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»Warum nicht?«

»Sie leidet an Schlaflosigkeit, hat sie mir gesagt. Sie hat eine Art Scherz damit gemacht. Ich riet ihr, sich etwas auszuruhen, und sie sagte nur: >Mein Körper und ich müssen zwanzig Stunden am Tag miteinander auskommen. Wir haben schon länger gelebt als die meisten Menschen.< Noch etwas hat sie gesagt. Ja, daß sie nicht den Luxus des Schlafes genieße. Also warum sollte sie sich um acht Uhr dreißig wecken lassen?«

»Warum ihr Mann? - Warum andere Leute? Das ist ja beinahe Lunchzeit. Gott helfe dem Staatsdienst.«

»Ganz richtig. Darüber zerbreche ich mir auch den Kopf. Das Außenamt fängt zugegebenerweise spät an - um zehn, glaube ich. Aber auch in diesem Fall wäre es für Fennan höchste Zeit zum Anziehen, Rasieren, Frühstücken und den Zug erwischen gewesen, wenn er nicht vor acht Uhr dreißig aufgestanden wäre. Übrigens hätte seine Frau ihn wecken können.«

»Vielleicht wollte sie sich nur interessant machen, als sie sagte, daß sie nicht schlafen kann«, meinte Mendel. »Das machen Frauen gerne, mit Schlaflosigkeit, Migräne und solchem Zeug. Dann glauben die Leute, sie sind sensibel und temperamentvoll. Humbug, das meiste.«

Smiley schüttelte den Kopf: »Nein, sie kann den Anruf nicht bestellt haben, bestimmt nicht. Sie war doch vor dreiviertel elf nicht daheim. Aber auch wenn man annimmt, daß sie sich bei der Zeitangabe für ihre Rückkehr geirrt hat, konnte sie nicht zum Telefon gehen, ohne die Leiche ihres Mannes zu finden. Und das können Sie mir nicht einreden, daß dann ihre erste Reaktion war, hinaufzugehen und einen Weckruf zu bestellen.«

Eine Zeitlang tranken sie schweigend ihren Kaffee.

»Noch etwas«, sagte Mendel.

»Ja?«

»Seine Frau ist um dreiviertel elf aus dem Theater zurückgekommen, nicht wahr?«

»Ja, das sagt sie.«

»War sie allein dort?«

»Keine Ahnung.«

»Wetten, nein. Ich möchte wetten, daß sie da die Wahrheit sagen mußte und den Brief mit der Zeitangabe versehen hat, um ein Alibi zu bekommen.«

Smiley kehrte im Geiste zu Elsa Fennan zurück, ihrem Zorn und ihrer Ergebung. Es kam ihm unsinnig vor, so von ihr zu reden. Nein. Elsa Fennan nicht. Nein.

»Wo ist die Leiche gefunden worden ?« fragte Smiley. »Unten am Fuß der Stiege.«

»Am Fuß der Stiege?«

»Ja, der Länge nach auf dem Boden der Halle. Der Revolver lag unter ihm.«

»Und der Brief. Wo war der?«

»Neben ihm auf dem Boden.«

»Sonst noch was?«

»Ja. Eine Kanne Kakao im Wohnzimmer.«

»Aha. Fennan beschließt also, Selbstmord zu begehen. Er bittet die Zentrale, ihn um halb neun zu wecken. Dann kocht er sich Kakao und stellt ihn in das Wohnzimmer. Er geht hinauf und schreibt seinen letzten Brief auf der Maschine. Dann kommt er herunter und erschießt sich. Den Kakao trinkt er nicht mehr. Paßt alles glänzend zusammen!«

»Ja, nicht wahr. Übrigens, sollten Sie nicht endlich Ihr Amt anrufen?«

Smiley sah Mendel unbestimmt an. »Das ist das Ende einer wunderbaren Freundschaft«, sagte er. Während er zu dem Automaten neben einer Tür, auf der »Privat« stand, ging, hörte er, wie Mendel sagte: »Ich möchte wetten, daß Sie das allen unseren Jungen sagen.« Er lächelte sogar, als er Mastons Nummer verlangte.

Maston wollte ihn sofort sehen.

Er ging zu ihrem Tisch zurück. Mendel rührte in einer zweiten Tasse Kaffee herum, als ob das seine ganze Konzentration erfordere. Er aß ein riesiges Brötchen.

Smiley blieb neben ihm stehen. »Ich muß zurück nach London.«

»Da werden Sie wie die Katze in den Taubenschlag kommen.« Das Wieselgesicht drehte sich ihm abrupt zu. »Oder nicht?« Er sprach mit dem vorderen Teil seines Mundes, während der rückwärtige Teil sich noch mit dem Brötchen beschäftigte.

»Wenn Fennan ermordet worden ist, dann kann keine Macht der Welt die Presse daran hindern, sich der Sache zu bemächtigen«, fügte er halb zu sich hinzu. »Ich glaube kaum, daß Maston darüber sehr erbaut wäre. Da würde er Selbstmord schon vorziehen.«

Smiley runzelte finster die Stirn. Er konnte schon hören, wie Maston seinen Verdacht lächerlich machen und ungeduldig verspotten würde. »Ich weiß nicht«, sagte er, »ich weiß wirklich nicht.«

Zurück nach London, dachte er, zurück zu Mastons >Idealem Heim<, zurück zu der Rattenjagd. Und zurück zu der Irrealität, eine menschliche Tragödie in einem drei Seiten langen Bericht unterzubringen.

Es goß wieder in Strömen, aber jetzt war der Regen warm. Auf dem kurzen Weg zwischen dem Café »Fountain« und der Polizeistation wurde er sehr naß. Er zog den Mantel aus und warf ihn hinten in den Wagen. Es war ihm eine Erleichterung, aus Walliston wegzukommen - obwohl es nach London ging. Als er in die Hauptstraße einbog, sah er aus einem Augenwinkel heraus die Gestalt Mendels, der in stoischer Ruhe auf dem Gehsteig der Station zutrabte. Sein grauer Eden-Hut war vom Regen ganz schwarz geworden und hatte völlig die Form verloren. Smiley hatte nicht daran gedacht, daß er vielleicht nach London hätte mitfahren wollen, und kam sich undankbar vor. Mendel, von der heiklen Situation unberührt, machte die Tür auf und stieg ein.

»So ein Glück«, bemerkte er. »Züge hasse ich. Fahren Sie nach Cambridge Circus? Kippen Sie mich bitte irgendwo in Westminster raus.«

Sie fuhren los, und Mendel zog eine schäbige grüne Tabaksdose aus der Tasche und rollte sich eine Zigarette. Er bewegte sie gegen seinen Mund hin, besann sich dann aber, bot sie Smiley an und entzündete sie ihm mit einem außergewöhnlichen Feuerzeug, das eine fünf Zentimeter lange blaue Flamme von sich gab. »Sie sehen direkt krank vor Sorgen aus«, sagte Mendel.

»Bin ich auch.«

Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Mendeclass="underline" »Sie sind von einem unbekannten Teufel besessen.«

Als sie etwa vier oder fünf Meilen weitergefahren waren, lenkte Smiley den Wagen zum Straßenrand und drehte sich dann Mendel zu.

»Hätten Sie sehr viel dagegen, wenn wir nach Walliston zurückfahren würden?«

»Gute Idee. Zurückfahren und sie fragen.«

Er wendete den Wagen und fuhr langsam zurück nach Walliston hinein und zur Merridale Lane. Er ließ Mendel im Wagen und ging den vertrauten Kiesweg hinauf.

Sie öffnete und wies ihn ohne ein weiteres Wort ins Wohnzimmer. Sie trug noch immer dasselbe Kleid, und Smiley dachte, was sie wohl gemacht hatte, seit er sie am Morgen verlassen hatte.

War sie im Haus herumgegangen oder bewegungslos im Wohnzimmer gesessen? Oder oben in dem Schlafzimmer mit den Lederstühlen? Wie kam sie sich vor in ihrer neuen Witwenschaft? Hatte sie sich schon gefaßt, oder war sie noch immer in dem tief erregten Zustand, der für gewöhnlich auf einen so schmerzlichen Verlust folgt? Sah sie noch in den Spiegel, und versuchte sie, die Veränderung, die Spur des Schreckens, in ihrem Gesicht zu finden, und weinte sie, wenn sie keine fand?

Sie blieben stehen - beide vermieden instinktiv eine Wiederholung des Zusammentreffens von heute morgen.

»Ich muß Sie noch eines fragen, Mrs. Fennan. Es tut mir leid, daß ich Sie ein zweites Mal belästigen muß.«

»Wegen des Anrufes, nehme ich an. Der Weckruf von der Zentrale.«

»Ja.«

»Ich habe mir gedacht, daß Ihnen das rätselhaft vorkommen wird. Eine Schlaflose läßt sich wecken!« Sie machte den Versuch, heiter zu sprechen.

»Ja, es ist mir merkwürdig vorgekommen. Gehen Sie oft ins Theater?«

»Ja. Alle vierzehn Tage. Ich bin Mitglied des Repertoire-Klubs in Weybridge, verstehen Sie. Ich bemühe mich, zu allen Vorstellungen zu gehen, die sie geben. Ich habe am ersten Dienstag nach jeder Premiere einen Sitz reserviert. Mein Mann hat am Dienstag immer bis spät gearbeitet. Er ist nie mitgegangen, er hat sich nur klassische Stücke angesehen.«

»Aber Brecht hat er gern gehabt, nicht wahr? Er schien von den Aufführungen des Berliner Ensembles in London ganz begeistert gewesen zu sein.«