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So weit Sturm sehen konnte, nicht eine Laterne oder Lampe, kein Holzrauch in der Luft, kein Geräusch von Herden oder Wachhunden. Es war ein menschenleeres Land ohne jeden Orientierungspunkt.

Sturm stieg vom Pferd. Vor ihm erstreckte sich das hügelige Land, doch die Wolken verdeckten die Sterne so gründlich, daß er nicht einmal Norden von Westen unterscheiden, geschweige denn sich vom Himmel leiten lassen konnte.

»Soviel zu Lemisch«, sagte er niedergeschlagen. »Alles eine einzige Weide.«

Mara blieb im Sattel und suchte blinzelnd mit ihren scharfen Elfenaugen die Umgebung ab.

»Dun Ringberg ist irgendwo in der Nähe«, sagte sie. »Da bin ich ganz sicher.«

Hinter ihnen bewegte sich das Gras, und Cyren krabbelte ins Freie. Er zog einen einzelnen, weißen Faden hinter sich her.

»Ich dachte mir schon, daß du schon mal in dieser Gegend gewesen bist«, sagte Sturm, der das Mädchen ansah.

»Allerdings«, meinte Mara ruhig. »Ich bin Jack Derry schon einmal begegnet – nicht weit von hier.«

»Was? Wie hast du ihn kennengelernt? Und wer ist Jack Derry wirklich?« fragte Sturm, der vor lauter Neugier alle solamnische Höflichkeit vergaß. Denn schließlich konnte die Elfe ihm vielleicht etwas sagen, was sie in das Dorf und zu Wieland, dem Schmied, und vielleicht in Sicherheit bringen würde.

»Ich wette, er wartet in Dun Ringberg schon auf uns. Um das Dorf zu finden, müssen wir zuallererst Osten und Westen unterscheiden können. Das wird uns der Sonnenaufgang früh genug verraten.«

Zwischen den Pelzen sahen ihn ihre dunklen Augen durchdringend und fragend an.

»Du weißt genau, daß es nicht so ist«, murrte Sturm. »Jedenfalls nicht früh genug. Das Land wimmelt von Banditen, und wir sollten lieber nicht mittendrin lagern.«

»Dann richten wir uns nach den Sternen«, erklärte Mara und hob wieder die Flöte an die Lippen.

»Nach den Sternen?« fragte Sturm skeptisch. »Schaut Euch mal die Wolken an, Madame…«

Aber die Elfe hatte die Augen geschlossen, und eine unheimliche Musik erklang aus ihrem Instrument. Es war ein Choral aus Qualinesti, der Gilean dem Buch gewidmet war. Knappe Staccatotöne erfüllten die feuchte Luft um sie her, und Sturm sah sich vorsichtig um, denn er war sicher, daß die Musik sie den Räubern verraten würde.

Mara spielte, bis silbernes Licht auf ihrem Haar glänzte. Einen Augenblick lang dachte Sturm, sie würde aus sich heraus strahlen, doch dann merkte er, wie sich dasselbe Licht allmählich über seine Arme und Schultern, über Eichels Hals und die braunen Flanken von Luin hinten ausbreitete. Der weiße Solinari war durch die dichte Wolkenmasse gebrochen, so daß der Weg vor und hinter ihnen so hell war wie im Mittagslicht.

»Wie ich befürchtet habe«, sagte Mara, als das Lied vorbei war und die Wolken sich wieder zuzogen. »Wir sind ein bißchen nach Süden abgekommen. Wenn wir so weiterziehen, kommen wir wieder zum Fluß.«

»Wie… wie hast du das gemacht?« fragte Sturm, der Eichel nachdrücklich von dem Weg weglenkte, dem die störrische kleine Stute unbedingt folgen wollte.

»Gileans Weise«, sagte Mara gelassen, »mit dem Hohelied des Paladin in den Pausen. Wenn man sie kombiniert, entsteht ein Lied der… Enthüllung. Vertreibt Wolken und Nacht und macht das Wasser so still, daß man bis auf den Boden eines Teiches oder Flusses blicken kann. In den Händen der großen Barden entlarvt es Heuchelei.«

Sie lächelte Sturm zu, der angesichts ihrer tiefen braunen Augen den Atem anhielt.

»Aber ich bin kein großer Barde«, schloß die Elfe leise. »Bei meiner Musik haben wir Glück, wenn das Wetter mal kurz umspringt.«

Sturm wurde rot und riß wieder an Eichels Zügeln.

»Nun, die Wolken haben sich lange genug geöffnet«, sagte Mara, die genau nach Osten zeigte. »Dort liegt unser Ziel. In dieser Richtung liegt der Finsterwald.«

»Aber wo am Waldrand finden wir Dun Ringberg?« fragte Sturm. »Das verraten uns die Sterne nicht. Wenn wir bloß Jack Derry hier hätten!«

»Ja, aber Jack ist verloren oder flußaufwärts oder… anderswo«, sagte Mara. »So daß wir zwar leben, aber nicht schlauer sind.«

»Er hat mir zugetraut, den Weg zu finden«, murmelte Sturm untröstlich. »Er hat darauf gebaut, daß ich der Sohn meines Vaters bin, daß ich mehr vermag, als ich selbst glaube.«

»Guter Junge«, meinte Mara mit schiefem Lächeln, »im Namen der Sieben, wie kommst du denn darauf?«

»Er hat gesagt«, erklärte Sturm, »die Eichel fällt nicht weit vom Stamm. Was soll er damit schon meinen als Väter und Söhne?«

»Vielleicht etwas, was mehr mit… Bäumen zu tun hat?« fragte Mara. »Oder einfach ein Rätsel, daß du nicht verstanden hast, weil du nur an Väter denkst? Schließlich konnte Jack dir nicht den Weg nach Dun Ringberg beschreiben. Die Räuber hatten schließlich Ohren und hätten uns wie Spürhunde verfolgt.«

Sturm nickte. Das klang einleuchtend. Jack war schließlich ein Mann voller Rätsel und Heimlichtuerei. Sturm saß auf seiner zunehmend widerspenstigen Stute und sann darüber nach, was er alles über Bäume gehört hatte, über Gärtner, über den mythischen alten Kalender der Dryaden, der angeblich einer Baumsymbolik folgt. Es half alles nichts. Er kam sich vor, als wäre er wieder im Labyrinth von Kastell di Caela oder im dichtesten Nebel des grünen Mannes.

Die Stute bockte wieder, worauf er wütend die Zügel anzog. »Bei den Göttern, Eichel!« fauchte er. »Wenn du nicht – «

Maras Gelächter ließ ihn stocken.

»Was soll das?« rief er, doch die Elfe lachte nur noch lauter.

»Laß die Zügel los, Sturm Feuerklinge«, sagte sie, als sie wieder Luft holen konnte.

»Wie bitte?«

»Denk doch nach, Sturm. Wer von uns kennt den Weg zum Dorf Dun Ringberg?«

Langsam und widerstrebend öffnete Sturm seine Hand. Die Zügel fielen schlaff über Eichels Hals, und als sie die plötzliche Freiheit spürte, drehte sich die kleine Stute um und schritt zielstrebig nach Osten, dann nach Süden, dann wieder nach Osten. Mara begann zu singen, ein altes Lied aus Qualinost mit den ebenso alten Worten.

»Die Sonne, Das herrliche Auge In unser aller Himmel, Verläßt den Tag Und läßt Den verträumten Himmel Mit Feuerfliegen übersät Die das Dunkel vertiefen Die Blätter Verbreiten kaltes Feuer, Verglühen zu Asche Am Ende des Jahres. Und Vögel Bewegen sich im Wind Und fliegen gen Norden Wenn der Herbst endet. Der Tag wird dunkel, Die Jahreszeit kühl, Aber wir Erwarten der Sonne Grünes Feuer über Den Bäumen.«

Vor ihnen sprossen grüne Fußstapfen aus dem trockenen Bodenbewuchs. Eichel beugte sich hinunter und fraß leise einen davon. Luin folgte ihnen. Sie knabberte ebenfalls an den Fußstapfen und fraß so den Weg hinter ihnen auf. Sie hörten, wie die Spinne Cyren ihnen folgte.

Sie hatten noch keine zwanzig Schritt zurückgelegt, als auch vor ihnen Musik erklang. Eine wunderbar fließende Melodie gesellte sich zu Maras Gesang, und als Sturm die Augen schloß, sah er vor seinem inneren Blick flüssiges Silber wie einen Zauberfluß vorbeiströmen.

Also hatte Vertumnus wieder in die Musik eingestimmt. Sturm setzte sich im Sattel zurecht und überließ sich Eichels Orientierungssinn und der Musik um sich her. Obwohl das Lied des grünen Mannes unausweichlich zu… Herausforderungen führte, führte es auch zum Südlichen Finsterwald. Und trotz der Risiken und Gefahren war das das Ziel seiner Reise.

Sie zogen weiter, und obwohl die Nacht undurchdringlich war, war Sturm jetzt viel leichter ums Herz zumute. Jack Derrys Rätsel war nichts gewesen im Vergleich zu den Mysterien, die vor ihm lagen. Aber daß er das eine gelöst hatte, gab ihm Hoffnung, auch die anderen zu lösen. Der Weg vor ihm sah jetzt weniger einschüchternd aus, und als die schwachen Lichter von Dun Ringberg vor ihnen schimmerten, stellte sich Sturm die Schmiede, das neugeschmiedete Schwert und einen geschlagenen Vertumnus vor, der, das Gesicht nach unten, am ersten Tag des Frühlings auf dem Boden lag.