»Das waren noch Zeiten, wo eine Suche eine große Sache war, mein Junge! Wir sind Zauberern nachgejagt! Vergessenen Welten und Würmern, die den ganzen Kontinent umschlangen!«
Der Geist schloß die Augen, als ob er von jenen alten Tagen träumte.
»Und worum«, fragte Sir Robert übergangslos, als seine blassen Augen aufflogen, »geht es bei deiner Suche, kleiner Blitzklinge?«
Als wäre er bezaubert oder aus Hunger schon jenseits von Lüge oder Verstellung, erzählte Sturm dem Geist die ganze Geschichte. Von der Nacht mit dem Bankett über seine vernebelte Wanderung bis zu seiner Gefangensetzung hier in Kastell di Caela. Beim Erzählen fiel ihm auf, wie lang und gefahrvoll ihm alles unterwegs vorgekommen war, und wie platt und einfach und geradezu dämlich es sich nun anhörte.
Am Anfang der Geschichte hörte Sir Robert noch gebannt zu, aber seine Begeisterung hielt nicht lange an. Bald zeigte seine Miene nur noch höfliche Aufmerksamkeit, dann wurde sie gleichgültiger, bis der Alte schließlich fast einnickte.
»Ist das alles?« fragte er. »Du brichst auf, um einen Gegner zu treffen, der eindeutig stärker und geschickter ist, und du hast es geschafft, dich in meinem Schloß einschließen zu lassen, bevor du auch nur den halben Weg hinter dir hast?«
Sturm wurde rot und nickte, als Sir Robert ein dünnes, tiefes Glucksen von sich gab.
»Und?« fragte der Geist, der keine zwanzig Fuß vor dem Jungen herumschwebte.
»Sir?«
»Was weißt du über Geister, Junge? Um welche Rache habe ich gebeten?«
»Keine, Sir.«
»Und welche unerledigte Sache solltest du für mich zu Ende bringen?«
»Wirklich keine.«
»Sehr richtig. Wie ich sehe, hast du selbst schon genug unerledigte Angelegenheiten für ein ganzes Leben. Was für Schätze habe ich?«
»Sir?«
»Was für Schätze, verdammt! Du hast das Gebäude von den Zinnen bis zum Keller durchsucht. Was verstecke ich?«
»Nichts, Sir.« Der Junge war es leid, ausgefragt zu werden. Er war müde und hungrig.
»Was bleibt also übrig?« bohrte Sir Robert.
»Sir?«
»Was machen wir Geister noch?«
Sturm stand schweigend da. Sir Robert näherte sich ihm in Grün, Gelb und Rot.
»Wir beantworten Fragen. Ich bin zurückgekehrt, um eine Frage zu beantworten. Nein, ich werde zwei Fragen beantworten.«
Mit ausgebreiteten Armen schwebte der Geist gut zwei Ellen vor Sturms Stuhl. Obwohl ihm ganz flau im Magen war vor Hunger, sah Sturm dem Geist direkt in die Augen.
»Ich dachte immer«, meinte der junge Ritter zaghaft, »daß bei allem, was mit Magie zu tun hat, normalerweise drei Fragen beantwortet werden.«
»Handel nicht mit mir, Knabe!« fauchte Sir Robert. »Entweder zwei Fragen oder gar keine. Hier hält man nichts von dummen Traditionen. Zwei Fragen.«
Tausend Fragen gingen Sturm durch den Kopf, als er den Geist anstarrte – zur Geschichte, zur Geisterwelt, zur Religion…
Aber welche Fragen?
»Wieso kommst ausgerechnet du zu mir?«
»Ist das deine Frage?«
»Ja.« Sturm sah den Geist vorsichtig an. Sir Robert schwebte gut drei Fuß über dem Boden, als würde er in Wasser treiben.
»Tja, wenn ich das wüßte«, erwiderte Robert. »Nächste Frage.«
»War das deine Antwort?« rief Sturm aus.
»Ist das deine zweite Frage?« wollte Sir Robert wissen.
»Was? Ach… nein…«, stammelte Sturm. Er wurde still, und das grüne Licht in der großen Halle wurde allmählich intensiver. Jetzt verlängerten sich die Schatten von Bank, Thron und Trümmern, bis es so aussah, als wären alle Möbel über menschliche Proportionen hinausgewachsen.
»Ich… ich weiß nicht recht, was ich fragen soll«, sagte Sturm schließlich. Sein Kopf war voller alter Märchen über gefangene Zauberer, die Wünsche erfüllen sollten – wie sie ihre Herren dazu verleiteten, um Frühstückswürstchen zu bitten anstatt um Unsterblichkeit oder unendliche Weisheit. Was für ein Geist der da vor ihm auch war, er würde sich nicht von ihm reinlegen lassen.
»Ich finde, die Frage liegt auf der Hand«, sagte Sir Robert mit erstauntem Lächeln.
Sturm sah den Geist mit großen Augen an und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Jetzt stand Sir Robert über ihm. Die dünnen Arme hatte er über seinen luftigen Brustpanzer gefaltet, die Augen blickten in geisterhafte Ferne. Langsam senkte er den Blick zum Thron mit der hohen Lehne und zu dem sprachlosen, bebenden Mann hin, der darauf saß.
»Die Frage liegt auf der Hand«, wiederholte Sir Robert. »Ich finde, du mußt fragen, wie du hier rauskommst.«
8
Begegnung im Mondschein
»Na schön. Wie komme ich hier raus?« fragte Sturm.
»Ich dachte schon, du würdest nie mehr fragen«, erwiderte Sir Robert glucksend.
Der Geist drehte sich plötzlich in der Luft. Hinter ihm trieften grün und leuchtend wäßrige Lichtpfützen aus seinen Locken und Kleidern, während er aus der Saalmitte durch die Türen in den Vorraum ging. Mit gezogenem Schwert erhob sich der kampfbereite Sturm und folgte ihm.
Die Fußtapsen führten zu seiner Überraschung zurück in den Keller von Kastell di Caela, wo Sir Robert, der schwerelos vor ihm her trieb, unter die Treppe zurückhuschte.
»Eine Idee von Baumeister Bradley«, murmelte er. »Damit wir den Wein rausholen konnten, nachdem der Wurm die Keller aufgerissen hatte.«
Der Geist flog an einem umgestürzten Weinfaß vorbei direkt in die hintere Wand, wo er einfach verschwand. Nur die Oberfläche der Steine schimmerte noch grün.
»Komm schon!« drängte eine Stimme von der anderen Seite der Mauer, und als Sturm die Hand an die leuchtenden Steine legte, drehten sie sich plötzlich weg zur Seite, und frische Luft und Mondlicht umströmten ihn. Er trat aus dem Keller in den Burghof, der hell im silbernen Glanz von Solinari lag.
Sturm sah zurück. Sir Robert war verschwunden. Wieder wunderte er sich – warum ihm ausgerechnet dieser Geist von all den vielen Geistern, die in dem verlassenen Schloß hausten, geholfen hatte.
Luin trottete von den Ställen über den Hof herbei. Offenbar hatte ihr die Zeit allein nicht geschadet. Sie wirkte gepflegt, sogar gut gefüttert, obwohl sie immer noch Sattel und Zaumzeug trug wie zu dem Zeitpunkt, als er sie verlassen hatte. Sturm wühlte seine Packtaschen durch, fand dabei etwas Trockenfleisch, Quith-Pa und ein Stück angeschimmeltes Brot und schlang alles hinunter. Während er aß, knabberte Luin zufrieden an seiner Schulter, und nach einer Weile streichelte Sturm ihre lange Nase und redete mit ihr, denn er schämte sich, daß er so lange nicht an sie gedacht hatte.
»Und wie hast du dich über die Tage so gut verpflegt, altes Mädchen? Wie hast – «
Da erst sah er sich um und bemerkte, daß der Schloßgarten grün war und daß zwischen den Pflastersteinen im Hof dickes, saftiges Gras wuchs. Es hatte reichlich Weidegrund gegeben.
Er war eine ganze Woche im Schloß gewesen. Ganz sicher. Wenn nicht heute schon der erste Frühlingstag war, dann zweifellos in ein oder zwei Tagen. Sturm dachte wieder an das Julfest, an die strenge Warnung des grünen Mannes, daß er rechtzeitig zu der Verabredung zu erscheinen hatte.
Er würde zu spät kommen. Und alles, was über das Schicksal seines Vaters zu erfahren war, was ihm der Herr der Wildnis versprochen hatte, würde ungehört bleiben. Niemand würde davon erfahren… vielleicht für immer.
Beim Gedanken an das »für immer« meldete sich ein dumpfer Schmerz in der Schulter des Jungen und jagte ihm einen plötzlichen Schrecken ein. Denn hatte Vertumnus nicht noch Schlimmeres versprochen, falls Sturm die Verabredung nicht einhielt?
Die Wunde würde blühen, und ihre Blüte würde tödlich sein.
Ohne weitere Gedanken sprang Sturm Feuerklinge aufs Pferd. Schnalzend und schmeichelnd ritt er ins ländliche Solamnia hinaus, wo die Monde die Landschaft verwirrten und die Wegweiser die Reisenden durcheinanderbrachten.