Nur so konnte Sturm sich den seltsamen Bericht aus dem Turm des Oberklerikers erklären. Jack war anscheinend mit seiner Schubkarre hinter dem Ritter und seinem Knappen hergelaufen, und was der Gärtner gehört hatte, war eine ganze Litanei von Fallen und Hindernissen für Sturm, von den Flügeln des Habbakuk bis hin zu den Grenzen des Finsterwalds.
»Fürst Bonifaz hat Fallen aller Art gestellt«, sagte Jack mit wachem, beunruhigend durchdringendem Blick. »Vom Hinterhalt über die Fallgrube bis zu etwas an der Furt, was ich aber nicht hören konnte.«
»Vielleicht hast du noch mehr überhört, Jack«, warf Sturm ein. Es schien unmöglich: Fürst Bonifaz, der Freund seines Vaters, verschwor sich mit Derek, um ihn auf seinem Weg zum Südlichen Finsterwald zu erledigen. Warum sollte er zu solchem Verrat herabsinken?
Und wenn er Verrat plante, warum an einem Jungen, der noch nicht einmal Knappe war?
Sturm beugte sich zum Feuer vor. Das war alles zu verdächtig. Dieser Bote hatte etwas an sich, das über Grünzeug und Dienst hinausging, auch wenn er nicht recht feststellen konnte, was es war. Und Jack war kaum der Einfaltspinsel, den er im Turm mimte.
Irgend etwas daran war faul, fürchtete er. Aber dennoch…
»Es war vielleicht weit weg«, fuhr Jack fort, den Sturms Zweifel überhaupt nicht störten. »So weit, daß es nicht einmal ein Fuchs gehört hätte – das gebe ich gern zu.«
Er sah Sturm an und kniff die schwarzen Augen zusammen. Und als dort am Feuer der regnerische Nachmittag in einen regnerischen Abend überging, wirkte der Gärtner wie eine grobe Schnitzerei, die ein altes Waldvolk in Eiche oder Erle getrieben hat.
»Die Entfernung gebe ich zu«, murmelte Jack Derry geheimnisvoll. »Aber was ist mit Eurem Aufenthalt im Kastell? Und das Eisen der armen Luin – wer hat wohl die Nägel gelockert? Und wer hat Euch schließlich das schlechte Schwert gegeben? Denn hier sieht man deutlich, wo der Bruch schon vor unserem Kampf ansetzte…« Er zeigte auf eine schmale, absolut gerade Kerbe rund um den geborstenen Rand der zerbrochenen Klinge.
»Alles Zufall«, erwiderte Sturm mit einem Hauch von Unsicherheit in der Stimme.
»›Zufall‹ ist Altsolamnisch für ›Weiß ich nicht‹«, sagte Jack augenzwinkernd zu Mara. »Na, na, Meister Sturm«, fügte er hastig hinzu. »Duell und Handgreiflichkeiten sind gar nicht nötig, denn Ihr könnt mir glauben oder nicht; mir ist das egal.«
»Aber dennoch bist du uns tagelang gefolgt«, sagte Sturm, der den unerwarteten Besucher ärgerlich über das Feuer hinweg anstarrte.
»Euch gefolgt? Nicht daß ich wüßte!« entgegnete Jack fröhlich. »Ich muß nur in dieselbe Ecke der Welt, um meine Mutter zu besuchen. Aber da trennen sich unsere Wege, wenn Ihr mich fragt. Oder jetzt gleich, wenn Euch das lieber ist.«
»Du willst also behaupten, daß du nicht den ganzen Weg gegangen bist, um mich zu warnen?« fragte Sturm. »Daß unsere Begegnung hier auf der Ebene mitten in einem Platzregen nur…«
»Zufall ist?« fragte Jack mit neugierigem Gesicht, und er und Mara platzten lachend heraus.
Sturm wurde rot vor Wut.
»So sei es also, Jack Derry«, erklärte er mit bester solamnischer Haltung. »Wenn es stimmt, was du von Bonifaz und allem anderen gesagt hast, dann haben wir keine Wahl. Wir müssen uns hier verkriechen und auf ihn warten. Wenn er vorhat, mich zu erledigen, aus welchem Grund auch immer, dann muß er mich erst einmal finden.«
Der Gärtner lächelte bloß. »Das geht nicht, Meister Sturm, falls das Gerede wahr ist, das ich im Turm gehört habe. Angeblich habt Ihr eine Verabredung – ungefähr am ersten Frühlingstag. Ihr habt vielleicht bemerkt, daß sich gestern abend die Monde, der große Solin und Luin, am Himmel getroffen haben.«
Sturm wagte keinen Blick zu Mara.
»Falls Ihr Euch mit Astronomie befassen würdet«, fuhr Jack fort, »würdet Ihr wissen, daß dies sehr selten vorkommt, nur ungefähr alle fünf Jahre, und dieses Jahr genau eine Woche vor Frühlingsanfang.«
Eine Woche! Dank sei Paladin und allen Göttern des Guten, daß mir noch eine Woche bleibt! Sturm stand auf und wandte sich vom Feuer ab.
»Bonifaz kommt vielleicht erst in einem Monat. Oder in einem Jahr«, fuhr Jack Derry fort. »Könnte ihm gefallen, einfach abzuwarten, bis Ihr Euer… Treffen mit dem grünen Mann versäumt habt.«
»Du bist kein Gärtner, nicht wahr?« Sturms Hand ging langsam zu dem zerbrochenen Schwert. Du bist eine Falle, Jack Derry. Du bist das Werk des Herrn der Wildnis… oder eine Erscheinung… oder… oder…
»Wie könnt Ihr so etwas sagen, Sturm Feuerklinge? Habt Ihr nicht gesehen, wie gut ich die Gärten des Turms gepflegt habe?«
Ein dumpfer Schmerz zog durch Sturms Schulter – nicht so scharf wie bei seiner Verwundung, wie in Kastell di Caela oder im Wäldchen in der Ebene. Nur ein starker, tödlicher Schmerz, der bis in die Fingerspitzen reichte.
Er konnte das Schwert nicht nehmen.
»Nein… nein, Meister Sturm«, fuhr Jack fort. »Ich bin von Grund auf Gärtner und nichts anderes, und Eure verwickelten solamnischen Intrigen sind mir ziemlich gleichgültig.« Seine Augen glitten zum Handschutz von Sturms Schwert und dann entwaffnend direkt zum Gesicht des Jungen zurück.
»Auch wenn Ihr ein guter Mann seid und angeblich von stolzer Herkunft, bin ich nicht so weit gereist, nur um Euch zu warnen oder mich in Eurer erlauchten Gegenwart zu aalen. Ich will an den Rand desselben Südlichen Finsterwalds, in ein kleines Dorf namens Dun Ringberg, wo mich meine alte Mutter mit der Aufregung einer alten Mutter erwartet, denn sie sehnt sich nach ihrem lange verlorenen Sohn, der nach Norden gezogen ist, um am Hof der Ritter etwas aus sich zu machen.«
»Dun Ringberg?« fragte Sturm.
»Noch zwei Tagesritte von hier«, sagte Jack. »Zu Fuß noch vier oder fünf Tagesmärsche durch die Ebene und an Flüssen entlang, die an Trot angrenzen, wo die Goblins hausen. Und in Lemisch, wo das Dorf ist, ist man den Rittern auch nicht sehr freundlich gesonnen.«
Jack stand vom Feuer auf und ging zu seiner gedrungenen, kleinen Stute. Sanft streichelte er ihr die Nüstern und raunte ihr etwas zu, das durch den prasselnden Regen draußen und das Knacken des Feuers drinnen nicht zu verstehen war. Die Stute hob den Kopf, schnaubte und ging zum Höhleneingang.
»Ich schätze, dann sollte ich jetzt mal aufbrechen«, sagte Jack, während er die Stute nach draußen in den lauten, rauschenden Regen führte. Am Eingang der Höhle blieb er stehen, setzte den Fuß in den Steigbügel und wollte wirklich losreiten.
Mara stieß Sturm mit dem Ellbogen an, woraufhin der Stolz und Ärger überwand.
»Jack Derry?«
Jack stand still und erwartungsvoll am Höhleneingang.
»Jack… kennst du einen Schmied in… Dun Ringberg?«
»Allerdings, Meister Sturm«, sagte der junge Gärtner, der immer noch das Gesicht abgewandt hatte. »Nämlich meinen Vetter Wieland. Und zwar ein guter Schmied.«
»Gut muß er sein«, erwiderte Sturm, dessen Augen sich auf das Herz der Flammen richteten, »denn die alte Luin beschlagen kann jeder Lehrling, aber ein Schwert neu zu schmieden…«
Jack drehte sich um und starrte den jungen Mann am Feuer hart und abschätzig an.
»Wieland Derry kann Euch jedes beliebige Schwert schmieden, Meister Sturm Feuerklinge«, sagte der Gärtner ruhig. »Und Euer Empfang in Dun Ringberg wird so sein, wie es einem vom Orden gebührt.« Bonifaz zog den Mantel fester um sich, während er das flackernde Licht in der fernen Höhle beobachtete.
Es waren zu viele bei dem Jungen. Erst das Elfenmädchen mit seiner Spinne – zumindest mal unberechenbar und deshalb gefährlich. Dann der einfältige Gärtner, falls er einfältig oder überhaupt ein Gärtner war, der aus wer weiß was für Gründen in dieser Gegend unterwegs war. Sturm Feuerklinge hier aufzulauern würde zu viele unschuldige Leben in die Sache verwickeln. Zu viele Klingen. Zuviel Gefahr, daß wenigstens einer entkommen und es anderen berichten konnte.