Выбрать главу

Die stärkste Veränderung gab es jedoch in sowieso schon fragwürdigeren Bereichen. Denn die Magie richtete sich natürlich nach den Mondphasen, und die eigenartigen, verrückten Vorgänge am Himmel brachten die magischen Verhältnisse dieser Gegend so sehr durcheinander, daß nur noch die allermächtigsten Wahrsagungen funktionierten. Wind und Wetter waren so wechselhaft wie die Monde, und flackernde Lichter übersäten die Flügel des Habbakuk. Bei Fürst Stephan sprachen zahlreiche Zauberer vor, denen Würste, Laternen oder Schuhe am Gesicht oder an versteckteren Teilen ihres Körpers klebten, denn bei den ständigen Fehden zwischen Zauberern konnte man ebensoleicht den kürzeren ziehen wie gewinnen.

Fürst Stephan hatte angesichts der Beschwerden der Zauberer die Stirn gerunzelt und sich große Mühe gegeben, mitleidig und zornig zu wirken, obwohl er am liebsten laut losgelacht hätte. Angesichts eines rotgewandeten Zauberers, aus dessen Ohren ständig lautstark Weintrauben wuchsen, hatte er schließlich gemeint, daß er im Herbst zumindest Wein machen könnte.

Doch die Veränderungen bei dem jungen Sturm waren weniger komisch. Mit seiner Verbissenheit und seinem Hin- und Herlaufen auf den Zinnen strapazierte er selbst die Geduld der anständigsten, eifrigsten Ritter. Seine langen Nachmittage in der Kammer des Paladin ließen alle möglichen Spekulationen aufkommen.

»Der betet zweifellos um die Wiederkehr der Umwälzung«, hatte Fürst Alfred diesen Morgen auf der Treppe Fürst Stephan zugeflüstert. »Es wäre ganz nach seinem Geschmack, wenn sich die Erde auftun und ihn verschlingen würde. Er würde es noch begrüßen.«

»Aber Alfred«, hatte der ältere Ritter gemahnt, dessen beruhigender Tonfall jedoch wenig überzeugend klang. »Wenn du dich nicht um seines verschollenen Vaters willen um Nachsicht bemühen kannst, dann denk wenigstens an seine Last. Wir sollten die Verbitterung ihm gegenüber ablegen und dem Jungen bei seinen letzten Vorbereitungen helfen.«

Im Vingaard-Gebirge nahte der Frühling, und trotz der Wanderungen der Monde und der Verwirrung der Vögel, Pflanzen und Magier vergingen die Tage. Auch wenn man es nunmehr auf dem Kalender ablesen konnte, der Frühling und damit der Zeitpunkt für den Aufbruch des Jungen kamen unaufhaltsam näher. Sturm war allein in seinem Zimmer. Der Abend brach gerade an. Er hatte den Vormittag und Nachmittag im mittleren Burghof verbracht, wo Fürst Gunthar ihn rauh in die Feinheiten des Schwertkampfs eingeführt hatte. Immer noch keuchend vor Anstrengung entfernte Sturm die schweren Schienen von seinen Armen und zuckte zusammen, als Metall und Polsterung über die Blutergüsse streiften, die er sich bei dem Fall in den Flügeln zugezogen hatte. Es waren aber auch Spuren von jüngeren Kämpfen dabei, die vom Duelltraining und der Begeisterung seines Lehrers, Fürst Gunthar, herrührten. Es waren stumpfe Waffen gewesen, aber Gunthar war stark, und seine Schläge trafen genau, egal wie Sturm sich vorsah.

Sturm stöhnte und warf die Armschienen auf den Boden. Nachdem er sich auf seinem Bett ausgestreckt hatte, starrte er an die Decke. Sein Gesicht war rot vor Anstrengung und Scham. Anstrengung, weil Fürst Gunthar ihn hart drangenommen hatte. Scham, weil der Ältere das mit Leichtigkeit geschafft hatte, fast mühelos, während er ihm noch mit ruhiger Stimme Anweisungen erteilte.

»Hoch den Schild, Sturm!« hatte Gunthar geschimpft. »Du schlurfst und keuchst wie Fürst Raphael!«

Sturm war zusammengezuckt. Fürst Raphael war hundertunddrei und plapperte immer senil von der Umwälzung, an die er sich nun wirklich nicht erinnern konnte.

Langsam hatten Lehrer und Schüler sich umkreist. Gunthars graue Augen ließen den Jungen nie aus den Augen, sondern hingen an dem gepolsterten Schwert, das in seiner Rechten zuckte.

»Deine Deckung ist zu niedrig, Junge«, drängte Gunthar. »Vertumnus durchbohrt dich mit seinem Schwert, bevor du deins oben hast!«

Da war Sturm gestolpert, und Gunthar hatte ihn zurückgeschubst und auf den harten Boden des Burghofs gestoßen. Grimmig hatte der Ritter über ihm gestanden und in kurzen, knappen Worten erklärt, daß der Herr der Wildnis nicht höflich warten würde, bis er wieder auf den Beinen stände.

Denn der grüne Mann gehört nicht zum Orden. Man kann nicht erwarten, daß er ehrenvoll nach dem Maßstab kämpft. Draußen gibt es keinen Maßstab. Bei diesem Treffen bist du der Maßstab!

Sturm schloß die Augen und wurde vom plötzlichen Klopfen an der Tür überrascht. Ich muß eingeschlafen sein, dachte er verstimmt, und kämpfte mit den Schnüren seiner Beinschienen, während die Tür aufging und Fürst Bonifaz Kronenhüter von Nebelhafen in den Raum trat. In der Hand hielt er sein Breitschwert, auf dem Rücken trug er einen großen Leinensack, der klirrte und schepperte, als er die Tür hinter sich zumachte.

Einen kurzen, alptraumhaften Moment dachte der Junge, der Unterricht würde vom Fürsten fortgesetzt. Aber Bonifaz war gelassen, legte seine Last ab und setzte sich mit dem Schwert über den Knien auf Sturms Bettkante.

Seine Stiefel waren verschlammt, und an ihren Sohlen klebten Vallenholzblätter.

»Ich habe dich mit Gunthar gesehen. Du wirst zu schnell müde«, sagte Fürst Bonifaz schroff.

»Und Gunthar wird zu langsam müde«, antwortete Sturm mit erschöpftem Lächeln, um sein Erstaunen und seine Angst zu verdrängen. Der Ältere grinste.

»Immerhin bist du Angriff Feuerklinges Sohn«, fuhr Fürst Bonifaz fort, woraufhin Sturm ihn hoffnungsvoll ansah. »Irgendwo tief in dir steckt er. Ja. Es kommt nur darauf an, daß der Feuerklinge zum Vorschein kommt. Weißt du, Angriff wäre dort im Burghof bei Gunthar geblieben, bis er gewonnen hätte – so einfach ist das. Bis zum Tod oder zur Wiederkehr der Umwälzung – Angriff war mir mit dem Schwert immer gewachsen, und obwohl ich der bessere Kämpfer war…«

Bonifaz legte eine Pause ein und räusperte sich.

»Obwohl ich der bessere Kämpfer war«, sagte er, »siegte dein Vater mit seinem Feuer, seiner Tollkühnheit und seinem Kampfgeist. Darum nannten ihn bald alle nur noch ›Feuerklinge‹.«

Bonifaz machte wieder eine Pause und sah den Jungen neben sich neugierig an. »Dann war da noch«, meinte er nachdenklich, »eine Vertrautheit mit dem Schwert selbst, als ob etwas in ihm die Gedanken und Bewegungen von Metall erspüren könnte. Er hätte einen guten Waffenschmied abgegeben, wenn der Orden ihn nicht gerufen hätte. Aber das war etwas Unterschwelliges, fast Unbewußtes, als ob es ihm im Blut liegen würde.«

»Davon hab’ ich aber nichts geerbt«, erklärte Sturm matt. »Weder Vertrautheit noch Feuer noch Tollkühnheit noch Kampfgeist.«

»Und doch reitest du los, um dich dem Herrn der Wildnis zu stellen«, erwiderte Bonifaz leise, »nach reichlich Vorbereitung. Welchen Weg willst du nehmen?«

»Angeblich ist der direkte Weg immer der beste«, antwortete Sturm. »Ich reite nach Burg Vingaard, dann flußabwärts bis zur großen Furt im Süden. Dort überquere ich den Vingaard, folge dann seinem südlichen Lauf und reite direkt am Ufer entlang bis in den Finsterwald. Nichts ist einfacher, keine Straße besser.«

Fürst Bonifaz legte ihm fest die Hand auf die Schulter.

»Ein tapferer Plan, Sturm Feuerklinge, der deinem Namen Ehre macht«, erklärte er. »Ich hätte selbst keinen besseren Weg wählen können.«

»Danke, Fürst Bonifaz«, erwiderte Sturm mit verwirrtem Stirnrunzeln. »Euer Vertrauen macht mir wirklich Mut.«

Der ältere Ritter lächelte und rückte näher an Sturm heran. »Hat Angriff dir je die Geschichte erzählt«, fragte er, »wie er sich mit seinem eigenen Vater überworfen hat?«

Sturm schüttelte langsam lächelnd den Kopf. Seit seiner Ankunft im Turm des Oberklerikers schien jeder Ritter, dem er begegnete, eine Geschichte über Fürst Angriff Feuerklinge zu wissen. Glücklich und wißbegierig lehnte der Junge sich vor, um wieder einmal eine Geschichte zu hören.