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Der es fertiggebracht hatte, einen Sohn und so viele Fragen zu hinterlassen.

»Ich muß es wissen«, verkündete Sturm theatralisch. »Ich muß meinen Vater finden. Ja, ja, vielleicht ist er tot. Aber da oben erinnert man sich an ihn – hier ist er nur… eine Legende.«

Raistlin seufzte. Mit seltsam schiefem Lächeln drehte er sich wieder zum Feuer um.

»Alles, was mein Vater getan hat«, erklärte Sturm, »im Turnier, in den Kriegen mit Neraka, wie er sein Schloß gehalten und die Familie versorgt hat – «

»Verkorkst dir deine Jugend«, unterbrach Raistlin. Er hustete – eindeutig eine Wintergrippe – und schwenkte vorsichtig den lauwarmen Tee in seiner Tasse. »Diese Suche nach Vätern«, stellte er ironisch fest, »ist eine üble Sache. Man muß dem Mann ein Gesicht geben, der einen umbringt.«

Caramon nickte langsam, obwohl er es gar nicht richtig begriff. Sein Blick folgte dem seines Bruders. Die Zwillinge saßen schweigend da und starrten in die rote Glut.

Ja, es ist wie verhext, dachte Sturm wütend, als er sie ansah, wie sie in ihrer merkwürdig ausbalancierten Gemeinschaft zufrieden waren. Aber ihr werdet das nie verstehen. Keiner von euch. Denn was auch immer geschieht, ihr habt einander, um…

Zu zeigen, wer ihr seid.

Und mich bringt keiner um.

Gefangen in seinen Gedanken stand Sturm vom Tisch auf. Die Zwillinge bemerkten kaum, wie er hinaustrat, um sich von der abanasinischen Nacht umarmen zu lassen. Caramon winkte kurz über die Schulter, und bei seinem letzten Blick auf seine Freunde sah Sturm, wie sie Seite an Seite saßen, eingerahmt vom Feuer, bedrängt von Schatten, jeder verloren in den Träumen des anderen.

4

Abschied

Jetzt, nachdem er die Reise nach Norden und einen Sommer in Solamnia hinter sich hatte, waren Sturm von jenem Augenblick nur die Erwartungen und die Dunkelheit im Gedächtnis geblieben.

Während die ersten Februar-Winterstürme durch das Land fegten und den Schnee durch die dunklen Hänge der Vingaard-Berge peitschten, verbrachte Sturm seine Zeit mit Lernen. Gunthar brachte ihm Reiten und Schwertfechten bei, Fürst Adamant zeigte ihm, wie man im Wald überlebte, und die ganze Zeit über benahm sich Sturm wie ein echter Solamnier, wachte und betete und erwartete das Schlimmste. Abends nach dem Unterricht lief er auf den Zinnen am Rittersporn auf und ab und blinzelte nach Süden, wo die Ausläufer, die sogenannten Flügel des Habbakuk sich zu den Verkhus-Hügeln senkten und dann weiter hinunter in die Solamnische Ebene. Wenn es klar und windstill war, stellte sich der Junge einen grünen Streifen ganz hinten am Südhorizont vor. Der Südliche Finsterwald, dachte er, und es zog in seiner Schulter. Und Vertumnus. Der Winter ist fast vorüber, und ich bin noch lange nicht soweit.

Was er statt Raistlins kryptischen Kommentaren hatte, waren ganz naheliegende Fragen, die ihn jede Nacht lange wachhielten.

»Warum ist der grüne Mann in den Turm gekommen? Und warum war dieses Julfest anders als alle anderen? Warum wurde ich gewählt, und was will er von mir? Was erwartet mich im Südlichen Finsterwald?

Und neben Schwert und Pferd und Unterricht – wie kann ich mich auf einen schemenhaften Zauberer vorbereiten?«

Fürst Stephan sah ihn von seinem Arbeitszimmer aus mit wachsender Besorgnis auf der Mauer hin- und hergehen. Von seinem Fenster aus sah er die einsame, flackernde Laterne morgens in der Dunkelheit. Er hatte beobachtet, wie Sturm sich auf die Abreise vorbereitete, doch obwohl der Junge schnell lernte, war er doch noch grün hinter den Ohren und würde nicht weit kommen.

Da war zum Beispiel die Sache mit den Bauern. Die einfachen Leute in Solamnia hatten den Rittern ihre angebliche Mitschuld an der Umwälzung nie vergeben – dem katastrophalen Aufbäumen der Welt durch Feuer und Erdbeben vor über fünfhundert Jahren. Der Groll der Bauern dauerte an, und obwohl sich Feindseligkeit und Aufsässigkeit lange verbergen konnten, mitunter für zehn, zwölf Jahre, kamen sie immer wieder unvermittelt an die Oberfläche – wie bei dem Aufstand vor fünf Jahren.

Und wie anscheinend jetzt wieder in den kalten Wochen nach dem Julbankett.

Die Flügel des Habbakuk, dieses breite, verschlammte Vorgebirge südlich des Turms des Oberklerikers, durch die der einfachste Weg in die Berge führte, waren neuerdings ein wahrer Treibsand von Fallgruben, Schlingen und großen Fallen. Erfahrene Ritter erkannten die Spuren mühelos – ein dicker Haufen Vallenholzblätter auf einem vielbegangenen Weg, ein ungewöhnliches Spiel von Licht und Schatten in den Büschen, von denen die sachten Hänge übersät waren. Sie kannten die Tricks der Bauern wie schon der grünste Knappe, der in Sichtweite des Turms aufgewachsen war.

Aber Stephan fürchtete um den jungen Feuerklinge, der auf Streifzügen durch die Flügel mit seinen Kameraden schon dreimal knapp einem Anschlag entgangen war. Beim letzten Mal hatte die schlaue alte Stute Luin mehr Weisheit bewiesen als ihr geübter, aber unvorsichtiger Reiter, indem sie über eine Fallgrube gesprungen war, die sie beide umgebracht hätte. Sturm war bei dem plötzlichen Satz vom Pferd gefallen. Seine Schulter hatte tagelang geschmerzt, doch das beschäftigte Fürst Stephan weniger als die merkwürdigen Begleitumstände.

Es war beinahe, als wären die Fallen extra für Sturm aufgestellt gewesen.

Fürst Stephan stützte sich auf den Steinsims seines Fensters und dachte über die Ereignisse beim Julbankett nach – das Eintreffen von Vertumnus, den Kampf und die wundersame Forderung zum Duell. In der Erinnerung des alten Mannes verblaßte das alles bereits. Stephan dachte an die Vögel im Herbst, von denen dann jeden Morgen zwei, drei oder vier weniger auf den Zinnen saßen. Mit der Erinnerung war es genauso, und wenn man den ersten Rauhreif sah, waren nur noch die zähesten Vögel übrig.

Mit dem Frühling war es noch etwas ganz anderes. Den ganzen Winter waren die Monde am Himmel hin und her gewandert, waren erst im Westen aufgetaucht, dann im Nordwesten, dann ganz niedrig im Osten, wie sie zu Mittsommer stehen sollten. Der rote Lunitari und der weiße Solinari änderten ihre Stellung und ihre Phasen, und die Astronomen behaupteten, daß der schwarze Nuitari das gleiche täte. Zuerst war es ein Alarmsignal, denn dieselben Astronomen, die Wissenschaftler und die Gelehrten erklärten, daß die Veränderung im Mondenlauf eine größere Katastrophe ankündigen könne. Vielleicht würde es wieder eine Umwälzung geben, bei der sich die Erde aufbäumte, bei der sich Kontinente verschoben und furchtbare Zerstörungen stattfanden. Vielleicht war es etwas noch Schlimmeres.

Bald jedoch waren diese Ängste besänftigt. Die Monde waren nächtelang über den Himmel gezogen, ohne daß sich Erdspalten darunter auftaten. Zutiefst erleichtert waren die Leute im Turm wieder ihren alltäglichen Pflichten nachgegangen, und die Fußsoldaten begannen sogar zu wetten, wo die Monde wohl am nächsten Abend auftauchen würden. Schließlich schenkten nicht einmal die echten Nachtschwärmer im Turm des Oberklerikers – die Astronomen, die Wachen und der immer wachsame Sturm – dem unsicheren Schauspiel am Himmel Beachtung.

Dann fielen die subtileren Folgen auf. Vögel, die normalerweise im Mondlicht wanderten und sich an der Mondstellung orientierten, verirrten sich. Rotkehlchen und Lerchen trafen zu früh ein, um dann zwischen den Mauervorsprüngen zu zittern, als Wind und Schnee zurückkehrten.

Eines Morgens hatten drei Möwen Fürst Stephan an seinem Zimmerfenster überrascht. Von den wandernden Monden verführt waren sie fernab von jedem Meer gelandet. Ihre Federn waren zerzaust und die Flügelspitzen vereist.

Als Resultat der unsteten Anziehungskraft von Solinari war der Vingaard erst angeschwollen, dann abgeebbt und dann wieder so sehr angeschwollen, daß er schon die alten Flutdeiche zu übertreten drohte, die Sturms Vorfahren, die Blitzklinges und di Caelas, vor über hundert Jahren errichtet hatten. Pflanzen, die im Mondlicht wuchsen, wie die Mondblume und Immergrün, überwucherten die Turmgärten und die Ziersträucher, und draußen auf den Feldern brachen zur Überraschung der meisten Gärtner und zum Ärger der meisten Kinder Spargel und Rhabarber und die scharf schmeckenden Wintergemüse frühzeitig durch den Boden.