»Immer mache ich alles falsch, wenn ich mich einmische«, murmelte er. »Es war… es war doch ein verständlicher Fehler!«
Er sah zu Mara zurück, die ihn nicht zu hören schien.
»Zu Fuß über steinige Ebenen«, flüsterte der Junge durch zusammengebissene Zähne, »mit einer Last von zwei Tonnen und einer jammernden Begleiterin, mein Pferd lahm und irgendwo hinter uns eine riesige Giftspinne. Das ist keine Aufgabe für Helden, finde ich, aber wenigstens kann es nicht mehr schlimmer werden.«
Bevor einer von ihnen es bemerkte, zogen Wolken auf, als wenn ein Gott die Luft mit einer schnellen Handbewegung aufgerührt hätte. Plötzlich war das Land schwer und gespannt, und der Wind hatte einen leicht metallischen Geruch. Dann traf der erste Tropfen das Bündel auf Sturms Rücken, der nächste seine Nase. Luin wieherte erwartungsvoll, worauf sich vom Turm des Oberklerikers bis hin zum Vingaard die Schleusen des Himmels auftaten. Der Fluß toste wild in dem heftigen Regenguß.
10
Wetterumschwung
Im Südlichen Finsterwald rührte Vertumnus, der über dem klaren, grünen Teich in der Mitte der Lichtung kniete, spielerisch das Wasser um. Seine Finger strichen über die Wasseroberfläche und ließen Tröpfchen auf das Bild von Sturm und Mara regnen, die meilenweit entfernt in einem Regensturm gefangen waren. Evanthe und Diona schauten entzückt zu, wie das Bild waberte, sich auflöste und sich neu formte.
»Laß sie ertrinken!« zischte Evanthe böse. Ihre blassen Hände strichen dem grünen Mann eine Locke aus der Stirn.
»Weich sie richtig auf!« drängte Diona.
»Nur ein Regen«, lachte Vertumnus, der wieder im Wasser rührte. »Das Gras muß gegossen werden.«
»Nur ein Regen?« flüsterte Evanthe. »Nur ein Regen, wo du solche Wunder vollbringen könntest…«
»Daß der Wind ewig davon künden würde«, schmeichelte Diona, die den Satz ihrer Schwester zu Ende brachte. »Was du alles tun könntest, Herr der Wildnis, wenn du den Sinn und die Vorstellungskraft und… und den Mumm dazu hättest!«
Vertumnus beachtete die Dryaden nicht, sondern hockte da und blies auf das Wasser.
Im nebligen Spiegelbild des Teiches sah man wie von fern, wie durch eine Kristallkugel oder eine Kugel der Drachen, den jungen Mann und das Elfenmädchen, die sich als graue Gestalten im peitschenden Regen zusammendrängten. Plötzlich hob sich aus dem dunklen Bündel ein Arm, der zu einem Hügel zeigte, welcher Schutz bot. Sie hasteten darauf zu, so daß ihre Umrisse im Vorhang des Regens verschwammen. Hinter ihnen huschte zahm eine triefnasse Spinne, die mit sich selbst piepste.
»Regen fällt auf die Gerechten«, murmelte Vertumnus, der mit der Hand über den Teich strich, »und die Ungerechten.«
Der Nebel über der Wasseroberfläche teilte sich und zeigte ein Lager im Wald – ein zerrissenes Netz zwischen zwei Lärchen und eine erst kürzlich verlassene, strohgedeckte Hütte. Das Wasser im Teich beruhigte sich, und am Rand des Bildes tanzte ein abgeschirmtes Licht von einem gespiegelten Baum zum nächsten – eine Laterne in der Hand einer dunklen Gestalt mit Mantel.
»Ah«, seufzte der Herr der Wildnis und beugte sich vor, bis sein Gesicht fast die Wasseroberfläche berührte. Leise pfiff er etwas aus der magischen zehnten Weise, die alte Barden verwenden, um durch Steine oder um in die Ferne oder manchmal in die Zukunft zu blicken.
Das Bild zitterte, und der dunkle Mann im Wald hob die Laterne, so daß sein undurchschaubares Gesicht erkennbar wurde.
»Bonifaz!« rief Vertumnus aus. »Natürlich!«
Still und gründlich untersuchte der beste Schwertkämpfer von Solamnia Lichtung und Lager. Er trat in die Hütte und tauchte fast augenblicklich wieder auf, um sich stirnrunzelnd umzusehen. Während er seinen langen, dunklen Schnurrbart streichelte, stand er scheinbar gedankenverloren unter den zerschnittenen Spinnweben. Schließlich drehte er sich um und verschwand von der Lichtung, als hätte er die ganze Zeit gewußt, wohin seine Suche ihn führen würde. Die blauen Ewigkeitsbäume schlossen sich hinter ihm wie die Wasseroberfläche über einem Taucher.
»Wer ist das?« hauchte Evanthe.
»Ja«, echote Diona. »Wer ist das? Und warum verfolgt er sie?«
»Nur ein Schatten im Schnee«, erwiderte Vertumnus. »Aber wo ist die Herrin? Denn ihr Weg wird den seinen kreuzen.«
Die Dryaden sahen einander enttäuscht an.
»Diese alte Hexe?« fragte Diona verächtlich. »Was willst du von der, wenn du jemanden wie uns hier hast?«
»Diese alte Eule«, sagte Evanthe. »Die stinkt nach schwarzer Erde und Tod. Nicht einmal frische Kräuter können diesen Geruch überdecken.«
»Wo ist sie?« wiederholte Vertumnus.
Und während er ihre Ankunft erwartete, starrte er auf die ruhiger werdende Oberfläche des Teiches und hob die Flöte an die Lippen.»Das wird eine Art Unterstand«, prustete Sturm, während er seinen Umhang über die langen Äste einer Eiche und eines Wasserahorns breitete. Es war so ähnlich wie ein Zelt, aber das Tuch war von dem Platzregen bereits triefend naß.
»Eine Art, ja«, sagte Mara. »Aber keine gute. Der Stein hier ist Kalkstein. Bestimmt gibt es irgendwo eine Höhle.«
»Dann such von mir aus nach einer Höhle«, meinte Sturm kurz angebunden. Der lange Marsch und der Regen hatten seine Geduld erschöpft. Schweigend knotete er die letzte Ecke seines Umhangs an einen Ahornzweig und trat zurück, um sein Werk zu bewundern.
Von Cyrens gewölbtem, schwarzen Bauch perlte das Wasser herunter, als er eifrig unter den zusammengeschusterten Regenschutz krabbelte. Er duckte sich, wurde von einem Dickicht seiner eigenen Beine verdeckt und knurrte zufrieden, während Mara, die draußen im Regen stand, sich ungeduldig zu ihrem solamnischen Begleiter umdrehte.
»Du bist kein Waldläufer, oder?« fragte sie, als der Umhang sich mit Wasser füllte und die Zweige sich immer tiefer beugten.
Sturm sah betreten zu, wie sein Zelt zusammenbrach und ein keckernder, fiepender Cyren in den Regen hinaus und halb die nächste Eiche hoch raste. In diesem Augenblick setzte die Musik erneut ein, drang durch den Regen und erhob sich laut über Cyrens Gezeter und die wiederholten Donnerschläge. Mara sah Sturm erstaunt an.
Der wiederum sah sie an, wobei er seine eigene Überraschung verbarg.
»Wir folgen der Musik«, sagte er. »Und wenn wir hier eine Höhle finden sollen… nun, dann finden wir sie.«
Die Elfe öffnete den Mund zum Widerspruch, doch ihr merkwürdiger Begleiter mit seinem ernsten Gehabe und der schlecht sitzenden Rüstung hatte sich umgedreht und war in den strömenden Regen aufgebrochen.
Mara konnte Sturms glückliches Lächeln nicht sehen. Diese Zaubermusik konnte ihn verführen und ablenken, ihn in die Irre führen oder irgendwo in einem Sumpf versinken lassen. Aber dieses eine Mal hatte Vertumnus ihm zwei Gefallen getan: Die Musik führte ihn wenigstens irgendwo hin. Und sie hatte das ewige Mäkeln der Elfe für einen Moment unterbrochen. Die Höhle war weniger als eine Meile von den Bäumen entfernt. Cyren sah sie zuerst. Mit aufgeregtem Gebrabbel lenkte er seine Gefährten zu dem kleinen, von Brombeeren verdeckten Höhleneingang. Aber seine Begeisterung ließ nach, als Sturm darauf bestand, daß Cyren in die Dunkelheit vorauskriechen sollte. Die Idee dahinter war natürlich, daß eine Riesenspinne eine eindrucksvollere Vorhut abgab als ein junger Mann oder ein Elfenmädchen, doch Cyren bewegte sich vorsichtig, streckte erst ein Bein vor, dann noch eins, dann ein drittes, als würde er über heiße Kohlen laufen. Er klickte nervös, erschrak über sein eigenes Echo und steckte den Kopf in die Höhle, um ihn gleich wieder herauszuziehen. Er starrte Sturm so klagend an, daß man geradezu Mitleid mit ihm hätte haben können, wäre er nicht so häßlich gewesen.
Sturm winkte die Spinne einmal, zweimal, ein drittes Mal zurück in die Höhle, jedesmal etwas ungeduldiger. Als Cyren schließlich wieder zurückzuckte, zog der Junge sein Schwert und winkte ruhig, aber entschieden noch einmal.