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Smiley wandte sich zum Gehen.

»Oh . . . übrigens, Smiley . . .« Er fühlte Mastons Hand auf seinem Arm und drehte sich um. Maston hatte das Lächeln aufgesetzt, das er gewöhnlich für die älteren Damen des Dienstes reserviert hatte. »Smiley, Sie können natürlich auf mich zählen, das wissen Sie ja. Sie können mit meiner Unterstützung rechnen.«

Mein Gott, dachte Smiley, der arbeitet wirklich Tag und Nacht. Wie ein Kabarett, das vierundzwanzig Stunden spielt. »Bei uns ist Tag und Nacht was los.« Er trat auf die Straße hinaus.

Elsa Fennari

 

Merridale Lane ist einer von jenen Winkeln in Surrey, wo die Einheimischen einen pausenlosen Verteidigungskrieg gegen das Stigma der Provinz führen. Bäume, die in allen Vorgärten nach Kräften gedüngt und sorgfältig gehegt werden, verbergen zum Teil die langweilig schäbigen Einheits-Wohnstätten, die sich hinter sie ducken. Die Ländlichkeit der Gegend wird noch unterstrichen durch die geschnitzten Eulen, die die Hausnamen bewachen, und Gartenzwerge, von denen die Farbe abblättert und die sich unermüdlich über Goldfischteiche beugen. Die Bewohner von Merridale Lane streichen ihre Zwerge nicht, weil sie glauben, daß das eine provinzielle Untugend wäre, und aus demselben Grund geben sie auch ihren Eulen keinen neuen Firnis, sondern warten geduldig darauf, daß der Zahn der Zeit diesen Schätzen das verwitterte Aussehen von Antiquitäten verleihen werde, auf daß eines Tages sogar die Balken der Garage mit ihren Käfern und Bohrwürmern prahlen mögen.

Es ist nicht gerade eine Sackgasse, obwohl die Grundstücksmakler das behaupten. Nach wenigen Häusern degeneriert diese Abzweigung der Entlastungsstraße nach Kingston verzagt zu einem Kiesweg, der seinerseits zu einem traurigen, kotigen Pfad durch Merries Field dahinschwindet, dieser endlich mündet in eine Gasse, die von Merridale Lane nicht zu unterscheiden ist. Bis etwa 1920 hatte dieser Weg zur Pfarrkirche geführt, aber jetzt steht die Kirche auf einem Platz, der eigentlich eine Verkehrsinsel an der Straße nach London ist, und der Pfad, auf dem die Gläubigen einst zum Gottesdienst gingen, bildet heute eine überflüssige Verbindung zwischen den Bewohnern von Merridale Lane und Cadogan Road. Der Streifen offenen Landes, der Merries Field heißt, hat bereits eine Bedeutung erlangt, die weit über seine Bestrebungen hinausgeht. Er hat einen tiefen Keil in den Bezirksrat getrieben, und zwar zwischen die Fortschrittlichen, die das Land erschließen, und die Konservativen, die den ursprünglichen Zustand erhalten wollen, und das so erfolgreich, daß gelegentlich die ganze Maschinerie der lokalen Verwaltung in Walliston blockiert war. Jetzt hat sich eine Art von natürlichem Kompromiß herauskristallisiert. Durch die drei Stahlmaste, die in regelmäßigen Abständen aufgestellt worden sind, wird Merries Field weder erschlossen noch in seinem ursprünglichen Zustand belassen. In der Mitte befindet sich eine offene, strohgedeckte Hütte, die sogenannte »Kriegergedächtnis-Ruhe«, die im Jahre 1951 in dankbarer Erinnerung an die Toten zweier Kriege und als Zufluchtsstätte für die Müden und Alten errichtet worden ist. Niemand scheint danach gefragt zu haben, was die Müden und Alten in Merries Field verloren haben könnten, aber wenigstens die Spinnen haben eine Zufluchtsstätte unter dem Dach, und als Sitzplatz war die Hütte den Monteuren der Mäste bei ihren Mahlzeiten außerordentlich bequem und willkommen.

Kurz nach acht traf Smiley dort zu Fuß ein, nachdem er seinen Wagen vor der Polizeistation abgestellt hatte, die etwa zehn Minuten entfernt war.

Es regnete heftig, und die Tropfen, die einem der Wind ins Gesicht blies, waren so kalt, daß es fast schmerzte.

Die Polizei von Surrey hatte kein weiteres Interesse an der Sache, aber trotzdem hatte Sparrow einen Beamten der Sonderabteilung hingeschickt, der auf der Polizeistation bleiben und nötigenfalls als Verbindungsmann zwischen dem Sicherheitsdienst und der Polizei fungieren sollte. Über die Todesart Fennans bestand kein Zweifel. Er war durch die Schläfe aus kurzer Entfernung mit einer kleinen französischen Pistole, die in Lille im Jahre 1957 hergestellt worden war, erschossen worden. Man hatte sie unter der Leiche gefunden. Alle Umstände ließen auf Selbstmord schließen.

Das Haus Nummer fünfzehn in der Merridale Lane war niedrig, im Tudorstil gebaut, mit den Schlafzimmern in den Giebeln; der Oberteil der Garage war Zimmermannsarbeit. Es sah vernachlässigt aus, fast verwahrlost, als hätten irgendwelche Künstler drin gewohnt, dachte Smiley. Fennan schien nicht hierher zu passen. Man konnte sich eher vorstellen, daß er in Hampstead wohnte und ausländische Mädchen au pair bei ihm arbeiteten.

Er klinkte das Gittertor auf und ging langsam die Auffahrt zum Eingang hinauf, wobei er vergeblich versuchte, durch die verbleiten Fensterscheiben zu spähen. Es war bitterkalt. Er läutete.

Elsa Fennan öffnete die Tür.

»Sie haben angerufen und gefragt, ob es mir recht ist. Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte. Bitte, kommen Sie herein.« Ein Anflug von deutschem Akzent klang mit.

Sie mußte älter sein, als Fennan gewesen war. Eine kleine, erregte Frau in den Fünfzigern mit kurzgeschnittenem, nikotinfarben aufgefärbtem Haar. Obwohl sie zart war, machte sie einen zähen und beherzten Eindruck, und die braunen Augen, die aus ihrem verschrobenen kleinen Gesicht leuchteten, waren von erstaunlicher Brillanz. Es war ein verbrauchtes Gesicht, das vor langer Zeit verheert und zerstört worden war, das eines Kindes, das unter Hunger und erschöpfenden Entbehrungen aufwächst, das Gesicht des ewigen Flüchtlings, das Gesicht aus den Lagern, dachte Smiley.

Sie hielt ihm ihre Hand hin - sie griff sich knöchern an. Er sagte ihr seinen Namen.

»Sie sind der Herr, der meinen Mann einvernommen hat«, sagte sie. »Über seine Loyalität.« Sie führte ihn in das niedrige dunkle Wohnzimmer. Es brannte kein Feuer. Smiley war plötzlich elend zumute. Loyalität, wem oder was gegenüber? Es klang nicht erbittert. Er war ein Unterdrücker, aber sie akzeptierte Unterdrückung.

»Ihr Mann war mir sehr sympathisch. Die Sache wäre in Ordnung gewesen.«

»In Ordnung? Was wäre in Ordnung gewesen?«

»Es lag dem ersten Anschein nach ein Grund zu einer Untersuchung vor - ein anonymer Brief - und man hat mir den Fall übertragen.« Er machte eine Pause und sah sie mit echter Teilnahme an. »Sie haben einen schrecklichen Verlust erlitten, Mrs. Fennan ... Sie müssen ja vollkommen erschöpft sein. Sicher haben Sie die ganze Nacht nicht geschlafen . . .«

Sie reagierte nicht auf seine Sympathie: »Danke, aber heute kann ich kaum hoffen zu schlafen. Schlaf ist ein Luxus, dessen ich mich nicht erfreue.« Sie blickte schräg auf ihren eigenen kleinen Körper hinunter. »Ich und mein Körper müssen zwanzig Stunden am Tag miteinander auskommen. Wir beide haben schon länger gelebt als die meisten Menschen . . . Ein schrecklicher Verlust, ja, das glaube ich. Aber verstehen Sie mich recht, Mr. Smiley, ich habe so lange Zeit nichts besessen als eine Zahnbürste, daß ich mich eigentlich nie mehr an Besitz gewöhnt habe, auch nicht nach acht Jahren Ehe. Übrigens habe ich Übung darin zu leiden.«

Sie lud ihn mit einem Kopfnicken ein, Platz zu nehmen, raffte mit einer merkwürdig altmodischen Bewegung ihr Kleid und setzte sich ihm gegenüber. Es war sehr kalt in diesem Zimmer. Smiley überlegte, ob er reden sollte. Er wagte nicht, sie anzusehen, sondern starrte nur vor sich hin und versuchte im Geiste, das abgespannte, verbrauchte Gesicht von Elsa Fennan zu durchdringen. Es schien endlos zu dauern, bevor sie zu sprechen begann.

»Sie sagten, daß er Ihnen sympathisch war. Offensichtlich haben Sie Ihrerseits ihm diesen Eindruck nicht vermittelt.«

»Ich habe den Brief Ihres Mannes nicht gesehen, aber ich habe von seinem Inhalt gehört.« Smileys ernstes, rundes Gesicht wandte sich ihr jetzt zu. »Es reimt sich einfach nicht zusammen. Ich habe ihm direkt gesagt, daß er so gut wie . . . daß wir empfehlen würden, die Angelegenheit als bereinigt zu betrachten.«