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»Als wenn sie einen Verdammten verabschieden«, murmelte Sturm in sich hinein. Er trat in den zentralen Burghof, in die Dunkelheit und die letzten Schneewehen des Winters. Derek Kronenhüter stand einen Steinwurf weit von der Stalltür entfernt. Er war in Decken und Nebelwolken gehüllt. Zwei von den Jeoffreys standen bei ihm. Da sie alle Aristokraten waren und ihre Familien seit Generationen an der Spitze standen, hatten die drei keine morgendlichen Pflichten. Sturm rätselte, was sie aus ihren warmen Betten und ihren hochwohlgeborenen Träumen getrieben hatte.

Als der Junge in den Stall ging und nach seinem Sattel griff, der am gewohnten Platz an der Wand hing, war dieser mit trockenem Efeu festgezurrt und bizarr mit Ewigkeitsbaumgrün geschmückt. Er hörte es draußen lachen und zerrte wütend den Sattel aus der Umklammerung des Grünzeugs. Die Ranken rissen, so daß er mit dem Sattel ins Taumeln geriet, und da erhob sich aus der dunklen Kälte ein Chor junger Stimmen.

»An deine Brust nimm, Huma, ihn«, sangen sie.

»An deine Brust nimm, Huma, ihn Am Himmel, ungeteilt und wild. Gönn eines Kriegers Frieden ihm; Befrei den letzten Blick so mild Von den Wolken der Kriegesflammen Die von Sternenfackeln stammen…«

Sturm trat aus dem Stall. Unwillkürlich mußte er lächeln. Schließlich sangen die Jungen eine solamnische Totenklage.

Sie brachten den Vers zu Ende und standen verächtlich vor ihm. Derek Kronenhüter war nach dem schiefen Gesang rot angelaufen und atemlos, aber er hatte sich breit vor seinem Rivalen aufgebaut, obwohl sein Lederharnisch rissig und schmutzig und sein Gesicht ungefähr in vergleichbarem Zustand war. Hinter ihm schüttelten sich die beiden blassen, hämischen Jeoffreys mit ihren Fledermausgesichtern vor Lachen.

Sturm kam ein verrückter Gedanke. Wenn er Derek Kronenhüter wirklich seinen Wunsch erfüllen und von dieser seltsamen, verwünschten Reise nie zurückkehren würde, warum sollte er dann nicht so ausziehen, wie sein Vater in jener legendären Nacht, als Schloß Feuerklinge gefallen war, seine trauernde Garnison verlassen hatte? Warum sollte er sie eigentlich nicht lachend verlassen?

Mit einem Mal stimmte Sturm wild in den Gesang mit ein.

»Laß seinen letzten Atemzug Ganz sanft in der Luft sich wiegen, Laß über Rabenträumen ihn fliegen, Wo Tod bringt nur des Falken Flug. Dann steig er auf zu Humas Schild Am Himmel, ungeteilt und wild.«

Lauter und lauter sang Sturm, und brachte so erst den einen Jeoffrey, dann den anderen, dann Derek, den Anstifter, zum Verstummen. Verwirrt und eingeschüchtert wichen die Knappen vom Stall zurück, während Sturm ihnen folgte und noch lauter sang.

Gründlich durcheinander drehten sich die Jeoffreys um und rannten davon, bis nur noch Derek rückwärts durch den Hof schritt. Sturm ging auf ihn zu und sang noch lauter, bis in den Turmfenstern die Lichter angingen, weil ungehaltene Ritter von Dereks schiefgegangenem Streich aus dem Schlaf gerissen worden waren.

Schneller und schneller wich der hochnäsige Knappe zurück, dem jetzt das Lachen im Hals steckenblieb, als er in die harten Augen dieses offensichtlich irren Südländers blickte. Derek Kronenhüter war so auf seinen Rückzug versessen, daß er den Gärtnerjungen Jack übersah, der hinter ihm stehengeblieben war, um sich von der unangenehmen Aufgabe zu erholen, eine Schubkarre voll Mist von den Ställen wegzuschieben.

Es war wirklich schade, daß er ihn übersah.

Derek kippte hintenüber in die Schubkarre, doch sein Fall wurde von deren noch recht frischen Inhalt abgebremst. Während er aus der Schubkarre kroch, stolperte und hinfiel, brachte Sturm die Totenklage mit lauter, überschnappender Stimme zu Ende.

Stephan und Gunthar standen oberhalb der Jungen auf den Zinnen, blickten hinunter und beobachteten den Verlauf der ungewöhnlichen Morgenmusik.

»Ein echter Feuerklinge, der da unten«, sagte Fürst Gunthar leise zu seinem alten Freund.

»Nicht nur Feuerklinge«, räumte Stephan ein. »Aber, so die Götter wollen, feurig genug.« Sturm lächelte wieder, als er sein Pferd sattelte. Ihm war wild, unruhig und seltsam frei zumute.

Derek war rot und wütend geworden und davongelaufen, diesmal sehr vorsichtig, und hatte sein arrogantes Gehabe im verschneiten Hof zurückgelassen. Auf den Stufen zum Rittersporn war ein verärgerter Fürst Bonifaz aufgetaucht, der den dreckigen Knappen an einem sauberen Ärmel festhielt.

»Wie kannst du den Morgen mit solchem Unfug vertun«, schimpfte Bonifaz, »wenn ich bis Sonnenaufgang noch hundert Dinge für dich zu tun habe!« Sie trollten sich über den Hof, wobei der Ritter seinen Knappen schalt und ihn mit Fragen über Fragen überhäufte. Der Gärtner Jack verbarg ein zahnlückiges Lächeln und schob die Schubkarre hinter ihnen her. Leise summte er Sturms Lied vor sich hin.

Sturm grinste, als er die Prozession abziehen sah. Zweifellos würde Derek ein Bad nehmen müssen und dann in seine mit Teppichen ausgelegten Gemächer geschickt werden, wo er wütend und gedemütigt üben konnte, was er am besten gesagt oder getan hätte, als der Emporkömmling aus Solace sich brüllend vor Lachen gegen ihn wandte.

»Nur einen Tag, Luin«, flüsterte Sturm der Stute zu, die freundlich in die langsam dämmrig werdende Dunkelheit des Stalls schnaubte. »Einen Tag für Derek, und wenn ich erst weit fort bin, ist völlig offen, was man sich über den Vorfall heute morgen erzählen wird.«

Die Silhouette der Festung tauchte langsam im blaßgrauen Licht auf. Die Lampen im Turm wirkten jetzt schwach, und über ihnen jagten Fledermäuse und leuchtende Vespertile in die Sicherheit ihrer Höhlen und der Heuböden des Tieflands. Tief unten in der Ebene zeichnete sich der Horizont im Nebel ab.

Bis Sturm Luin schließlich in den Hof und zum Südtor führte, war die Sonne schon aufgegangen. Dort stand Fürst Stephan, um ihn zu verabschieden. Auch Gunthar war da, der den jungen Mann streng musterte und sich davon überzeugte, daß sein Pferd ordentlich gesattelt war und daß die ererbte Rüstung auch so saß, wie es einem Solamnier angemessen ist.

»Diese Rüstung deiner Vorfahren ist ein bißchen… groß, Bursche«, erklärte Gunthar enttäuscht, während er zweifelnd auf Angriffs Brustharnisch starrte, der so weit war, daß es aussah, als hätte jemand Sturm in einen Käfig gesteckt. »Vielleicht hast du etwas Angemesseneres in deinem Zimmer?«

»Etwas Passenderes schon, Fürst Gunthar. Aber angemessener? Denn ich bin der Feuerklinge, der vom Herrn der Wildnis zum Duell gefordert wurde. Mein Erbe zieht mit mir, wohin, wissen nur die Götter.« Der Junge unterdrückte ein Lächeln. Diese Worte hatte er sich ausgedacht, während er die Stute gestriegelt hatte, und er fand sie wohlklingend und dem Maßstab getreu, eine passende Rede zum Auszug und eine passende Einleitung seines eigenen, großen Abenteuers.

Dreister kleiner Wichtigtuer, dachte Fürst Stephan leicht amüsiert. Wie er in seinem Sarg von Brustharnisch herumplappert. Mal sehen, wie ›der Feuerklinge‹ und seine Erbschaft die Neuigkeiten aufnehmen.

»Wohin, wissen nur die Götter, sehr richtig, Sturm Feuerklinge«, erklärte Stephan laut, als die großen Eichentore des Turms des Oberklerikers hinter ihm aufgingen. »Aber dein erstes Ziel ist zweifellos der Südliche Finsterwald, und anscheinend, hm, besteht Fürst Vertumnus darauf, dir den Weg dorthin zu zeigen.«

Sturm riß die Augen auf, als er Stephan über die Schulter sah. Auf unerklärliche Weise waren Ranken über das Pflaster unter dem Südtor gewachsen, die sich wie ein enormes, grünes Spinnennetz über den breiten Durchgang zogen. Und draußen auf den Flügeln des Habbakuk, die südöstlich in die felsigen Vorberge abfielen, war aus dem Nichts ein schmaler Graspfad gewachsen. Über Nacht hatte er sich von den Schloßtoren bis hinunter zur Solamnischen Ebene gezogen. Hell wie grünes Feuer strahlte er und war makellos wie ein Ehrenteppich.