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Bonifaz seufzte, während er Luin zu einem Trog mit Regenwasser führte, aus dem die kleine Stute geräuschvoll trank. Das Schlürfen der Stute überdeckte das Hämmern und Rufen an der dicken Tür und das unnatürliche Mückengesumm in der Winterluft.

Es war keine besonders angenehme Aufgabe, Jungen in Türme einzusperren. Höchstwahrscheinlich würde Sturm verhungern, und selbst wenn er mit viel Glück entkommen konnte, würde er lange genug von seiner Verabredung im Wald abgehalten werden, damit seine Ehre – wie hatte es der grüne Mann ausgedrückt? – »für immer dahin« war.

Deswegen war es aber nötig geworden, sagte sich Bonifaz, als er Luin zu dem dunklen Stall führte. Es war nötig geworden, weil Sturm durch sein Fragen nach seinem Vater womöglich die Wahrheit über die Belagerung von Schloß Feuerklinge herausbekommen hätte. Er war zu jung, um jene Wahrheit zu verstehen, wie Angriff das Leben des Ordens bedroht hatte.

Bonifaz lehnte seine Stirn an die warme Flanke des Pferdes, während er sich erinnerte. Er erinnerte sich, wie Angriff voller Visionen aus Neraka zurückgekehrt war, seine Seele zutiefst in Gefahr. Sofort war allen die Veränderung an dem Mann aufgefallen, wie seine Schwertkunst erblüht war, wie er erfahrener, kühner und einfallsreicher geworden war. Damals hatten sie ihn Feuerklinge getauft.

Irgendwie hatte es sie etwas, hm, verunsichert. Schließlich war Angriff damals frisch verheiratet gewesen und sein Vater, Lord Emelin, erst vor kurzem zu Huma gegangen. Die Obhut für Schloß Feuerklinge war an Angriff gefallen. Man hätte einfach gedacht, daß er, hm, traditionsbewußter wäre.

Bonifaz zuckte mit den Achseln und lehnte sich an die Tränke.

Angriff war allen ein Rätsel gewesen. Ein ewiges Rätsel. Wie damals im Garten kurz nach seiner Rückkehr, als die beiden einen engen, blumengesäumten Weg entlangspaziert waren, Bonifaz ein Stück hinter ihm, und die Luft erfüllt vom Gezirpe der Finken und Sperlinge.

Bonifaz war um einen Busch getreten und hatte gesehen, wie sein Freund sich gebückt und mit dem Handschuh vorsichtig die Blütenblätter einer silbriggrünen Rose berührt hatte. Es war, als wäre Angriff, hm, einen Moment abwesend gewesen, als hätte in der Blume etwas verborgen gelegen, an das er sich verzweifelt erinnern wollte.

Bonifaz hatte dagestanden, während sein Freund in Gedanken von ungewöhnlicher Zartheit versunken war und die Maisonne durch die Blätter der Kalvineiche fiel, so daß sie alle – Ritter, Pfad und Silberblume – in ein eigenartiges Grün getaucht waren. Das war kaum ein Ort für verquere Gedanken gewesen.

Aber Bonifaz hatte, wenn auch halb unbewußt und rein taktisch, gedacht, daß das ein passender Platz für einen Hinterhalt wäre.

Er war erschauert und hatte den dunklen Gedanken abgeschüttelt.

Wenn Bonifaz jetzt daran dachte, lächelte er. Er war wirklich sehr jung gewesen, an jenem Tag im Garten.

Dennoch waren seine Gedanken wieder abgeschweift, zu der Rose, die Fürst Angriff in der Hand hielt und zu anderen, freundlicheren Gedanken. Aber plötzlich hatte Angriff das Schwert gezogen und sich aufgerichtet. Er hatte um eine Wegbiegung gesehen unter einen Nadelstrauch, war herumgewirbelt und zu dem wunderschönen Eisenpavillon auf der Terrasse in der Mitte des Gartens gelaufen. Seine Schritte hatten unsicher und abgelenkt gewirkt. Dann hatte er sich an den verschnörkelten Eingang des kleinen Bauwerks gelehnt, als hätte ihn unvermittelt eine seltsame Krankheit befallen.

Da hatte Bonifaz die Diener gerufen, weil er glaubte, er würde Hilfe brauchen, um Angriff zur Krankenstation zu tragen.

Die Diener waren sofort angelaufen gekommen, doch bis dahin hatte sich Angriff wieder gefangen und war ganz bei sich gewesen. Er hatte Bonifaz’ stützende Hand zur Seite geschoben und den Männern befohlen, den Garten zu durchsuchen. Die waren bald zurückgekommen, um den Rittern zu versichern, daß das Gelände sicher sei.

Dann hatte Angriff sich erschöpft zu ihm umgedreht.

»Tut mir leid wegen dieses unwürdigen Auftritts, Bonano«, hatte er gesagt. Bonifaz haßte den Kosenamen seiner Kindheit. »Aber als ich mich bückte, um diese Silberrose zu bewundern, da überfiel mich plötzlich eine Veränderung in den… Energien des Gartens. Das ist es, was man in Neraka lernt, angesichts der Räuber mit ihren Schwertern. Da müssen Herz und Schwertarm lernen, die Absichten der Feinde zu spüren. Ich habe es jetzt hier im Garten gespürt«, hatte er gesagt. »Und ich habe nur dich gesehen. Nicht einmal ein Eichhörnchen oder einen Hund.«

Angriff hatte gegrinst und sich müde die dunklen Haare zurückgestrichen. »Ich bin wohl erschöpfter, als ich dachte«, hatte er schließlich eingeräumt.

Dieser Augenblick war für Bonifaz wichtiger als alle Aufsässigkeiten, alle Respektlosigkeit beim Turnier oder bei den Ratssitzungen gewesen. Im Laufe der Jahre war er in der Erinnerung immer eindrucksvoller geworden. Das hatte Angriffs Zukunft für Bonifaz besiegelt. Darum mußten die Feuerklinges für immer verschwinden.

Und darum mußte logischerweise auch der Junge verschwinden.

7

Kastell di Caela

Sturm saß im Halbdunkel und rieb sich seine geschundene Schulter.

Er erlebte das Schauermärchen, mit dem man Kinder einschüchtert, um sie von Ruinen und dunklen Kellern fernzuhalten. Sturm hatte sich in die Burg hineingewagt, und irgend jemand – wahrscheinlich Vertumnus, denn eine andere Erklärung gab es nicht – hatte hinter ihm die Tür fest verschlossen. Und dann war die Tür natürlich weder durch Tricks noch mit Gewalt wieder aufzubekommen gewesen.

Sturm sah sich um. Durch ein einzelnes, hohes Fenster strömte schwaches Licht herein, das die große Eingangshalle der di Caelas davor bewahrte, gänzlich in Finsternis zu versinken. Aber dennoch war die Halle, die in Mahagoni oder einem ähnlich dunklen Holz getäfelt war, bedrückend düster, denn nach sechs Jahren ohne Pflege waren Glanz und Prunk dahin.

Denn Kastell di Caela war im gleichen Jahr wie Schloß Feuerklinge an die Bauern gefallen, damals als Fürst Angriff verschwunden war. Agion Pfadwächter war ein Prahlhans gewesen, aber dennoch ein fähiger Statthalter, der die Ländereien gut verwaltet hatte. Doch als er in den Flügeln des Habbakuk verraten und getötet worden war, hatte er nur eine spärlich gefüllte Vorratskammer und eine kleine Besatzung von zwölf Mann hinterlassen. Diese Garnison war von den Bauern im Spätsommer 326, um Sturms zwölften Geburtstag herum, ausgehungert worden.

»Ausgehungert«, sagte Sturm untröstlich zu sich selbst.

Langsam und unter Schmerzen stand der Junge auf und ging zu der ausgehängten Doppeltür des großen Speisesaals. Die Mahagonitische, einst der Stolz von Generationen von di Caelas und nach ihnen den Blitzklinges, lagen auseinandergeschlagen unter einer dicken Staubschicht da.

Hier ist Großvater Emelin zur Welt gekommen, dachte Sturm. Nur einen Monat früher, und Vater wäre auch hier geboren worden, denn als Großmutter hochschwanger war, brachte der alte Emelin sie nach Norden, nach Schloß Feuerklinge, wo sein Vater Bayard…

So sann der Junge auf einem Stuhl mit hoher Lehne vor sich hin und verfolgte zwischen Staub, Spinnweben und Trümmern seine Geschichte zurück. Hier drin gab es mehr Licht, denn am Lichtgaden befanden sich ein Dutzend Fenster, durch die der Wind hereinwehte und den Staub und die schimmeligen Vorhänge aufstörte. Ein Marmorfries, aus dem die Bauern die Köpfe herausgeschlagen hatten, rahmte den Balkon über der Halle. Wegen des Vandalismus und der anschließenden Vernachlässigung war kaum noch zu erkennen, daß es in sieben gemeißelten Szenen die Geschichte von Huma darstellte.

Sturm setzte sich auf, um das Fries genauer zu betrachten. Er hatte ein Faible für alles, was alt und aus Marmor war und voller Geschichte steckte, und schließlich war diese Arbeit fast tausend Jahre im Besitz der Familie gewesen. Er bewunderte die Weinranken, die herrlich gemeißelten Berge, das schreckliche Abbild von Takhisis, der Mutter der Nacht.