Er nahm die Karte wieder an sich, stieg aus und ging in der Richtung zum Spital weg.
Dort gab es nichts Neues. Smiley war noch immer bewußtlos. Man hatte das C.I.D. benachrichtigt und riet Mendel, seinen Namen und seine Adresse zu hinterlassen und nach Hause zu gehen. Das Spital würde anrufen, wenn es etwas Neues gäbe. Nach langem Hin- und Herreden bekam Mendel endlich den Schlüssel zu Smileys Wagen von der Schwester.
Daß ich in Mitcham wohne, ist doch zu blöd, dachte er.
Erwägungen in einem Krankenzimmer
Er haßte das Bett wie ein Ertrinkender das Meer. Und die Bettücher, die ihn so festhielten, daß er weder Hand noch Fuß bewegen konnte.
Und das Zimmer haßte er, weil er davor Angst hatte. Bei der Tür stand ein kleiner Rollwagen mit Instrumenten drauf, Scheren, Verbandzeug, Flaschen, unheimliche Gegenstände, die den Schrecken des Unbekannten an sich hatten, das zur letzten Kommunion in weißes Leinen gehüllt war. Da gab es Gefäße, große, die halb mit Tüchern bedeckt waren und wie weiße Adler aussahen, die darauf warteten, seine Eingeweide zu zerreißen, und kleine Gläser, in denen Gummischläuche wie Schlangen zusammengerollt waren. Er haßte das alles, und er hatte Angst. Es war ihm heiß, und der Schweiß rann ihm herunter, er fror schweißgebadet, und der Schweiß lief ihm wie kaltes Blut in großen Tropfen über die Rippen. Tag und Nacht lösten einander ab, ohne daß es für Smiley einen Unterschied gemacht hätte. Er kämpfte einen ununterbrochenen Kampf gegen den Schlaf, denn wenn er die Augen schloß, schienen sie sich nach innen dem Chaos in seinem Hirn zuzuwenden. Und wenn ihm manchmal, einfach nur durch ihr Gewicht, die Augenlider heruntersanken, dann nahm er alle seine Kraft zusammen, um sie wieder in die Höhe zu bringen und auf das fahle Licht zu starren, das irgendwo über ihm flimmerte.