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Als ob sie ihn mit ihrem Lied herbeigerufen hätte, tauchte schon bald der Mond in der Lücke zwischen den Bäumen auf und schien genau auf sie herab – oder eher zwei Monde, denn der weiße Solinari in seiner strahlenden, vollen Scheibe erwartete seine rote Schwester Lunitari, bis sie ihm am allerhöchsten Punkt des Himmels begegnete. Langsam schob sich der rote Mond in Sicht, während das Mädchen spielte und ihre Musik den Hain erfüllte.

Sturm war seltsam angerührt. Es lag ein solcher Friede in dieser Szene, als ob alles Gute – Schönheit, Gesundheit, Tugend, Reinheit – einen Augenblick lang zum Takt der Flöte tanzte. Es war auch etwas Trauriges daran. Nur zu bald, wußte Sturm, würde dieser Moment vergangen sein.

Deshalb ging er auch, steckte sein Schwert weg und wollte zum Weg zurückkehren, als er die Spinnwebe sah.

Die Stränge waren fingerdick und zwanzig Fuß lang, mit Zwischenräumen so groß wie Sturms Schild, und zogen sich wie ein riesiges Fischernetz von Baum zu Baum über die Lichtung. Sturm hob das Schwert. Die Spinne, die so etwas spinnen konnte, mußte so groß sein wie ein Hund… ein Mensch… ein Pferd. Mit hocherhobenem Schild fuhr Sturm herum und hielt nach dem Untier Ausschau, doch bis auf trockene Blätter und ein paar Knochen von Raben und Eichhörnchen war das Netz leer. Geduckt lief der Junge zur Lichtung zurück, um das Mädchen zu warnen.

Er kam fast zu spät. Da war die Spinne, wulstig und riesig und grau-weiß gesprenkelt. Ihre Vorderbeine hingen über der ahnungslosen Elfe, die mit geschlossenen Augen und wehenden Haaren weiterspielte. Sturm schrie auf und sprang auf die Lichtung.

Die Musik hörte sofort auf. Erschrocken sah das Mädchen ihn an. Die Spinne sprang zurück und krabbelte mit kantigen, schnellen Bewegungen an der Seite der Hütte herunter. Augenblicklich stand sie mit erhobenen Vorderbeinen und blitzenden, klackernden, langen Fangzähnen zwischen Sturm und dem Mädchen.

Das Tier war mindestens sieben Fuß groß, doch Sturm hielt sich nicht mit Messen auf. Geschickt rollte sich der Junge aus dem Weg, wobei er an einen blauen Ewigkeitsbaum prallte und seinen Schild verlor. Die Spinne sprang ihm vergeblich nach, ihre tödlichen Fangzähne fuhren durch die Luft.

Hinter dem Monster sprang das Elfenmädchen vom Dach der Hütte und huschte selbst wie eine Spinne krabbelnd durch die dunkle Tür hinein.

Nachdem Sturm zur anderen Seite des Baums durchgebrochen war, hob er sein Schwert hoch über den Kopf, um dann auf die heranstürzende Spinne einzuschlagen. Das Tier erzitterte, lief zur Seite und kletterte dann einen Vallenholzbaum hinauf. Dort hockte es sich in die unteren Äste über dem Jungen, der schnell zur Seite sprang. Die Spinne sprang herunter und hätte Sturm augenblicklich zerquetscht, wäre er nicht nach vorn gehechtet, wobei er an den Stamm des Vallenholzbaums prallte und sich dann benommen und atemlos aufrappelte, um das Unterholz nach seinem Schwert zu durchsuchen. Die Spinne kam näher, stellte sich auf die Hinterbeine und warf sich dann wild nach vorn. Aber ihre Fangzähne trafen auf Angriff Feuerklinges Brustharnisch und prallten, ohne Schaden anzurichten, von der Bronzezier ab.

Mit einem Aufschrei riß sich Sturm von der Spinne los. Als er sich umsah, bemerkte er sein Schwert, das nur gut zehn Fuß entfernt lag. Er rannte hin, riß es hoch und rollte über den Boden, um anschließend mit erhobener Klinge, die auf die Spinne zeigte, auf die Beine zu kommen.

Doch die Spinne war nicht mehr da. Denn mitten in Sturms Turnerei war sie auf einen höheren Ast des Vallenholzbaumes geklettert, dann auf eine danebenstehende Lärche gesprungen, die sie wie ein Affe mit den beiden Vorderbeinen umklammert hatte, dann einen dicken, ausladenden Ast entlanggerast, bis sie wieder direkt auf dem Dach der Hütte saß.

Mit einem Aufschrei rannte Sturm auf die Hütte zu, rutschte auf dem Untergrund aus, stolperte über Wurzeln, Büsche und Brombeerranken. Die Spinne sprang über seinen Kopf und landete geschickt hinter ihm, wobei aus ihren Spinndrüsen eine dicke, zähflüssige Spirale drang. Diesmal war der Junge schnell genug, denn er wich dem Faden aus und stürmte mit vorgestrecktem Schwert auf das Tier zu.

Aber wieder war die Spinne verschwunden. Sturm sah sich verwirrt um, dann blickte er nach oben – gerade rechtzeitig, um dem Monster auszuweichen, das sich mit mörderischer Geschwindigkeit gerade zwanzig Fuß tief herunterließ. Als er auf die Lärche zurannte, wo das große Spinnennetz über ihm schimmerte, hob Sturm sein Schwert und schlug mehrmals in die dicken Seile des Netzes, bis ein langer Strang weich und fest in seinem Handschuh lag.

»So«, murmelte er, während er sich zu dem angreifenden Untier umdrehte, »wenn Schwert und Kraft mir nicht helfen…«

Er wich aus und tauchte zwischen den zuckenden Beinen der Spinne durch, wobei er das Tau hinter sich herzog. Die Fangzähne klackten über seinem Kopf, doch dann war er unter dem Tier durch und hatte zwei von seinen Beinen mit seinem Seil umschlungen. Sofort wickelte der Junge das Seil fest um einen Baum und drehte sich wieder um, um erneut unter dem Tier durchzukriechen. Ein Fangzahn streifte vergeblich seinen Rücken.

Nachdem er so fünf ihrer Beine festgezurrt hatte, stürzte die Spinne auf den Waldboden. Sie wirbelte Staub und Blätter auf, als sie wütend um sich schlug. Ihr Schrei klang wie das Zirpen von Zikaden, ohrenbetäubend und schrill. Sturm schlüpfte aus seinem Handschuh, den er am Faden kleben ließ, hob sein Schwert auf und ging auf das gefesselte Tier zu. Triumphierend erhob er die Klinge…

… doch das Elfenmädchen steckte den Kopf aus der Tür und schrie entsetzt auf.

»Nein!« rief es. »Halt ein, Mensch!«

Wie vom Donner gerührt trat Sturm von dem Tier zurück und senkte das Schwert. Voller Zorn schlüpfte das Mädchen aus der Hütte und lief über die Lichtung. Ihre dunklen Mandelaugen glühten.

»Mach das arme Ding los, du Schuft!«

Sturm konnte nicht glauben, was er da hörte.

»Mach ihn los, sage ich! Oder, bei Branchala…«

Sie zog ihr Messer. Instinktiv riß Sturm den Schild hoch, doch sie war bereits bei ihm, kniete sich neben dem Monster hin und schnitt die Spinnweben durch, die es festhielten.

»Ich… aber ich…«, setzte Sturm an, doch aus dem Blick, den ihm die Elfe zuwarf, sprach eine so schäumende Wut und so viel Haß, daß er seine Erklärungsversuche aufgab. Verlegen stand er dabei und sah zu, wie sie an dem Strang herumsäbelte. Schließlich kniete er sich widerwillig neben sie und setzte die Klinge seines Breitschwerts gegen die groben, klebrigen Stränge ein.

Nach ungefähr einer Minute war die Spinne frei. Sie stand wackelig da, als wäre sie gerade aus dem Schlaf erwacht. Sturm sah vorsichtig zu, hielt das Schwert tief, den Schild hoch, doch das Ungetüm taumelte, zirpte und rannte schnell in den Wald. In seinem Schrei lag ein seltsam schluchzender Ton, als würde es weinen. Völlig perplex sah Sturm, wie das Tier zwischen den Zedern, Pinien und Lärchen verschwand, wobei es ein verletztes Bein nachzog.

»Was – «, setzte er an, doch er brachte den Satz nicht mehr zu Ende. Die Ohrfeige des Elfenmädchens saß.

»Wie kannst du es wagen, mit deinem Schwert auf meine Lichtung zu platzen und hier ein Chaos anzurichten!« schrie sie. Dann hob sie die Hand, um ihn erneut zu ohrfeigen. Sturm wich stolpernd zurück.

»Ich dachte, du wärst in Gefahr«, erklärte er und zuckte zusammen, als sich das Mädchen plötzlich wieder bewegte. Diesmal allerdings strich sie sich nur die dunklen Haare zurück. Auf ihrem Gesicht rang Trauer mit Ärger.

»Du dummer Junge«, sagte sie still. »Du hast keine Ahnung, was du angerichtet hast, nicht wahr?«

Sturm sagte nichts. Mit schwachem, melancholischem Lächeln zeigte das Elfenmädchen zum Himmel.

»Guck nach oben«, sagte sie. »Was siehst du?«

»Eine Lücke in den Bäumen«, erwiderte Sturm unsicher. »Den Nachthimmel. Die zwei Monde…«