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Sie sah ihn einen Augenblick an und lächelte dann plötzlich - das erstemal, seit er sie kannte. Es war ein bezauberndes Lächeln. Ihr ganzes Gesicht erhellte sich wie das eines Kindes.

Smiley sah sie einen Augenblick im Geiste als Kind. Eine schlaksige, flinke, ausgelassene Range wie George Sands »Petite Fadette« - halb Weib, halb geschwätziges Mädchen, das lügen kann wie gedruckt. Er sah sie als schmeichelnden Backfisch, wie sie sich wie eine Katze verteidigte, und er sah sie auch verhungert und eingefallen im Konzentrationslager, hemmungslos im Kampf um ihr Leben. Es war erschütternd, in diesem Lächeln das Licht ihrer einstigen Unschuld und zugleich eine bewährte Waffe im Kampf um die Selbsterhaltung zu erleben.

»Ich fürchte, die Erklärung für diesen Anruf ist sehr einfältig«, sagte sie. »Ich leide an einem schrecklich schlechten Gedächtnis - wirklich fürchterlich. Ich gehe einkaufen und vergesse, was ich wollte, treffe am Telefon eine Verabredung, und in dem Augenblick, in dem ich den Hörer auflege, kann ich mich an nichts mehr erinnern. Ich bitte Leute zum Wochenende zu uns, und wenn sie kommen, sind wir nicht zu Hause. Manchmal, wenn es etwas gibt, an das ich mich unbedingt erinnern muß, dann klingle ich die Zentrale an und bitte um einen Anruf fünf Minuten vor der ausgemachten Zeit. Das ist so wie ein Knoten im Taschentuch, aber ein Knoten kann nicht für einen auf die Klingel drücken, nicht wahr?«

Smiley sah sie scharf an. Die Kehle war ihm ziemlich trocken, und er mußte schlucken, bevor er sprach.

»Und welchem Zweck diente der Anruf diesmal, Mrs. Fennan?«

Wieder das bezaubernde Lächeln: »Das ist es ja. Ich habe es völlig vergessen.«

Maston und Kerzenlicht

 

Während Smiley langsam nach London zurückfuhr, vergaß er vollkommen, daß Mendel neben ihm saß.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte ihm das Fahren an und für sich schon eine Erleichterung bedeutet, damals hatte er in der Unwirklichkeit einer langen, einsamen Reise ein Beruhigungsmittel für sein gemartertes Hirn gefunden, da hatte es ihm die Ermüdung durch das Fahren nach einigen Stunden erlaubt, seine düsteren Sorgen zu vergessen.

Es war wohl eines der tückischen Kennzeichen seines mittleren Lebensalters, daß er auf diese Weise seine Gedanken nicht mehr in den Hintergrund schieben konnte. Jetzt waren dazu schärfere Mittel notwendig. Er versuchte sogar gelegentlich, sich Spaziergänge durch europäische Städte auszudenken - um sich an die Läden und Gebäude zu erinnern, an denen er vorbeikommen würde, zum Beispiel in Bern auf einem Gang vom Münster zur Universität. Aber trotz dieses energischen geistigen Exerzitiums pflegten sich ihm die Geister der Gegenwart immer wieder aufzudrängen und seine Träume zu vertreiben. Es war Ann, die ihn seines Friedens beraubt hatte, Ann, die einst die Gegenwart so wichtig gemacht und ihn ein Leben der Wirklichkeit gelehrt hatte. Und als sie ging, war nichts mehr.

Er konnte nicht glauben, daß Elsa Fennan ihren Mann getötet haben sollte. Ihr Instinkt war, zu verteidigen, die Schätze ihres Lebens festzuhalten, um sich die Symbole einer normalen Existenz aufzupflanzen. In ihr war keine Aggression, nur der Wille zu bewahren.

Aber was wußte man schon? Wie sagt doch Hesse? »Seltsam, im Nebel zu wandern, Leben heißt einsam sein. Kein Baum kennt den andern, jeder ist allein.« Wir wissen nichts voneinander, nichts, sinnierte Smiley. Wie nahe wir auch beisammen leben, und wenn wir auch bei Tag und Nacht die tiefsten Gedanken des anderen ergründeten, wir wissen nichts. Wie kann ich ein Urteil über Elsa Fennan abgeben? Ich glaube, daß ich ihr Leid und ihre furchtsamen Lügen verstehe, aber was weiß ich von ihr? Nichts.

Mendel deutete auf einen Wegweiser.

». . . Da wohne ich. Mitcham. Wirklich kein schlechter Platz. Mir sind die Junggesellenwohnungen schon zum Hals herausgehangen. Dort unten habe ich mir ein kleines Haus gekauft. Für den Ruhestand . . .«

»Ruhestand? Das hat wohl noch lange Zeit.«

»Ja, drei Tage. Deshalb habe ich diese Arbeit bekommen. Nichts dran. Keine Komplikationen. Geben wir es dem alten Mendel, er wird schon Mist machen.«

»Na gut, dann werden wir also beide ab Montag arbeitslos sein.«

Er brachte Mendel zu Scotland Yard und fuhr dann weiter zum Cambridge Circus. Beim Eintreten in das Haus wurde ihm klar, daß alle informiert waren. Den Eindruck machten sie. Ein kleiner Unterst schied in ihrem Blick, ihrem Benehmen. Er ging direkt in Mastons Zimmer. Seine Sekretärin saß an ihrem Schreibtisch und blickte rasch auf, als er eintrat.

»Ist der Chef da?«

»Ja, er erwartet Sie. Er ist allein. Klopfen Sie und gehen Sie hinein.« Aber Maston hatte schon die Tür geöffnet und rief ihn. Er trug ein schwarzes Sakko und grau gestreifte Modehosen. Das Kabarett geht weiter, dachte Smiley.

»Ich habe versucht, mit Ihnen in Verbindung zu kommen. Hat Sie meine Nachricht nicht erreicht?« sagte Maston.

»Das schon, aber ich hätte unmöglich mit Ihnen telefonieren können.«

»Ich bin anscheinend nicht ganz im Bilde.«

»Also, ich glaube nämlich nicht, daß Fennan Selbstmord verübt hat. Das hätte ich am Apparat nicht sagen können.«

Maston nahm die Brille ab und sah Smiley entgeistert an.

»Ermordet? Warum?«

»Fennan schrieb seinen Brief gestern abend um halb elf, wenn wir die Zeit akzeptieren, die drauf stand.«

»Und?«

»Fünf Minuten vor acht hat er die Zentrale angerufen und gebeten, man solle ihn am nächsten Morgen um halb neun wecken.«

»Woher wissen Sie das, um Himmels willen?«

»Ich war heute morgen dort, als der Anruf kam. Ich hatte ihn entgegengenommen, weil ich glaubte, er käme vom Department.«

»Aber wie, in aller Welt, können Sie denn behaupten, daß es Fennan war, der den Anruf bestellt hat?«

»Ich habe Nachforschungen angestellt. Das Mädchen in der Zentrale kannte Fennans Stimme gut. Sie ist ganz sicher, daß er es war und daß er fünf Minuten vor acht gestern abend angerufen hat.«

»Fennan und das Mädchen haben einander gekannt, nicht wahr?«

»Nein, nein, das nicht. Sie haben nur gelegentlich ein paar nette Worte gewechselt.«

»Und auf welche Weise schließen Sie aus all dem, daß er ermordet worden ist?«

»Ich habe seine Frau wegen des Anrufes befragt . . .«

»Und?«

»Sie hat gelogen. Sie sagte, daß sie selbst den Auftrag gegeben hätte. Sie behauptete, gräßlich vergeßlich zu sein - manchmal läßt sie sich angeblich von der Zentrale anrufen, wie man einen Knoten ins Taschentuch macht, wenn sie eine wichtige Verabredung hat. Und noch etwas. Kurz, bevor er sich erschoß, hat er sich Kakao gemacht. Aber nicht getrunken. «

Maston hörte schweigend zu. Schließlich lächelte er und stand auf.

»Wir scheinen uns nicht ganz verstanden zu haben«, sagte er. »Ich schicke Sie hinaus, um festzustellen, warum Fennan sich umgebracht hat, und Sie kommen daher und sagen, daß er das nicht getan hat. Wir sind keine Polizisten, Smiley.«

»Nein. Manchmal möchte ich ganz gerne wissen, was wir sind.«

»Haben Sie irgend etwas erfahren, das unsere Position hier tangiert - oder etwas, das seine Tat irgendwie erklärt? Das den Abschiedsbrief untermauert?«

Smiley zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete. Er hatte es kommen sehen.

»Ja. Ich erfuhr von Mrs. Fennan, daß er sehr aufgeregt war, nach der Einvernahme.« Ebensogut konnte er ihm gleich die ganze Geschichte erzählen. »Es ließ ihn nicht los, er konnte nicht schlafen. Sie mußte ihm ein Beruhigungsmittel geben. Ihr Bericht über Fennans Reaktion auf die Einvernahme erhärtet den Abschiedsbrief in jeder Weise.« Einen Augenblick schwieg er und sah ziemlich abwesend vor sich hin. »Was ich sagen wollte, ist, daß ich ihr nicht glaube. Ich glaube nicht, daß Fennan den Brief geschrieben hat, noch, daß er die geringste Absicht hatte, zu sterben.« Er drehte sich Maston zu. »Wir können über die Widersprüche unmöglich hinwegkommen. Und noch etwas«, bohrte er weiter, »ich habe zwar kein Gutachten von einem Sachverständigen, aber es besteht eine Ähnlichkeit zwischen Fennans Abschiedsbrief und dem anonymen Schreiben. Es sieht aus, als wäre es dieselbe Maschine. Es klingt lächerlich, das weiß ich schon, aber es ist so. Wir müssen die Polizei einschalten, ihr die Tatsachen zur Verfügung stellen.«