Wie gesagt, Dieter war ein hervorragender Agent. Er brachte es sogar fertig, daß gewisse Frachten in Nächten mit guten Flugbedingungen auf den Weg gebracht wurden, so daß unsere Bomber ein leichtes Spiel hatten. Er hatte eine Menge eigener Tricks - war ein Genie für das Drum und Dran der Spionage. Es war absurd, anzunehmen, daß das von Dauer sein konnte, aber die Erfolge unserer Bombardierungen waren häufig so groß und weit verstreut, daß es kindisch gewesen wäre, sie auf den Verrat einer einzigen Person zurückzuführen - ganz zu schweigen von einer Person, die so offensichtlich im Scheinwerferlicht stand wie Dieter.
Wo er seine Hand im Spiel hatte, war meine Arbeit leicht. Er reiste auch eine Menge, hatte einen besonderen Paß, mit dem er das konnte. Die Weiterleitung der Nachrichten war ein Kinderspiel, verglichen mit der Situation bei anderen Agenten. Gelegentlich trafen wir uns sogar persönlich und redeten miteinander in irgendeinem Cafe. Manchmal nahm er mich in einem Wagen des Ministeriums mit, und wir fuhren hundert oder hundertfünfzig Kilometer auf einer Autobahn, als hätte er mich aus Gefälligkeit mitgenommen. Aber häufiger pflegte er die Reise mit meinem Zug zu machen, mit mir auf dem Gang die Aktenmappen auszutauschen oder mit Paketen ins Theater zu kommen und mir den Garderobenzettel zu geben. Er gab mir selten wirkliche Berichte, sondern Durchschläge von Transportaufträgen. Eine Menge machte seine Sekretärin. Er ließ sie eine besondere Sammlung von Durchschlägen anlegen, die er dann alle drei Monate auf die Weise »vernichtete«, daß er sie in der Mittagspause in seine Aktentasche steckte.
Also, im Jahre 1943 wurde ich dann zurückbeordert. Die Tarnung mit den Geschäftsreisen war ziemlich fadenscheinig geworden, glaube ich, und ich hatte doch schon einiges abbekommen.« Er machte eine Pause und nahm sich aus Guillams Etui eine Zigarette.
»Aber wir wollen Dieter nicht aus den Augen verlieren«, fuhr er fort. »Er war mein bester Agent, aber nicht mein einziger. Die anderen machten mir viel Kopfzerbrechen. Mit ihm zu arbeiten war im Vergleich dazu ein reines Vergnügen. Als der Krieg aus war, versuchte ich, von meinem Nachfolger zu erfahren, was aus Dieter und den anderen geworden war. Einige waren nach Australien und Kanada ausgewandert, andere wieder gingen zurück zu dem, was von ihren Heimatstädten übriggeblieben war. Dieter zögerte, vermute ich. In Dresden waren ja die Russen, und er wird wohl seine Zweifel gehabt haben. Schließlich fuhr er doch hin - eigentlich mußte er, wegen seiner Mutter. Die Amerikaner haßte er sowieso. Und dann war er ja Sozialist.
Später hörte ich, daß er dort eine Karriere gemacht hat. Die administrative Erfahrung, die er sich während des Krieges erworben hatte, verschaffte ihm irgendein Amt bei der Regierung der neuen Republik. Ich vermute, daß ihm sein Ruf als Revolutionär und die Leiden seiner Familie den Weg geebnet haben. Er muß eine ganz schöne Stellung erreicht haben.«
»Wieso?« fragte Mendel.
»Er war bis vor einem Monat hier in England und hat die Stahl-Mission geleitet.«
»Das ist noch nicht alles«, unterbrach ihn Guillam. »Falls Sie glauben sollten, Ihr Kelch sei volclass="underline" Ich habe Ihnen einen zweiten Besuch in Weybridge erspart, Mendel, und heute morgen Elizabeth Pidgeon besucht. Es war Georges Idee.« Er drehte sich Smiley zu: »Sie ist so eine Art von Moby Dick - etwas wie ein weißer männerfressender Wal.«
»Und was war?« fragte Mendel.
»Ich habe ihr ein Bild von diesem jungen Diplomaten gezeigt, Mundt heißt er, den sie dort im Schlepptau hatten und der die Brocken auflesen sollte. Elizabeth erkannte ihn auf den ersten Blick als den netten jungen Mann, der die Notenmappe geholt hatte. Ist das nicht lustig?«
»Aber . . .«
»Ich weiß schon, was Sie fragen wollen, Sie kluger Knabe. Sie wollen fragen, ob auch George ihn erkannt hat. Ja, das hat er. Es ist derselbe Bursche, der neulich versucht hat, ihn in sein eigenes Haus zu locken. Kommt offenbar ziemlich viel herum.«
Mendel fuhr nach Mitcham. Smiley war todmüde. Es regnete wieder und war kalt. Smiley hüllte sich fest in seinen Wintermantel, und trotz seiner Erschöpfung sah er mit Vergnügen auf das geschäftige Treiben des Londoner Nachtlebens hinaus. Er war immer gerne gereist. Auch jetzt noch würde er, wenn er Gelegenheit hätte, Frankreich lieber mit dem Zug durchqueren als fliegen. Er reagierte noch immer auf die geheimnisvollen Geräusche einer Nachtreise durch Europa, auf die merkwürdige Melodie von Mißtönen und die französisch sprechenden Stimmen, die einen plötzlich aus englischen Träumen rissen. Ann hatte es auch gern gehabt und war zweimal mit ihm Überland gefahren, um die zweifelhaften Freuden einer solchen unbequemen Reise mit ihm zu teilen.
Als sie nach Hause kamen, ging Smiley sofort ins Bett, während Mendel Tee machte, den sie dann in Smileys Schlafzimmer tranken.
»Was tun wir jetzt?« fragte Mendel.
»Ich glaube, ich sollte morgen vielleicht nach Walliston hinaussehen.«
»Sie sollten lieber einen Tag im Bett bleiben. Was wollen Sie denn dort?«
»Elsa Fennan besuchen.«
»Allein sind Sie auf keinen Fall sicher. Sie sollten mich lieber mitnehmen. Ich werde im Wagen sitzen, während Sie mit ihr reden. Sie ist eine Jüdin, nicht wahr?«
Smiley nickte.
»Mein Daddy war auch Jude. Aber ohne so viel verdammtes Getue.«
Ein Traum ist zu verkaufen
Sie öffnete die Tür und sah ihn einen Augenblick schweigend an.
»Sie hätten mich verständigen sollen, daß Sie kommen werden«, sagte sie.
»Ich habe es für sicherer gehalten, das nicht zu tun.«
Wieder war sie einen Moment still. Endlich sagte sie: »Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.« Es schien sie eine ziemliche Anstrengung zu kosten.
»Darf ich hineinkommen?« sagte Smiley. »Wir haben nicht viel Zeit.« Sie sah alt und müde aus oder vielleicht, besser gesagt, weniger elastisch. Sie führte ihn in den Salon und deutete resigniert auf einen Stuhl.
Smiley bot ihr eine Zigarette an und nahm selber eine. Sie stand am Fenster. Als er sie ansah und ihren schnellen Atem und die fiebrigen Augen beobachtete, wurde ihm klar, daß sie die Kraft zur Selbstverteidigung fast verloren hatte.
Als er sprach, war seine Stimme gütig und unaufdringlich. Elsa Fennan mußte sie wie eine Stimme vorkommen, nach der sie sich gesehnt hatte. Eine unwiderstehliche Stimme, die Kraft, Trost, Mitgefühl und Sicherheit verhieß. Langsam bewegte sie sich vom Fenster weg, und ihre rechte Hand, die sie zuerst auf das Fensterbrett gestützt hatte, rutschte, ohne daß sie es gewahr wurde, herunter und fiel schließlich wie in einer Geste der Ergebung an ihre Seite. Sie nahm ihm gegenüber Platz, und ihre Augen hingen in völliger Hingabe an ihm, wie die Augen einer Liebenden.
»Sie müssen schrecklich einsam gewesen sein«, sagte er. »Niemand kann es auf die Dauer alleine aushalten. Mut müssen wir auch haben, und es ist so unendlich schwer, allein mutig zu sein. Das verstehen die Leute nie, nicht wahr? Sie verstehen nie, was sie einen kosten, die gemeinen lügnerischen und betrügerischen Kniffe, die Isolation von anständigen Menschen. Sie glauben, man kann dauernd mit ihrem Treibstoff fahren - mit wehender Fahne und Musik. Aber wenn man allein ist, braucht man einen anderen Treibstoff, nicht wahr? Man wird gezwungen zu hassen, aber es braucht viel Kraft, ununterbrochen zu hassen. Und was man lieben muß, ist so weit weg, so verschwommen, wenn man nicht daran teilhat.« Er machte eine Pause. Gleich, dachte er, gleich wirst du Resonanz finden. Er betete inbrünstig, daß sie auf ihn eingehen, seinen Trost akzeptieren sollte. Gleich würde sie zusammenbrechen.
»Ich habe gesagt, daß uns nicht viel Zeit zur Verfügung steht. Ist Ihnen klar, was ich meine?«
Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet und sah auf sie herunter. Er sah die dunklen Haarwurzeln ihres hellen Haares und konnte nicht verstehen, warum sie es färbte. Kein Zeichen von ihr verriet, daß sie seine Frage gehört hatte.