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Ein Lächeln zog über das Gesicht von Fürst Bonifaz, als er zu erzählen begann.»Dein Großvater, Fürst Emelin Blitzklinge, war ein guter Ritter und ein guter Mann, aber er war weder als geduldig, noch als sanft verschrien. Als Sohn von Bayard Blitzklinge und Lady Enid di Caela, war Fürst Emelin so hart wie ein Blitzklinge und so, hm, hochnäsig? oder stur? wie ein di Caela.«

Sturm schaute finster drein. Er konnte sich nicht an seinen Großvater Emelin erinnern, aber so kritische Worte gefielen ihm nicht. Aber Bonifaz war es offenbar gewohnt, seine Meinung über die Blitzklinges frei herauszusagen.

Der ältere Ritter fuhr fort, die Augen auf das Schwert in seinem Schoß geheftet. »Nun, das war nie die einfachste Familie. Angriff fürchtete seinen Vater genausosehr, wie er ihn respektierte, und in den schwierigen Jahren des Heranwachsens hielt er sich bei formellen Anlässen vom alten Emelin fern und begegnete ihm lieber auf der Jagd. Denn dort waren sie gewöhnlich ein Herz und eine Seele, wie es bei Vätern und Söhnen sein soll.«

Bonifaz streckte sich rücklings auf dem schmalen Bett aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

»Gewöhnlich«, wiederholte Sturm.

»Ich erinnere mich an diese Jagden«, fuhr Bonifaz fort. »An den Geruch des Holzrauchs an kalten Morgen wie heute, wenn wir dem Keiler nachsetzten. Am besten erinnere ich mich an den Winter mit Fürst Tück.«

»Fürst Tück, Sir?« fragte Sturm. Trotz seiner Vorliebe für solamnische Geschichten und Legenden fiel ihm kein Ritter namens Tück ein.

Bonifaz schnaubte. »Ein Keiler. Tück war ein Keiler mit langen Stoßzähnen, der in jenem Winter dreihundertsiebzehn selbst den Besten entwischte. Dein Vater und ich waren siebzehn und für alles gerüstet – bis auf dieses Schwein. Fürst Tück entkam uns in den Bergen, in den Hügeln und in den schneebedeckten Ebenen, wo man die Spuren tagelang verfolgen konnte.

Das Julfest verstrich, ohne daß wir ihn erlegten. Erst im tiefsten Winter konnten wir ihn zur Strecke bringen, nicht weit von hier, in den Flügeln des Habbakuk. Ich erinnere mich gut an den Tag. Die Jagd. Wie wir ihn erlegten. Aber am besten daran war, was hinterher geschah.«

Sturm legte vorsichtig die Beinschienen ab, ohne den alten Freund seines Vaters aus den Augen zu lassen. Bonifaz schloß die Augen und schwieg so lange, daß Sturm schon fürchtete, der Ritter wäre eingeschlafen. Aber dann erzählte Fürst Bonifaz, und Sturm ging ganz in der Geschichte auf. Sie spielte fünfundzwanzig Jahre früher, weit im Süden des Turms.

»Fürst Agion Pfadwächter führte uns in die Hügel. Dein Cousin. Der stämmigste Pfadwächter, der je diesem jetzt erloschenen Geschlecht entwachsen ist. War nach einem Zentaurenfreund seines exzentrischen Vaters benannt, dieser Agion. Bester Freund deines Großvaters und ein großer Raufbold, und wie oft haben die beiden gerauft, sich gründlich verprügelt und einander die Freundschaft aufgekündigt. Wie sein Namenspatron wirkte Agion, ein breiter Mann, im Sattel wie ein halbes Pferd, wenn er wie der Südwind über die Hänge der Flügel brauste.

Wir hatten die Spur gleich nach der Morgendämmerung aufgenommen, nachdem die breitnackigen Alanhunde, unsere besten Jagdhunde, schon allein beim Geruch von Tück aufgejault hatten. Sie rannten durch die Felsen wie Wasser, das bergauf schäumt, fächerten sich weit auf und kamen wieder zusammen, bis sie durch einen engen Paß in ein struppiges Ewigkeitsbaumwäldchen hetzten, wo der Keiler wartete. Die Jäger konnten die Meute kaum bändigen. Sie kläfften und bellten und jagten immer um dieses kleine Dickicht herum. Tück war da drin, das wußte jeder, aber wir, hm, hielten uns alle zurück damit, als erster hineinzugehen, um ihn zu begrüßen.«

Sturm nickte und schüttelte sich leicht, denn er hatte letzten Herbst selbst seine erste Wildschweinjagd überstanden.

»Schließlich saßen vier von uns ab und betraten das Dickicht zu Fuß: Agion, Emelin, dein Vater und ich. Angriff und ich waren mehr oder weniger als Knappen dabei. Wir sollten die Speere tragen und die Stellung halten und still sein. Aber Angriff war eben anders. Als Agion durch das Unterholz brach und den Keiler aus seinem Versteck jagte, ging dein Vater wie ein Panther auf das Tier los, schnell und bedrohlich, und traf das Biest nicht nur einmal, sondern gleich dreimal mit seinen Speeren. Tück war alt und hatte eine dicke Schwarte, und die Würfe deines Vaters waren die eines jungen Mannes – schnell und gezielt, aber ohne die Kraft, die Knorpel und Knochen zu durchbohren.«

»Er hat den Keiler also nur gereizt«, stellte Sturm fest. Bonifaz nickte.

»Tück griff Agion an, der kehrtmachte, losrannte und sich durch einen dichten Ewigkeitsbaum hindurch in Sicherheit brachte, doch der aufgebrachte Keiler blieb ihm dicht auf den Fersen. Gleichzeitig schlug dein Großvater einen Bogen um das Tier und wartete auf die Gelegenheit, ihm den Todesstoß zu versetzen.

Diese Gelegenheit kam nicht, weil Angriff ungeduldig war.

Er hetzte den alten Tück durch das Unterholz, und im Dickicht verlor ich ihn immer wieder aus den Augen. Schließlich hörte ich es rascheln und husten und stolperte um ein dickes Zweiggeflecht herum… und stand dem alten Keiler selbst gegenüber.«

Bonifaz machte eine Pause. Er stand auf und begann, durch den Raum zu schreiten, während Sturm atemlos lauschte.

»Er war so zottig wie der Bison von Kiri-Jolith, triefte vor Schweiß und Schlamm und war halb in Nebel und Ewigkeitsbaumgrün versteckt. Er sah aus, als stamme er aus einer Legende, aus dem Zeitalter der Träume und den Liedern der Barden. Ich weiß noch, wie ich vor seinem Angriff gedacht habe, wenn die Natur selbst Gestalt annehmen müßte, dann als dieses Untier da vor mir, mit seiner schrecklichen Wildheit und der merkwürdigen, grausigen Gleichgültigkeit.«

Wieder machte der Ritter eine Pause, in der er mit geballten Fäusten durch die Luft fuhr, als wollte er etwas umklammern oder wegstoßen.

»Er… hat Euch angegriffen, Fürst Bonifaz?« fragte Sturm schließlich. »Der große Keiler hat Euch angegriffen?«

Bonifaz nickte. »Ich hatte sofort mein Schwert parat. Aber ich kam nicht mehr dazu, es zu benutzen.«

Ein eigenartiger Schatten verdüsterte das Gesicht des Ritters. Sturm wartete gespannt, denn der Mann erinnerte sich offenbar deutlich an jenen Moment, in dem der furchtbare Keiler angriff.

»Ich kam nicht mehr dazu«, wiederholte Bonifaz. »Angriffs Speer fuhr Tück sauber zwischen die Schulterblätter, und der Keiler taumelte, richtete sich wieder auf und taumelte wieder. Glaub mir, beim zweiten Taumeln war ich längst aus dem Weg, aber ich sah, was jetzt geschah – wie dein Großvater und Agion auf die Lichtung stürmten und Fürst Emelins Schwert silbern in der Wintersonne aufblitzte, als er es hochriß und das Tier erschlug.

Eine Zeitlang standen wir alle neben dem Keiler. Die Alans bellten irgendwo draußen vor den Bäumen, doch das schien so weit entfernt, als würden wir uns bloß an sie erinnern.

Dann sagte Fürst Agion: ›Ein passendes Ende für unseren Gegner Fürst Tück, dessen Kopf den Saal von Fürst Emelin Blitzklinge zieren soll, der ihn erlegt hat.‹

Dein Großvater lächelte und nickte, aber dein Vater stand blaß und totenstill da, und in diesem Moment wußte ich, daß etwas zwischen den beiden zerbrochen war, was vielleicht nie mehr gutzumachen war. ›Aber, Fürst Agion‹, widersprach Angriff, der so unüberlegt und stürmisch zur Sache kam wie bei jeder Jagd, bei jedem Turnier. ›Ich erwarte doch, daß beim Erzählen hervorgehoben wird, daß ich den ersten und ausschlaggebenden Speer geworfen habe.‹

›Unsinn‹, widersprach Fürst Emelin. ›Mein Schwert hat den Keiler getroffen, und er war tot. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.‹

Es gab wirklich nicht mehr dazu zu sagen. Aber ich konnte sehen, wie Angriff es dennoch sagen wollte. Er fing an, zu widersprechen und seine Ehre zu verteidigen. Aber Fürst Emelin wollte nichts mehr davon hören.«

Fürst Bonifaz machte eine Pause und blickte den Jungen an. Sturm starrte mit geballten Fäusten zurück. Wie ungerecht von Fürst Emelin, dachte Sturm wütend. Das verstößt doch völlig gegen Kodex und Maßstab!