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Jemand stieß Sturm zur Seite. »Für Eid und Maßstab!« rief Fürst Bonifaz und stürmte hastig in die Mitte des Saals. Sein Schwert war erhoben, der Schild bereit, die kalten, blauen Augen so hell wie gehärteter Stahl, denn ein Kampf stand bevor. Vertumnus fuhr herum, machte in Richtung des Ritters eine Handbewegung und wandte sich dann dem Jeoffreybruder zu, der gerade heranstürmte. Bonifaz fiel der Länge nach auf den Steinboden, da seine Hose merkwürdigerweise über die Knöchel heruntergerutscht war.

Der Jeoffrey überlegte es sich noch einmal und wurde plötzlich ohnmächtig, woraufhin Vertumnus auf einen anderen Tisch sprang, um dem Griff des zweiten Jeoffrey auszuweichen, der sich unvermittelt wie ein junger Baum am Boden angewachsen fand. Der junge Ritter schrie auf, und dann senkte sich eine beredte Stille über den Saal, in dem ein Dutzend Männer zum Angriff bereit waren, während ihr einziger Gegner auf einem Bein auf dem Tisch herumhüpfte und die Flöte abermals zum Spiel erhob.

Das ist unwürdig, dachte Sturm. In höchstem Maße und absolut unwürdig. Er bemerkte Dereks Blick; dennoch trat Sturm vor, ohne überhaupt zu überlegen, was er da tat, und zog sein Kurzschwert. Bis auf das Schwert des gründlich blamierten Bonifaz war es die einzige blanke Klinge im Saal. Es hatte noch nie Blut vergossen.

Vertumnus wirbelte zu dem Jungen herum und hörte dann auf zu tanzen. Ein trauriger Schatten überzog sein Gesicht, und er nickte. Wie aus widerstrebender Übereinkunft kam er herunter, steckte seine Flöte weg, zog sein eigenes, riesiges Schwert und trat in die Mitte des großen Saals. Die Ritter von Solamnia standen hilflos angewachsen mitten im grünen Dickicht zerbrochener Tische. Sie spähten durch die Blätter und Schatten und sahen, wie die beiden Schwertkämpfer einander umkreisten, der grüne Mann und der grüne Junge.

Sturm wußte augenblicklich und zu spät, daß er unterlegen war. Vertumnus hatte die gedankenlose Anmut eines perfekten Schwertkämpfers, und in seiner Hand wurde die Klinge lebendig. Er redete auf Sturm ein, als sie einander umkreisten, und seine Worte waren so sanft und eindringlich wie der Wind. Er ließ den Jungen nicht aus den Augen.

»Weg damit, Junge«, flüsterte Vertumnus, dessen schwarze Augen flackerten. »Du weißt nicht, an welchen Wald du rührst, wo die Klinge gegen Finsternis und Dornen versagt…«

»Genug der Worte!« stieß Sturm hervor. »Mein Schwert für Feuerklinge und den Orden!« Wenigstens sollte sein Auftritt einen guten Eindruck hinterlassen.

Aber sein Stoß war zögerlich und langsam. Vertumnus wehrte ihn mit Leichtigkeit ab.

»Für Feuerklinge und den Orden?« zischte der wilde Kerl plötzlich hinter dem Jungen, der ins Stolpern geriet, als er herumfuhr. »Für den Pfuscherorden ohne Biß? Für einen Vater… deinen Vater… der mit solamnischer Ehre nichts im Sinn hatte?«

»Nichts im Sinn?« Sturms Hand zuckte, als seine Stimme dünner wurde. Vertumnus zog sich ein Stück zurück und musterte den Haupteingang des Ratssaals, wo es zur Treppe und zur Winternacht hinausging. Sturm glaubte, Dereks gehässiges Lachen zu hören. »Nichts im Sinn? Ww-was soll das…?«

Vertumnus’ dunkler, starrer Blick wandte sich ihm wild und raubtierhaft wieder zu. Mit einer schnellen Drehung aus dem Handgelenk, hell und flüchtig wie ein Sommerblitz, durchbrach sein Schwert Sturms unsichere Deckung und senkte sich tief in dessen linke Schulter.

Benommen und atemlos ging Sturm in die Knie. Seine Schulter, seine Brust und sein Herz glühten von grünem Feuer und sengendem Schmerz. Die Luft um seine Ohren summte wie das traurige, bedrohliche Lied eines Schwarms hartnäckiger Stechmücken.

Das ist also der Tod – ich sterbe – Tod – seine Gedanken rasten. Und plötzlich ließ der Schmerz nach, war nicht mehr unerträglich, sondern dumpf und bohrend, als sich die Wunde – zu Sturms Befremden – rasch und sauber schloß und das frische Blut auf seiner weißen Festtunika verblich.

Doch der Schmerz saß tief und versengte ihn so nachhaltig wie das Summen in der Luft.

»Sieh dich um, Junge«, sagte Vertumnus verächtlich. »Wo ist ein Platz für einen Mann wie deinen Vater unter solchen Männern?«

Sturm vergaß augenblicklich seine Wunde. Er schrie und sprang auf, doch seine junge Stimme brach vor innerem Aufruhr. Blind stürmte er auf Vertumnus zu und umklammerte mit beiden Händen sein Kurzschwert. Sein Gegner trat ruhig zur Seite, so daß die Klinge sich tief in einen Eichenast grub, der frisch aus der Mitte von Humas Stuhl gewachsen war.

Der Junge zerrte erfolglos an seinem Schwert, während er in Panik über seine schmerzende Schulter blickte, als der Herr der Wildnis drohend vortrat. Dann ließ Vertumnus langsam das Schwert sinken. Er musterte Sturm, der endlich seine Klinge aus dem harten Holz befreite, und lächelte, als der junge Mann wenig gewandt zu ihm herumwirbelte.

Vertumnus’ Grinsen war entwaffnend, so undurchschaubar wie der Rand der Wildnis. Es brachte Sturm noch mehr auf als seine Worte. Mit einem neuerlichen Schrei stürzte er sich auf seinen Gegner, und Vertumnus ging in die Knie, als der Junge ihm die Klinge in die Brust stieß.

2

Der Ruf des Maßstabs

Die Flöte fiel klappernd auf den Boden, wo sie liegenblieb. Auf der Stelle kehrte die winterliche Kälte zurück und umschloß eisig die Füße der Ritter. Die Halle war so still, als wäre die Luft gefroren.

»Sturm…«, setzte Fürst Stephan erstaunt an. Der junge Mann taumelte, zog mühsam sein Schwert heraus, und Vertumnus fiel schwer und offenbar leblos nach vorn. Gunthar rannte zu dem grünen Mann. Sturm zuckte zusammen, als die starke Hand von Fürst Stephan sich fest auf seine Schulter legte.

Der nasse Fleck auf Sturms Schwert war deutlich zu sehen, und seiner Blutrinne erhob sich der harzige Geruch von Nadelbäumen. Er fuhr ungestüm herum, worauf er Alfreds und Gunthars Verwirrung, Fürst Stephans merkwürdigen, verwunderten Blick und an dem zweiten Tisch den Zorn von Fürst Bonifaz bemerkte, der den Jungen ungläubig und voller Mißgunst ansah, ehe er sich bückte und seine Hose hochzog.

»Was hast du getan, Bursche?« bellte Alfred. »Was hast du…?« Die Frage hallte durch den Saal, der einzige Laut in der Totenstille.

Da sprang Vertumnus auf und schob den erstaunten Fürst Gunthar beiseite. Alles in der Halle holte erstaunt Luft, als hätte der Raum selbst den Atem angehalten. Als der Herr der Wildnis die Wunde in seiner Brust berührte, pulsierte sie und schloß sich wie eine Narbe in lebendem Holz. Gelassen suchten seine Augen den Blick von Sturm.

»So weit, so gut, kleiner Feuerklinge. Du hast gezeigt, was ich meinte«, verkündete Vertumnus, während die Steine zu seinen Füßen von dickem Moos überwachsen wurden.

»Der Rest ist deine eigene Unbesonnenheit. Du bist in mein Spiel eingetreten – das du deshalb jetzt bis zum Ende durchstehen mußt, woran deine Schulter dich Tag und Nacht erinnern wird.«

Vor dem Fenster sangen wieder die Vögel. Mit großen Augen sah Sturm von dem grünen Mann zu seinem noch nicht abgewischten Schwert, vom Schwert wieder zu Vertumnus. Sprachlos berührte der junge Mann ganz langsam seine Klinge. Sie war sauber und trocken.

»Wir treffen uns am ersten Frühlingstag«, ordnete Vertumnus mit erneutem, eigenartigem Lächeln an. »In meiner Burg im Südlichen Finsterwald. Komm allein, dann werden wir die Sache beilegen – Schwert gegen Schwert, Ritter gegen Ritter, Mann gegen Mann. Du hast deines Vaters Ehre verteidigt, jetzt fordere ich dich heraus. Denn jetzt bin ich dir einen Schlag schuldig, so wie du mir ein Leben schuldest. Denn in eurem geliebten Maßstab steht geschrieben, jeder, der einen Schlag erwidert, muß den ganzen Kampf ausfechten.«