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»Wenn du aus dem Ring trittst, hast du dein Schwert verwirkt«, neckte Angriff. »Band Soundso, Seite X, Absatz Y und so weiter.«

Bonifaz fuhr herum und bezähmte seinen Zorn. Neben Angriff kam er sich klein und dumm vor wie ein Junge, der mit der Rute bestraft wird. Kalt trat er mit erhobenem Schwert nach vorn.

»Verfahrensfrage«, sagte er mit drängendem, flehenden Ton. »Steht es im Einklang mit dem Maßstab, wenn der Kampf weitergeht?«

Völlig befremdet wandte sich Fürst Alfred jetzt an die Gelehrten. Zwei Köpfe, einer kahl, einer grau, wurden den Bruchteil eines Augenblicks zusammengesteckt, bevor sie sich gleichzeitig zum Rat umdrehten.

»Wir entscheiden zugunsten von Fürst Angriff«, sagten sie einstimmig.

»Überlegt es Euch, Angriff«, drängte Alfred, aber Bonifaz war sofort losgesprungen, um die mickrige Waffe mit einem einzigen, kraftvollen Schwerthieb durchzuhacken. Angriff wich aus und parierte den gewaltigen Schlag mit einem leichten Streifen seines Olivenzweigs. Da Bonifaz dem Schwung seines Schwertes folgte, ging er in die Knie. Der Helm rutschte ihm über die Augen, und irgendwo aus den hinteren Rängen erklang gedämpftes Gelächter.

Wütend richtete Bonifaz sich auf und schlug wild nach Angriff. Seine Klinge pfiff durch die Abendluft. Angriff duckte sich, kam schnell wieder hoch und schnippte seinem Gegner den Zweig ins Gesicht. Bonifaz stürmte wutschnaubend vor, ohne rechte Balance, und seine Klinge sauste an dem ausweichenden Fürst Feuerklinge vorbei. Lachend ließ Angriff den Zweig blitzschnell auf das bloße Handgelenk seines alten Freundes herunterzischen. Der Zweig brach knackend entzwei, doch Bonifaz schrie auf und ließ das Schwert fallen. Angriff bückte sich rasch nach der Klinge und drückte Bonifaz im Handumdrehen die stumpfe Spitze an den Hals.

»Ich glaube, ich habe gewonnen, Bonano«, erklärte er. »Selbst nach dem Maßstab.«Darum mußte Bonifaz Angriff umbringen. Erst nach zwölf Jahren war seine Chance gekommen, als Schloß Feuerklinge belagert wurde und das Schicksal der Garnison vom Eintreffen Agion Pfadwächters mit der Verstärkung aus Kastell di Caela abhing.

Es war Bonifaz, der den Räubern verraten hatte, welchen Weg Sir Agion nehmen würde, wie stark seine Truppen wären und an welchem Ort man die Ritter am leichtesten angreifen und vernichten konnte. Seine Worte hatten Angriff Feuerklinge jeder Hoffnung beraubt, und Bonifaz glaubte, Angriff würde sich ins Schloß zurückziehen und die Bauern bis zum letzten Mann bekämpfen.

Es war einfach gewesen, die Spuren zu verwischen. Sie hatten Schloß Feuerklinge mitten in der Nacht verlassen und waren am anderen Morgen vor Sonnenaufgang zurück. Bonifaz hatte nur einen einzigen Ritter mitgenommen, einen käsebleichen Novizen aus Lemisch, an dessen Namen er sich nicht einmal mehr erinnerte. Dazu kam noch eine Eskorte von drei oder vier Fußsoldaten. Die Soldaten waren entbehrlich: Er lieferte sie den Räubern aus, und ihre Leichen gingen in dem Blutbad unter, als die Banditen Agion auflauerten. Der Ritter war in den nachfolgenden Wochen ein praktischer Sündenbock.

Aber vor allem war Angriff Feuerklinge erledigt.

Zwölf Jahre können den Durst nach Rache bis zu einem Grad steigern, wo man alles dafür aufs Spiel setzt. Bonifaz war bereit, selbst dieser letzte Mann zu sein, der bei der Belagerung fallen würde, wenn er dadurch wenigstens Fürst Angriff Feuerklinge sterben sehen würde.

Doch selbst zum Schluß hatte Angriff sich nicht an den Maßstab gehalten. Wo ein wahrer solamnischer Befehlshaber mit dem Schloß gefallen wäre, hatte Fürst Angriff sein Leben für die Garnison geopfert, sich den Bauern ausgeliefert und sie dadurch alle freigekauft.

Einschließlich Bonifaz.

Selbst jetzt erinnerte er sich noch daran – sechs lange Jahre nachdem Angriff auf die fernen Lichter zu in den Schnee hinausgestapft war. Zwei treue Fußsoldaten waren ihm wie irre Gefolgsleute, wie Hunde, gefolgt.

Achtzehn Jahre nach jenem sonnigen Mittsommertag im Ring erinnerte sich Bonifaz deutlich an seine beiden Niederlagen.

Deshalb mußte der junge Sturm sterben. Denn die Linie von Angriff Feuerklinge mußte ein für allemal aussterben, damit alles Ungebührliche, was von dieser Familie ausging, ausgelöscht war, jeder Trotz gegen Kodex und Maßstab unmöglich war, damit so etwas nie wieder im Orden vorkommen würde.

Darüber dachte Bonifaz nach. Während sein schwarzer Hengst auf dem Weg vom Vingaard zum Turm des Oberklerikers Meile um Meile zurücklegte, legte er sich alles ganz genau zurecht, denn seine Gedanken waren hingerissen von den einsamen Gesetzen seines Herzens.

14

Dun Ringberg

Das Dorf, das sich an den Rand des Südlichen Finsterwalds duckte, bestand nur aus zwei Dutzend Hütten und einem großen Versammlungshaus in der Mitte. Der Flecken schien mehr aus dem Wald herauszuwachsen, als an ihn anzugrenzen. Man konnte kaum ausmachen, wo das Dorf endete und die Wildnis begann.

Für die fortgeschrittene Stunde war Dun Ringberg hell erleuchtet – in jedem Fenster Kerzen, auf den Schwellen und in den Straßen Dorfbewohner mit Fackeln und Laternen. Unter anderen Umständen und in anderer Gesellschaft hätte Sturm das einladend, festlich, vielleicht sogar auf ländliche Weise hübsch gefunden. Aber nicht heute nacht: Das ganze Dorf war auf den Beinen, um die Gefangenen zu sehen, und es war kein freundlicher Empfang.

Sturm wurde ausschließlich mit eisigen Blicken bedacht, während er vor der Miliz hertrottete. Die Kinder waren zu mager. Das war das erste, was ihm auffiel. Erst eins, dann noch eins traten mit ausgestreckter Hand – der uralten Geste der Bettler – vor, aber Erwachsene zogen sie zurück, um kalt und heftig auf lemisch mit ihnen zu schimpfen.

Stirnrunzelnd bemühte sich Sturm, aus dem Gerede Worte in Solamnisch oder in Gemeinsprache aufzufangen, doch er hörte nichts als Lemisch mit seinem Strom von langen Vokalen und Pausen.

Hin und wieder wurde etwas nach ihm geworfen. Erdklumpen, Mist und angefaulte Früchte flogen aus der Menge und schlitterten über den harten Erdweg, aber die Angriffe waren halbherzig, und keines der Geschosse kam in seine Nähe.

Hinter ihm ging schweigend Mara, in der überraschend sanften Obhut eines großen, rauhen Bauern, den Hauptmann Duir Oron genannt hatte. Duir selbst eskortierte Sturm und führte ihn vorsichtig und bestimmt, aber nicht grob.

»Was sagen sie, Hauptmann?« fragte Sturm mehr als einmal, aber Duir antwortete nicht. Seine scharfen Augen musterten die ganze Zeit das Versammlungshaus vor ihnen, wo mitten auf dem Platz ein großes Feuer loderte. Als sie sich dem Feuer näherten, führten zwei von den Wachen Eichel und Luin durch die Menschen zum Dorfstall. Sturm sah ihnen durch die Dunkelheit und das trügerische Licht nach. Wo der Stall lag, würde auch die Schmiede zu finden sein.

»Seht lieber nach vorne«, wies ihn Hauptmann Duir an. »Wonach gafft Ihr überhaupt?«

»Nach der Schmiede«, antwortete Sturm. »Ich muß zu Schmied Wieland.«

»Ganz schön vertrauensvoll«, stellte der Hauptmann fest, »Ihr glaubt wohl, daß Ihr Euch aus der Affäre ziehen könnt.«

»Und Eure Leute sind auch vertrauensvoll«, erwiderte Sturm, »wenn ihre mageren Kinder Obst nach Besuchern werfen. Wo bekommt Ihr im März Äpfel her, Hauptmann Duir?«

Die Hand des Wachmanns schloß sich fester um seinen Arm.

»Das könnt Ihr alles mit ihr persönlich ausmachen, schätze ich«, erwiderte er.

»Das heißt, mit der Druidin?« fragte Sturm.

Aber Hauptmann Duir antwortete nicht. Mit einer Geste, die sowohl höflich als auch spöttisch gemeint sein konnte, schickte er Sturm und Mara auf den Platz zu dem hohen Feuer, wo ein leerer Weidenthron wartete, der von einem Dutzend Wachen umringt war.

Sturm hatte das Leben in einem Dorf wie aus dem Bilderbuch kennengelernt, da er längere Zeit am Rand von Solace gewohnt hatte, das damals noch ein unbekannter Ort war, der knapp zehn Jahre später jedoch berühmt sein würde. Als Jack Derry von Dun Ringberg erzählt hatte, hatte sich Sturm auf einen anheimelnden, kleinen Ort gefreut – mit ordentlichen Block- oder Fachwerkhäusern, frisch gedeckten Strohdächern und instandgehaltenen Zäunen.