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»Ein guter Gastgeber, dieser Vertumnus«, scherzte Sturm unsicher, während er sich die Schulter rieb, die ganz plötzlich wieder zu pochen begann. »Wirklich ein guter Gastgeber, daß er mich vom Turm zu seiner Festung führt.« In der nebligen Luft klangen seine Worte dünn.

»Ich vertraue darauf, daß das Wagnis nicht so schlimm ist, wie es dein Freund Kronenhüter macht«, beharrte Fürst Stephan. »Aber ich würde auch nicht lügen und behaupten, dein Weg würde leicht sein. Aber mögen auch der Drache und die Gottesanbeterin dich führen, und möge das Graue Buch sich auftun und dir seine Weisheit zeigen.«

Jetzt klinge ich selbst schon aufgeblasen, dachte Fürst Stephan. Muß an der frühen Stunde und am Grünzeug liegen. Denn das hatte auch die Ritter überrascht – daß Vertumnus’ Magie bis direkt vor die Tore des Turms führte. Es war nur ein schmaler Grünstreifen – aber welche Macht! Fürst Gunthar war vom Tor weggetreten und berührte das Gras zuerst mit dem Schwert, dann mit der bloßen Hand. Stephan war ihm sogleich gefolgt. Das Frühlingsgras fühlte sich warm und biegsam an, und durch die Berührung erwachte eine seltsame Sehnsucht nach den Tiefen der Wildnis, nach dichten, grünen Wäldern.

»Mögen der Drache und die Gottesanbeterin dich leiten«, flüsterte er wieder, als Sturm vorsichtig sein Pferd durch das Rankengewirr zu Vertumnus’ magischem Pfad führte. Auch Bonifaz und Gunthar sahen von den Mauern aus zu, und den Rittern kam der Junge verletzlich und völlig unzureichend vorbereitet vor. Wieder bedauerte Fürst Stephan, daß Eid und Maßstab sie daran hinderten, alle zusammen die Waffen zu ergreifen und ihm zu folgen.

Mag er auch ein Feuerklinge sein – ja, in Aussehen und Mut war er wirklich Fürst Angriffs Sohn. Aber was vor ihm lag…Bonifaz zerrte seinen stotternden Knappen zu einem abgeschiedenen Platz außerhalb des Gartens, der neben einem Schuppen lag, wo Gärtnerwerkzeug zwischen zerbrochenen Statuen und den Resten eines gnomischen Beregnungssystems lag, das von Anfang an nicht funktioniert hatte.

Bonifaz sah sich um und ging sofort auf seinen zerknirschten Neffen los.

»Ist alles bereit, Derek?«

»A-alles?« stammelte der Junge ängstlich.

»Alles, du verzogener, kleiner Trottel! Die Falle an der Furt, die Stute, der Hinterhalt, die Überraschung im Dorf, das – «

»Onk – Fürst Bonifaz, bitte!« flüsterte Derek drängend, wobei er verzweifelt zu Jack hin nickte, der gelassen den Mist auf einen Haufen am Ende des Gartens kippte. Der Gärtner wischte sich die Hände ab und schob sich vorsichtig durch ein Blumenmeer, um sich dann hinzuknien und die grüne Knospe einer grünen Rose zu untersuchen.

»Vergiß ihn!« befahl der Ritter mit drohender, aber gesenkter Stimme. »Das ist bloß ein einfältiger Diener, aber vielleicht hätte selbst er die Überraschung für diesen Trottel von Feuerklinge besser vorbereiten können.«

»Sorgt Euch nicht, Sir«, erwiderte Derek kalt und würdevoll, obwohl er sich ärgerte. »Bei Paladin und allen Göttern des Guten, seid gewiß, daß alles, was Ihr für Sturm Feuerklinge geplant habt, an Ort und Stelle ist und nur auf seine… seine ehrenvolle Ankunft wartet.«

Bei diesen Worten entspannte sich der mächtige Schwertritter von Solamnia und ließ seinen Knappen los. Mit neugierigem Lächeln betrachtete er den Jungen vor sich.

»Das sind merkwürdige Götter für deinen Eid, Derek Kronenhüter. Wirklich merkwürdige Götter.« Sturm staunte, wie der grüne Strang dem Weg folgte, auf den er sich vorbereitet hatte.

Durch die Flügel des Habbakuk senkte er sich hinunter, grenzte an den Hartwald, das kleine Dickicht, das neben Nadelbäumen und Ahorn die einzigen Vallenholzbäume in den Vingaard-Vorbergen beherbergte, verlief dann glitzernd nach Süden, wo ihn der Morgennebel verdeckte, wo er aber zweifelsohne zum Fluß führen mußte und dann weiter in die Provinzen von Lemisch und ins Herz jenes geplagten Landes, wo der Südliche Finsterwald lag.

Obwohl ihm der grüne Mann den Weg zeigte, konnte man auf der Solamnischen Ebene nicht mehr sicher reisen, denn seit den großen Zeitaltern von Helden wie Vinas Solamnus, Bedal Blitzklinge und Huma Drachentöter hatten sich die Zeiten geändert. Damals war das Land noch rechtschaffen gewesen, denn starke Lanzen und noch stärkere Überzeugungen hatten es gegen seine Feinde verteidigt.

Jetzt war es beinahe unmöglich, sich diese alten Zeiten auch nur vorzustellen. Das Land hatte sich wütend und gewaltsam gegen die Ritter aufgelehnt. Bauern rebellierten. Nerakanische Räuber machten die Ostgrenzen unsicher, und im Kernland hatten sich angeblich noch dunklere Wesen eingenistet – schnatternde Schuppenwesen, verschlagene Reptilien, die Kinder stahlen und Vieh töteten, die wie ein kalter Wind durch die Dörfer zogen und an Türen rüttelten…

Sturm erschauerte. Vor ihm erstreckte sich die weite Ebene, die nebelverhangen und nur von rostroten Tupfen toter Heide gefleckt war, über die sich wie eine glitzernde Schärpe der grüne Pfad zog. Es war eine eintönige, herbe Landschaft, wo er sich schnell für Tage verirren konnte, wenn er nicht achtgab. Es war hier so seltsam still, als hätte der Wind keine Stimme.

Luin wieherte fröhlich unter ihm und blieb stehen, um auf Vertumnus’ hellem Weg zu grasen. Sturm drehte sich im Sattel um und sah ins Vingaard-Gebirge zurück, wo der hohe Turm des Oberklerikers in der Sonne glänzte. Obwohl der Rückweg nur knapp drei Stunden dauern würde, schien der Turm so fern, als säße er fest im Herzen eines anderen Zeitalters.

Sturm wandte sich dem grünen Weg wieder zu, der sich vor ihm entlang einer gedachten Reiseroute erstreckte, die ihm plötzlich feindselig erschien. Über den schnell fließenden Vingaard, hinunter in die Hobgoblinhochburgen von Trot – und das alles nur als Vorspiel für den Finsterwald und das, was Vertumnus mit ihm vorhatte.

»Puh, schon der Weg hin könnte mich das Leben kosten«, flüsterte Sturm nervös.

Tatsächlich war der Weg für manche gefährlich gewesen. Es gab zahlreiche, üble Geschichten von den Gefahren auf den Straßen von Solamnia. Zum Beispiel die Karawane aus Kargod, die tagelang vermißt wurde, bis man die rollenden Wagen auf der Straße nach Burg Thelgaard entdeckte. Die Pferde waren noch angeschirrt, doch die Fahrer und die Reisenden waren allesamt verschwunden. Dann war da das Dutzend Pilger aus Kaolyn, die zu den Schreinen von Palanthas wollten. Als Fürst Gunthars Suchtrupp sie entdeckte, waren ihre Körper, die man an den unteren Ästen von Vallenholzbäumen aufgeknüpft hatte, nur noch leere Hüllen.

Sturm rieb sich die Augen und zog sich den Mantel fester um die Schultern. Zweimal war es ihm schon so vorgekommen, als würde ihm jemand folgen, aber wenn er sich umschaute, sah er nur blasses Sonnenlicht, nur den Wind im hohen Gras.

Die Zwerge erzählten noch schlimmere Geschichten, überlegte er. Wie Hobgoblins gelernt hatten, den Schrei eines Menschenkinds nachzuahmen, um weichherzige Opfer zu einem einsamen, tückischen Platz zu locken, wo sie dann im dichten Nebel…

Nebel! Sturm stand senkrecht in den Steigbügeln. Während er vor sich hingesponnen hatte, hatte die Stute auf dem Grasweg angehalten und genüßlich den Pfad vor ihnen vertilgt.

Jetzt erhoben sich unnatürlich blasse Nebelarme wie Geister überall aus der Ebene. Die Sonne war nur noch schwach zu sehen. Die Luft war weiß, weiter entfernt, wo der aufsteigende Nebel jedes Sonnenlicht verdeckte, nur noch grau.

Sturm lehnte sich nach vorn und blinzelte umher, die Hand am Schwert. Er schnalzte mit der Zunge, damit die verängstigte Luin weiterging. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, als würde sie durch einen Sumpf laufen.