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Als der zweite Akt dem Ende zuging, erhob sich Smiley, und als der Vorhang fiel, verschwand er schnell durch den Seitenausgang und wartete, im Korridor versteckt, bis zum letzten Akt geläutet wurde. Mendel kam kurz vor Ende der Pause zu ihm, und Guillam huschte vorbei, um seinen Posten im Foyer einzunehmen.

»Jetzt gibt es Verdruß«, sagte Mendel. »Sie streiten. Sie sieht aus, als ob sie Angst hätte. Sie scheint immer wieder etwas zu sagen, und er schüttelt nur den Kopf. Sie ist ganz aus dem Häuschen, glaube ich, und er sieht beunruhigt aus. Er hat angefangen, im Theater herumzuschauen, als säße er in einer Falle, als prüfte er Möglichkeiten und machte Pläne. Er hat auch dorthin gesehen, wo Sie sitzen.«

»Er wird sie nicht allein gehen lassen«, sagte Smiley. »Er wird warten und zusammen mit dem anderen Publikum hinausgehen. Sie werden nicht vor Schluß verschwinden. Er rechnet wahrscheinlich damit, daß er eingekesselt ist. Er wird sein Heil darin suchen, uns dadurch zu verwirren, daß er sich von ihr plötzlich mitten im Gedränge trennt - sie eben einfach verliert.«

»Was spielen wir eigentlich für ein Spiel? Warum können wir nicht einfach hin und sie festnehmen?«

»Wir warten eben bloß. Ich weiß nicht, weshalb. Übrigens haben wir keine Beweise. Weder für Mord noch für Spionage, bis sich Maston dazu aufrafft, etwas zu tun. Aber behalten Sie eines im Auge: Dieter weiß das nicht. Wenn Elsa nervös ist und Dieter beunruhigt, dann werden sie bestimmt irgend etwas tun - das ist sicher. Solange sie glauben, daß das Spiel aus ist, haben wir eine Chance. Sie sollen nur davonlaufen, in Panik ausbrechen, was sie wollen. Bis sie etwas tun . . .«

Wieder wurde es dunkel im Theater, aber als Smiley heimlich hinsah, bemerkte er, daß sich Dieter zu Elsa beugte und ihr etwas zuflüsterte. Seine Linke hielt ihren Arm, und seine ganze Haltung war so, als versuche er, ihr etwas dringend einzureden und sie zu beruhigen.

Das Stück ging weiter, die Rufe der Soldaten und das Gekreische des wahnsinnigen Königs erfüllten das Theater bis zum fürchterlichen Höhepunkt seines schmählichen Endes, als ein Seufzer aus dem Parkett zu hören war. Dieter hatte jetzt seinen Arm um Elsas Schultern gelegt, er hatte ihren Schal um ihren Hals geschlungen und schien sie wie ein schlafendes Kind zu beschirmen. In dieser Stellung blieben sie bis zum letzten Vorhang. Beide applaudierten nicht. Dieter sah sich nach Elsas Handtasche um, sagte irgend etwas Aufmunterndes zu ihr und stellte sie ihr auf den Schoß. Sie nickte ganz leicht. Ein einleitender Trommelwirbel veranlaßte das Publikum, sich zur Nationalhymne zu erheben - Smiley stand automatisch auf und bemerkte zu seinem Erstaunen, daß Mendel verschwunden war. Dieter stand langsam auf, und dabei wurde es Smiley klar, daß etwas passiert war. Elsa saß noch immer, und obwohl Dieter ihr sanft zuzureden schien, doch aufzustehen, reagierte sie nicht. Sie saß merkwürdig verrenkt da, und der Kopf war ihr nach vorn auf die Brust gesunken . . .

Man spielte gerade die letzten Takte der Nationalhymne, als Smiley zur Tür stürzte und durch den Korridor und über die Stiegen hinunter ins Foyer rannte. Er kam gerade einen Augenblick zu spät, denn der erste Schwall von eiligen Theaterbesuchern, die auf der Suche nach Taxis auf die Straße drängten, kam ihm schon entgegen. Er sah sich in der Menge verzweifelt nach Dieter um, wußte aber, daß es hoffnungslos war. Daß Dieter das getan hatte, was er selbst getan haben würde: nämlich einen der Notausgänge benutzt hatte, die auf die Straße führten, wo er in Sicherheit war. Er arbeitete sich mit seinen breiten Schultern langsam mitten durch die Menschenmenge gegen den Eingang zum Parkett durch. Sich zwischen den Körpern der ihm Entgegenkommenden bald hierhin, bald dorthin wendend und durchdrängend, sah er Guillam, der am Rande des Menschenstromes stand und verzweifelt nach Dieter und Elsa Ausschau hielt. Er rief ihn an, und Guillam drehte sich schnell um.

Smiley schob sich weiter vor und langte schließlich bei der niedrigen Trennwand an, wo er Elsa sehen konnte, die bewegungslos dasaß, während überall die Männer aufstanden und die Frauen nach ihren Umhängen und Handtaschen griffen. Dann hörte er den Schrei. Er kam plötzlich und war kurz und erfüllt von heftigstem Schrecken und Ekel. Ein Mädchen stand im Gang und blickte Elsa an. Sie war jung und sehr hübsch. Die Finger ihrer rechten Hand hatte sie an den Mund gepreßt, und ihr Gesicht war totenbleich. Ihr Vater, ein großer, blasser Mann, stand hinter ihr. Er nahm sie schnell um die Schultern und zog sie weg, nachdem ihm die schreckliche Szene klar geworden war.

Elsas Schal war heruntergefallen, und ihr Kopf tief auf die Brust gesunken.

Smiley hatte recht gehabt. »Sie sollen nur davonlaufen, in Panik ausbrechen, was sie wollen ... bis sie etwas tun . . .« Das war es also, was sie getan hatten. Dieser zerbrochene, arme Körper war ein Zeuge ihrer Panik.

»Es ist wohl am besten, Sie holen die Polizei, Peter. Ich gehe nach Hause. Halten Sie mich aus der Sache draußen, wenn Sie können. Sie wissen ja, wo Sie mich finden.« Er nickte, als wäre es zu sich selber. »Ich gehe nach Hause.«

Es war neblig, und ein feiner Regen fiel, als Mendel bei der Verfolgung Dieters rasch die Fulham Palace Road überquerte. Die Scheinwerfer der Autos tauchten plötzlich zwanzig Fuß vor ihm aus dem nassen Nebel auf.

Er hatte keine andere Wahl, als immer auf ganz kurze Distanz auf Dieters Fersen zu bleiben, nie mehr als ein Dutzend Schritte hinter ihm. Die Gasthäuser und Kinos hatten schon zu, aber die Café-Bars und Tanzetablissements zogen noch immer lärmende Gruppen von Passanten an, die die Gehsteige bevölkerten. Wie Dieter so vor ihm herhinkte, folgte ihm Mendel im Licht der Straßenlaternen. Seine Silhouette wurde jedesmal plötzlich deutlich, wenn er in den nächsten Lichtkegel kam.

Trotz seines Hinkens ging Dieter schnell. Dadurch, daß er längere Schritte machte, wurde das Hinken auffallender, und es sah aus, als schwinge er sein linkes Bein durch eine plötzliche Anstrengung seiner breiten Schultern nach vorne.

Auf Mendels Gesicht war ein merkwürdiger Ausdruck. Nicht von Haß oder eiserner Entschlossenheit, sondern von offenem Ekel. Für ihn bedeutete das ganze beschönigende Drum und Dran von Dieters Beruf nicht das mindeste. Er sah an dem Wild, das er verfolgte, nur den Schmutz des Verbrechers, die klägliche Feigheit eines Mannes, der andere dafür bezahlte, daß sie für ihn mordeten. Als Dieter sich vorsichtig aus dem Zuschauerraum davongemacht hatte und zum Seitenausgang geschlichen war, hatte Mendel darin das gesehen, was er erwartet hatte: irgendeine Hinterlist eines gemeinen Verbrechers. Das war etwas, das er voraussah und verstand. Für Mendel gab es nur eine Art von Kriminellen, angefangen vom Taschendieb und Einschleichdieb bis zum Großbetrüger, der das Recht zu handeln nach seinem Belieben für sich zurechtbog. Sie befanden sich alle außerhalb des Gesetzes, und es war seine ekelhafte, aber notwendige Aufgabe, ihnen das Handwerk zu legen und sie an einen sicheren Ort zu bringen. Dieser Verbrecher hier war zufälligerweise ein Deutscher.

Der Nebel wurde dick und gelb. Keiner von ihnen hatte einen Mantel an. Was Mrs. Fennan wohl jetzt tun würde, dachte Mendel. Guillam würde sich schon um sie kümmern. Sie hatte Dieter nicht einmal angesehen, als er sich davonmachte. Das war eine merkwürdige Person. Ganz Haut und Knochen und gute Werke, so sah sie aus. Sie lebte wohl von trockenem Toast und Suppenwürfeln.

Dieter bog plötzlich nach rechts in eine Seitengasse ein und dann in eine andere nach links. Sie waren nun schon eine Stunde unterwegs, und er wurde noch immer keine Spur langsamer. Die Straße schien menschenleer zu sein, wenigstens konnte Mendel keine anderen Schritte als ihre eigenen hören, deren knirschendes kurzes Echo im Nebel zerflatterte. Jetzt waren sie in einer schmalen Gasse mit Häusern aus der Zeit der Königin Victoria, die nicht ganz stilreine Regency-Fassaden, große Vorbauten und Schiebefenster hatten. Mendel schätzte, daß sie irgendwo in der Nähe des Fulham Broadway waren, vielleicht noch weiter, näher bei der King's Road. Noch immer ließ Dieters Tempo nicht nach, noch immer glitt der schräge Schatten vorwärts durch den Nebel, zielbewußt und seines Weges sicher.