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Dann erhob sich aus dem Nichts Musik, ein altes Hornstück in Moll. Sturm zog sein Schwert und fuhr im Sattel herum, aber überall war nur Musik und Nebel und sonst nichts. Sofort kam er sich dumm vor, als ob er sein Schwert gezogen hätte, um gegen die Luft zu kämpfen.

»Komm raus, Vertumnus!« murmelte Sturm, dessen Stimme sich vor Ärger hob. »Komm raus aus deinem Nebel und Quatsch und laß es uns beilegen. Schwert gegen Schwert, Ritter gegen Ritter, Mann gegen Mann!«

Aber die Musik ging unaufhörlich weiter. Die Melodie veränderte sich, wiederholte sich und war immer zu erkennen und doch nie dieselbe. Der Nebel begann, zur Musik zu tanzen, bis er in einem irren, wilden Kreistanz herumwirbelte. Jetzt konnte Sturm nicht einmal den Boden sehen. Es war, als würde Luin durch flaches, unbekanntes Wasser waten.

Vorsichtig stieg der Junge ab und ging mit leichten, zaghaften Schritten neben seinem Pferd her. Er konnte das frische Gras nicht mehr fühlen und fragte sich allmählich, ob sich auch der Boden in Nebel aufgelöst hatte.

»Die Burg… ist Burg Vingaard links? Der Sonnenuntergang…«, murmelte Sturm vor sich hin. Jetzt waren Anhaltspunkte nutzlos, falls er sich in dieser teuflisch verwirrenden Musik überhaupt noch an sie erinnern konnte. Die Straße veränderte sich Schritt um Schritt, und er haßte sich dafür, daß er sich jetzt schon verirrt hatte.

Fast eine Stunde lang stapfte Sturm im Nebel umher. Sein Weg war hoffnungslos verworren, und allmählich war er nicht mehr befremdet, sondern voller Furcht.

Ganz plötzlich hörte die Musik auf. Die sich anschließende Stille war wieder reglos und feindselig, als würde die Ebene selbst schweigen, weil sie eine furchtbare Untat erwartete. Sturm merkte, wie das Schwert in seiner Hand zitterte.

Ein paar Minuten später setzte er seine Wanderung noch zögerlicher fort. Der Schrei einer Eule in einer vom Blitz getroffenen Eiche klang wie ein Ruf aus dem Land der Toten, und einmal oder zweimal kam es dem Jungen so vor, als würde in der Nähe ein Baby schreien. Diese Geräusche brachten ihn an den Rand der Panik. Zweimal setzte er den Fuß in den Steigbügel, aber beide Male riß er sich zusammen und besann sich eines Besseren.

»Das fehlte noch!« flüsterte er verstimmt. »Ein böser Sturz vom Pferd in dichtem Nebel! Schlag dir doch den Schädel ein, auf daß du dein letztes bißchen Verstand los bist!«

Als er schließlich befürchtete, daß er schon auf dem Rückweg zum Turm war, beschloß Sturm, anzuhalten und zu warten, bis sich der Nebel hob. »Denn würde Derek Kronenhüter nicht feixen«, fragte er Luin, »wenn ich einfach vor dem Südtor aus dem Nebel laufen würde, und das außer mir vor Entsetzen?«

Er biß die Zähne aufeinander. »Bei Huma!« schwor er. »Lieber sterbe ich, als daß ich diesem Schuft einen solchen Triumph gönne!«

Luin schob dem Jungen ihre lange Schnauze über die Schulter und knabberte gedankenverloren an seinen Haaren.

Gemeinsam warteten die beiden, die alte Stute und ihr junger Reiter. Sie dösten vor sich hin, um nur hin und wieder beim Aufflattern von Wachteln oder dem Zirpen von Eichhörnchen in den fernen Bäumen hochzufahren. Schließlich kam der Abend, und das Land um sie herum beruhigte sich. Sturm schreckte aus dem Schlaf auf. Einen Augenblick lang dachte er, er wäre wieder im Turm des Oberklerikers, sicher in den Knappenquartieren. Aber er steckte in Rüstung und Mantel und lag auf freiem Feld. Er drehte sich um und zwinkerte traumverloren, doch ihm fiel sofort ein, wo er sich befand.

»Luin!« flüsterte er. Das Pferd hatte sich nur ein Stück von ihm entfernt. Durch die Dunkelheit des frühen Morgens hörte er es schnauben und dahintrotten. Mühsam richtete Sturm sich auf, denn der Brustharnisch seines Vaters war sperrig und schwer auszubalancieren. Nach einem letzten Taumeln stand der Junge gerade und marschierte in die Richtung des Geräuschs.

Plötzlich gab es ein leichtes Rascheln im Wind, ein Geräusch, an das er sich Jahre später in den Ruinen von Xak Tsaroth sofort erinnern würde. Zuerst dachte er, es wäre ein Sturm, der durch die Blätter rauschte, aber die Luft war unbewegt. Sturm dachte an Vertumnus, an den ungewöhnlichen Wetterumschwung…

Er geriet ins Stolpern, als ein heißer Windhauch über ihn hinwegstrich, der nach Schwefel, Asche und Zorn roch. Zuerst war es, als würde die Ebene brennen, als stünde der Nebel ringsumher in Flammen. Er hustete heftig.

Sturm drehte sich um sich selbst, während er verzweifelt nach Luin pfiff. Ruhig tauchte die Stute aus dem Nebel und den Rauchschwaden auf und blieb nur stehen, um faul nach einem niedrigen Kleebüschel zu schnappen. Er sprang neben sie und stieg auf…

Und stand noch in dem einen Steigbügel, als Luin im durchdringenden Gestank etwas witterte, etwas viel Entsetzlicheres. Auf der Stelle trat sie wie hysterisch aus und galoppierte in den Nebel.

Sturm klammerte sich an den Zügeln fest. Sein Fuß hatte sich im Steigbügel verfangen. Vergeblich versuchte er, sich im Sattel zurechtzusetzen, doch Luins wilde, kopflose Flucht durch den Nebel trug die beiden durch unwegsames Gelände, und er konnte sich gerade auf ihr halten. Hinter ihm ließ das raschelnde Geräusch nach, um dann noch viel lauter wieder loszugehen. So etwas hatte der Junge noch nie gehört. Er dachte an Zyklone, an den heftigen Wind aus Aferia, der durch die Bergpässe pfeift und alles dem Erdboden gleichmacht, wenn er in die Ebene rast. Luin rannte schneller, bis ihr braunes Fell vor Schweiß naß war, aber immer noch kam der gewaltige Lärm näher, wurde lauter, schneller und drängender.

Sturm wollte nach seinem Schwert greifen, um sich dem zu stellen, was Vertumnus ihm hinterhergeschickt hatte – was auch immer es sein mochte. Aber Luin jagte weiter wie der Wind über die Solamnische Ebene. Wenn er die Hand von den Zügeln nahm, würde er riskieren, sich den Hals zu brechen oder auf dem harten Untergrund zu Tode geschleift zu werden. Also hielt er sich fest und schwang einmal, zweimal, ein drittes Mal sein Bein über den Sattel, doch die Geschwindigkeit des Pferdes und das Gewicht der Rüstung ließen ihn weiter baumeln und kämpfen. Der Nebel hinter ihm begann bedrohlich blutrot zu glühen, und inmitten des Lichts schoß eine riesige, dunkle Gestalt mit ledrigen Fledermausflügeln auf sie zu, während die Luft immer heißer wurde, bis die Hitze unerträglich war.

Da plötzlich kehrte unerwartet die Musik zurück. Der Nebel schloß sich um sie, und das Licht verschwand und nahm Getöse und Hitze mit sich. Hustend, keuchend und halb im Sattel hängend, sah Sturm zu, wie sich der Nebel auf tat und die bedrohliche, ledrige Gestalt seines Verfolgers verschluckte. Die Hitze und das Gebrüll ebbten ab.

Und die Musik echote von den Felsen um sich herum. Diesmal eine andere Melodie – ein schneller, witziger Tanz, der so mitreißend war, daß die Nachtigallen, die in den dunklen Nischen der Eichen und Vallenholzbäume versteckt saßen, trillernd zu antworten begannen. Luin fiel langsam in Trab, dann in Schritt, und der ausgepumpte, erschütterte Sturm konnte sich endlich auf ihren Rücken setzen.

»Bei Branchala, das war vielleicht was!« murmelte der junge Mann. Er sah sich um, als der Nebel zerstob und wie Regen in den harten, kargen Boden sank. Über ihm tauchten die Sterne des solamnischen Nachthimmels auf – erst die Monde, dann der helle Sirion und Reorx. Nach ihnen geschätzt war er meilenweit südlich von seinem Ausgangspunkt.

»Was… was war das, Luin?« fragte er. »Und… wo sind wir?«

Der Nebel hatte sich jetzt aufgelöst, so daß Sturm weit über die flache Ebene sehen konnte. Weiter westlich lag ein Dorf, dessen schwache Lichter in die klare Winternacht blinzelten. Es war eine einladende Vorstellung – ein warmes Dach für die Zeit bis Sonnenaufgang.

Aber Sturm kannte die Bauern und wußte, welch beständigen Haß sie gegen den Orden hegten. Welches Dorf es auch war, wie freundlich die Lichter auch winkten, Eisvogel, Krone und Rose waren in den Häusern gewiß nicht willkommen.