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Der Schmerz in seiner Schulter war wunderlicherweise völlig verschwunden. Das überraschte ihn nicht. Bei der ganzen Begegnung hier im Wald hatte er Vertumnus’ Hand gespürt, bei dem ganzen Abend voll Kampf, Musik, Versprechen und Mondlicht.

Sturm ächzte etwas unter dem Gewicht des Bündels. Plötzlich war die Last fünfmal so schwer, die Straße fünfmal so lang. Er dachte an Silvanost. Er dachte an die lange Reise über das Khalkistgebirge, an der Grenze zu Neraka durch die Schicksalsberge nach Sanction, dann hinunter nach Bled und nach Süden in den großen Wald. Immer zwischen Räubern und Ogern hindurch, wie er gehört hatte. Beinahe hoffte Sturm, daß Vertumnus ihn am ersten Frühlingstag umbringen würde. Sie hieß Mara, und ihre Geschichte war die einer Kagonesti-Elfe, voller Magie, verbotener Liebe und Verhängnis.

»Vor vier Jahren ist es losgegangen«, erzählte sie auf Sturms Frage hin, als die beiden aus dem Wäldchen herauskamen. Es war früh am Morgen, und die Sonne, die über den Osthorizont blinzelte, war ihr Orientierungspunkt.

Sturm verlagerte das Gewicht des Gepäcks auf seinem Rücken. Obwohl die Sonne gerade erst aufging, war er jetzt schon müde, denn er war die ganze Nacht, beladen mit Mögen-es-die-Götter-wissen-was-für-Sachen, durch den Wald gelaufen. Mara, die Luin am Zügel führte, folgte ihm, und hin und wieder hatte er ganz in der Nähe das beunruhigende Geräusch gehört, wie eine Spinne von Ast zu Ast kletterte.

»Vor vier Jahren?« fragte er träge. Müde versuchte er, aufmerksam zu bleiben. Es fiel ihm schwer.

»Unten in Silvanost, wo die blonden, braunäugigen Hochelfen herrschen. Cyren war ein Calamon, Sproß einer der höchsten Familien, während ich nur die Magd seiner Cousine war.«

»Verstehe«, sagte Sturm. Er war sich nicht sicher, ob er wirklich verstand.

»Hindernisse von Anfang an. So daß die Sache nie einen geraden Verlauf nehmen konnte«, erklärte Mara.

Sie machte eine Pause, als würde sie sich erinnern. Sturm hörte, wie die Vögel hinter ihm aus den Lärchen aufflogen, weil sie etwas aufgeschreckt hatte – ohne Zweifel besagter Sproß.

»Wir sind uns«, fuhr Mara fort, »beim großen Friedensfest zum ersten Mal begegnet, bei dem Fest, das an die Unterzeichnung der Schwertscheidenrolle erinnert. Es findet jedes Jahr statt, und jedes Jahr ist es wie etwas ganz Neues. Der Wald füllt sich mit unvorstellbar vielen Lichtern, und zwischen den Bäumen leuchten Fackeln, die in Qualinost und Ergod entzündet wurden.«

Mara seufzte. »Es ist ein grandioser Abend. Wie du dir vorstellen kannst, werden die Frauen aus dem Königshaus, alle von der Tochter bis zur Dienerin, vor den Blicken der Männer bewahrt, weil… nun, weil es einen unglücklich machen kann.«

Sie wurde rot und zog gedankenlos an Luins Zügeln. Die Stute wieherte und senkte widerspenstig den Kopf.

»Es war ein unvergleichliches Fest damals«, sagte Mara träumerisch. »Ich erinnere mich an seine Augen – an Cyrens natürlich. Er stieg aus dem Kanu, stand etwas unsicher am flachen Ufer des Thon-Thalas und schloß sich fast augenblicklich dem Traumtanz an, dem fünften und schönsten Tanz des Festabends. An seinem Tanzen konnte man erkennen, daß er ein adliger Qualinesti war, aber als die Cellos erklangen, sah ich ihm lange in die Augen. Braun waren sie und so tief wie der Wald, und sein Blick so klar, daß man meinen konnte, er würde nie die Augen schließen, würde nicht einmal blinzeln, wenn er in die Mittagssonne starrte. Obwohl ich die Augen seither nur dreimal gesehen habe, erinnere ich mich so genau an sie wie an die Lichter im Wald oder die schrägstehenden Sterne der Mishakal – die Sterne, die ich monatelang beobachtet habe, während ich auf die eine Nacht in fünf Jahren gewartet habe…«

Sturm sackte in sich zusammen. Bei Maras Erzählung schien der Weg in den Finsterwald länger und länger zu werden.

»Aber genug davon«, beschloß Mara. »Du hast gefragt, wie es zu dem gekommen ist, was gestern abend stattfinden sollte.«

Sturm verlagerte wieder das Gewicht des Bündels. Spinneneier? Felsbrocken? Häuser? Was war in diese Decken und Blätter und Spinnweben eingeschnürt?

»Lord Cyren mochte mich auf Anhieb«, sagte Mara. »Im wechselnden Licht machte er mir zum Lied der Harfe und des tiefen Cellos mit Blicken den Hof. Aber ich war ein Dienstmädchen, meine Familie Kriegsbeute. Und obwohl Cyren gut aussah, verdrängte ich jeden Gedanken an eine Verbindung zwischen uns, denn das war einfach unvorstellbar. Und zudem war er ein merkwürdiger Exot – fast ohne Geschichte, denn er kam von den äußersten Grenzen des Waldes, und keiner seiner vielen Cousins hatte ihn je gesehen, nur wenige hatten überhaupt von ihm gehört.«

Schweigend wanderten sie weiter. Nach einer Weile erzählte sie weiter.

»In den nächsten Tagen schickte er mir Botschaften – auf kleinen Blätterbooten, wie Kinder sie als Spielzeug machen. Er ließ seine Botschaften auf dem langsam fließenden Thon-Thalas flußabwärts treiben, wenn ich hüfttief im Wasser stand, um die Kleider meiner Herrin zu waschen. Seine Worte waren neckisch und frech und verführerisch – er wollte mich zu sich locken.

Cyren schrieb, es gäbe eine Brücke am äußersten Westrand des Waldes. Wenn ich einverstanden wäre, mit ihm fortzugehen, sollte ich ihn im Mondlicht an der Brücke treffen. Wir würden gemeinsam über die Staubebenen davonreiten – in ein Land, wo kein Unterschied zwischen Kagonesti und Silvanesti gemacht wird, in dem die Leute Hochelfen nicht von Wildelfen unterscheiden können.«

»Solche Länder gibt es«, gab Sturm zu. »Ich glaube, Solamnia gehört durchaus dazu.«

»Selbst die Ritter können Elfen von Spinnen unterscheiden«, erwiderte Mara bitter. »Aber das kommt später.

Vorläufig sei gesagt, daß Cyren Calamon vom Königshaus jeden Tag seine grüne Flotte den Thon-Thalas hinuntersegeln ließ, doch jede Nacht kehrte ich in den Turm meiner Herrin zurück, ohne auf seine Briefe zu antworten. Es gehört sich nicht für ein Mädchen, so… unüberlegt zu handeln. Er drängte und drängte, bis ich wußte, daß er es längst gelassen hätte, wenn seine Absichten unehrenhaft gewesen wären. Da willigte ich ein, mich mit ihm zu treffen – nicht an der Brücke, wo der Wald endete und die wilden, freien Länder jenseits unserer Grenzen winkten, sondern an einem sichereren Platz, an der Fähre westlich von Silvanost. Das war ein Ort, der außer Sichtweite der Marmorbauten lag, in denen König Lorac und seine Tochter im Sternenturm leben, und doch war es ein weniger… riskanter und versteckter Platz als alles, was mein neuer Freund mir vorgeschlagen hatte.

Unsere Freude machte uns dumm. Obwohl unsere Begegnungen vorsichtig und sogar anständig verliefen, hat uns jemand gesehen, und vielleicht«, fügte sie zweideutig hinzu, »war dieser Jemand eifersüchtig. Und jemand hat die Geschichte von unseren Stelldicheins im Königshaus verbreitet. Ich bekam andere Arbeit, und meine Herrin zog in hochliegende Gemächer im Sternenturm um. Für sie war es eine Ehre – diese hohlköpfige, kleine Gans glaubte, ihre Wichtigkeit würde mit der Höhe steigen. Ihr wurde nie so recht bewußt, daß ihre neue Stellung am Hof irgend etwas mit ihrer Dienerin zu tun haben könnte. Aber für mich war es eine Qual.

So litten wir beide monatelang einsam vor uns hin. Beide sehnten wir uns nach einer mitternächtlichen Flucht an einen Ort, wo Herkunft und Abstammung nichts mehr zählen.«

»So einen Ort gibt es nicht!« rief Sturm aus, wurde aber sofort still, weil er sich über seine heftige Reaktion wunderte. Mara schien nichts zu bemerken, denn sie war in Gedanken bei ihrer Geschichte.

»Hier wird die Geschichte noch düsterer, Solamnier. Denn Cyren durfte den Turm nicht betreten, und die hohen Fenster waren außerhalb seiner Reichweite, solang er nicht die Flügel eines Vogels hatte oder klettern konnte…«

»Wie eine Spinne?« fragte Sturm.

»Ja, wie eine Spinne«, nickte Mara. »Du verstehst den Plan, oder? Tja, sieh es als das, was es war – ein törichtes Risiko. Wie seit Tausenden von Jahren führte die Liebe das unkluge Herz zum Zauberer. Cyren ging zu Meister Calotte, in den dunkelsten Teil des Waldes, wo grau und fensterlos der Turm von Waylorn liegt, dessen Schatten sich mit den Schatten der Weiden und Espen mischt, bis alles Licht, ob Sonne oder Mond, von Blatt und Zweig und Knospe abgeschirmt wird. Es heißt, die Schmetterlinge dort wären schwarz und die Eichhörnchen blind, weil es so dunkel ist, daß sie sich nur nach Geruch und Gehör orientieren, so daß ihre Augen seit Generationen nicht mehr gebraucht werden.«