»Burg Vingaard haben meine Truppen besiegt, ebenso wie die Schlösser Feuerklinge, di Caela und Jochanan. Aber beim Fall von Burg Vingaard habe ich mir diesen Namen gemacht.«
Wie vom Donner gerührt starrte Sturm die keckernde, alte Frau an. Instinktiv griff er an seinen Gürtel, doch seine Schulter wurde zurückgerissen, und die Hand fuhr ziellos durch die Luft.
Was machte das schon, dachte Sturm bitter, als er sich zusammenriß und die Frau vor ihm unnachgiebig anstarrte. Denn schließlich lag sein zerbrochenes Schwert in eine Decke gewickelt auf Luins Sattel. Er wünschte sich einen Dolch, ein Halseisen, Gift – egal was, Hauptsache, es würde dieses monströse Lebewesen umbringen, das da aufgebläht vor ihm saß.
Denn das war die Druidin, von der Fürst Stephan Peres damals im Turm des Oberklerikers gesprochen hatte, als er Sturm den Schild von Angriff Feuerklinge übergeben hatte. Das war die Frau, die Schloß Feuerklinge belagert hatte – die Frau, die – wenn die düsteren Ahnungen wahr waren – seinen Vater getötet hatte.
Mara schlenderte durch die dunklen, dreckigen Seitenstraßen, bis der Lärm der Versammlung hinter ihr lag und von einer eigenartig erwartungsvollen Stille überlagert wurde – vom Lied der Nachtigallen, von Eulenrufen und hin und wieder dem schwachen, ruhelosen Ruf eines Pferdes im Stall.
Sie folgte dem Gewieher in eine Scheune am Ortsrand. Richtig, da war Luin, und in der Box neben ihr fraß Eichel Heu und fühlte sich schon ganz zu Hause. Einen Augenblick verweilte Mara bei den Tieren. Der Gedanke an Flucht war durchaus verführerisch, Silvanost war von Dun Ringberg bequem in vierzehn Tagen zu erreichen, und auf einem gesunden Pferd konnte sie innerhalb von zehn Tagen am Sternenturm sein.
Aber sie mußte auch an Cyren denken: Cyren, der beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten davongerannt war und der zweifellos durch die angrenzende Ebene streifte, Netze baute, ihre Gefangennahme betrauerte und sich vor nächtlichen Geräuschen erschreckte. Solange sie ihn nicht gefunden hatte, durfte sie nicht an Flucht denken.
Dann war da Sturm Feuerklinge. Ja, er war umständlich, und seine närrische Ehrauffassung hatte sie das Wiedersehen und viele Jahre und hinten am Vingaard fast das Leben gekostet. Aber die Ehre eines Narren ist dennoch Ehre. Welches Unheil Sturm auch immer angerichtet hatte, es war stets aus den besten Absichten erwachsen.
Und so drückte Mara in dem nach Heu duftenden Stall ihr Gesicht an die warme Flanke von Jack Derrys kleiner Stute. Eichel schnaubte schläfrig, denn nach dem wohlverdienten Abendessen galten ihre Gedanken zweifellos einem wohlverdienten Nickerchen.
»Ich kann doch nicht einfach losreiten und den Einfaltspinsel hierlassen, oder?« fragte Mara niemand Bestimmten, während ihr Kinn auf Eichels Rücken ruhte. »Einer muß schließlich bei ihm bleiben und ihn beschützen. In Lemisch sind Menschen wie er nicht willkommen, und jetzt sitzt er in diesem Dorf fest, wird bewacht und…«
Sie machte eine Pause. Hellwach lauschte sie mit ihren scharfen Elfenohren, aber was sie gehört hatte, war nur eine Maus auf dem Speicher.
»… und hat keine Waffe«, flüsterte sie, um den Gedanken zu Ende zu bringen. »Aber dem kann man abhelfen.«
Schnell nahm die Elfe das geborstene Schwert, das immer noch in die Decke gewickelt war, und lief los, um die Schmiede zu suchen.
Wieland, der Schmied, war selbst für sein Handwerk groß – groß und rot, die Unterarme so dick wie ihre Taille. Obwohl er wirklich freundlich und sanft reagierte, war Mara von der rein körperlichen Erscheinung des Mannes schon so eingeschüchtert, daß sie lieber auf der Schwelle der Schmiede stehenblieb, während der gewaltige Schmied sich auf eine Bank setzte, um das Schwert auszuwickeln.
»Das hier, ja?« fragte er, und seine Stimme rumpelte wie ein ganzer Bergrutsch.
»›Das hier‹?« fragte Mara. »Soll das heißen, du kennst das Schwert?«
»Allerdings, Mädchen«, antwortete der Schmied, der das wunderbare solamnische Heft in seiner enormen, rußgeschwärzten Hand drehte. »An ein solches Erbstück erinnere ich mich leicht, denn in Dun Ringberg geben wir selten etwas anderes als Armut weiter. Das hier habe ich… ach, so vor sechs Wochen gesehen. Um Mittwinter, als Lunitari endlich…«
»In den gleichen Himmelsabschnitt lief wie der weiße Mond«, sagte Mara. Sie war überrascht, daß der Schmied den Lauf der Gestirne verfolgte. »Der Junge, der es dir brachte…«
»Kein Junge, Mädchen, sondern ein erwachsener Mann mit Bart«, stellte der Schmied richtig, der immer noch das Schwert untersuchte. »Aus dem Norden war er, der Stimme nach, aber ich frag’ eigentlich nicht, wo die Leute herkommen.«
Er legte das zerbrochene Schwert – erst die Klinge, dann das beschädigte Heft – vor sich auf die Werkbank. Auf seinem Gesicht lag ein kluger, sinnender Ausdruck. Mit dem Finger zog er verlegen die Runen entlang der Blutrinne der Klinge nach.
»Hätte ihn wohl fragen sollen«, stellte Wieland fest, »wo seine Bitte doch so verrückt war. Denn er wollte, daß ich dieses Schwert verderbe.«
»Es verderben?« fragte Mara.
»Ein Haarriß. Eine Bruchstelle im Metall«, erwiderte der Schmied. Er zeigte es ihr. Stundenlang hätte er weitererzählen können, ihr alle Methoden zeigen können, wie man eine Klinge nutzlos machen konnte.
Konnte, ja, aber nicht wollte. Verächtlich zog er einen Mundwinkel hoch und spuckte ohne Umschweife in den Schmelzofen. »So was mach’ ich aber nicht«, erklärte er. »Würde nur ein Schuft machen, eine Waffe versauen.«
Er sah die Klinge liebevoll an und hob sie noch einmal hoch. »Barbarisch«, sagte er, »eine solche Klinge zu versauen. Aber der Mann war ein feiner Herr auf einem schönen, schwarzen Pferd, auch sein Diener beritten und so, die zogen richtig feierlich durch die Gegend. Wollte, daß ich das Schwert ruiniere, damit es so zerbricht, daß es nicht mehr neu zu schmieden ist – sollte wie Porzellan in Dutzende von Stücken zerspringen, die nie wieder richtig zusammenpassen.«
Mara nickte. »Sein Name?« fragte sie.
»Ach, da kann ich dir nicht helfen, Mädchen. Den hat er mir nicht gesagt, hat mich auch keines Blickes mehr gewürdigt, nachdem ich die Sache abgelehnt hatte. Ist einfach hochnäsig wieder abgezogen und sagte, er wüßte einen, der die Sache besser machen könnte. Da hab’ ich mich noch gefragt, warum er sich so weit im Süden einen Schmied sucht, wenn er in seiner Gegend einen ebenso guten finden kann.«
Wieland untersuchte blinzelnd den Rand des Schwerts.
»Ist ihm aber wohl auch nicht geglückt. Mein Meister hätte es vielleicht gekonnt – wenigstens ist er der einzige Schmied, von dem ich weiß, daß er dazu fähig ist.«
»Dein Meister?« fragte Mara. Die Selbstsicherheit des großen Mannes vor ihr ließ nicht auf einen Meister schließen. Sie konnte sich Wieland nicht als Lehrling vorstellen.
»Ja, natürlich«, meinte Wieland. »War Solamnier und hat Stimmen im Metall gehört. Aber Verrat war ebensowenig seine Sache wie meine, und er ist der einzige andere Schmied, den ich kenne, der so etwas hier bewirken oder reparieren könnte.«
Mara sah ihn fragend an, worauf Wieland nickte.
»Ja«, sagte er. »Ich kann dieses Schwert reparieren, Mädchen, und ich mache es gern.«
»Danke«, sagte Mara leise. Jetzt mußte sie nur noch einen Weg finden, wie sie die Waffe dem Gefangenen bringen konnte. Nach einer raschen Verbeugung lief sie rückwärts aus dem Raum, drehte sich dann um und rannte zum Stall zurück. In dem eingewickelten Bündel, das Sturm den größten Teil der Reise auf den Schultern geschleppt hatte, hielt sie Pfeil und Bogen versteckt.
Ihr Gepäck war auf zwei Heuballen ausgebreitet. Mara hätte bei ihrem Leben geschworen, daß es noch fest verschnürt gewesen war, als sie das Schwert zum Schmied gebracht hatte. Doch das Gebäude war dunkel, und die Zeit hatte gedrängt. Zweifellos erinnerte sie sich nicht mehr genau, wenn überhaupt.