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Jedenfalls war es jetzt geöffnet. Im schwachen Mondlicht lagen ihre Siebensachen ausgebreitet: eine Bronzeharfe und drei Trillerpfeifen, zwei Roben und ein Beutel mit ihrer alten Muschelsammlung, Cyrens Brosche, sein Siegelring mit dem grünen Drachen der Familie Calamon…

Mit wachsender innerer Unruhe kniete sie auf der Decke über ihren Schätzen.

»Ist es das, was Ihr sucht, Lady?« fragte eine rauhe Stimme hinter ihr.

Mara fuhr herum. Vor ihr stand Hauptmann Duir mit dem Bogen und dem Köcher voll Pfeile in der Hand. Neben dem Hauptmann stand der riesige Wachmann Oron, dem eine gewisse Enttäuschung vom Gesicht abzulesen war.

»Oh, tut uns leid, daß wir diese Waffen gefunden haben«, erklärte der Hauptmann mit schiefem Lächeln. »Und noch mehr tut es uns leid, daß Ihr trotz des Vertrauens und des Entgegenkommens der Druidin Ragnell zurückgekommen seid, um Eure Waffen zu holen. Ich nehme an, Ihr wolltet als nächstes… abreisen?«

»Nein«, erwiderte Mara, woraufhin der Hauptmann die Augen zusammenkniff.

»Nun… wenn Ihr vorhattet, in unserem friedlichen Dörfchen Waffen zu tragen, dann zu welchem Zweck?«

»Ich… ich…«, setzte Mara an, doch sie wußte, daß Duir sie durchschaut hatte.

»Ich habe keine Wahl«, sagte der Hauptmann langsam, als Oron mit ausgestreckter Hand auf sie zukam, »als Euch ebenfalls im Rundhaus unterzubringen. Die Freiheit in Dun Ringberg ist ein Privileg, das Ragnell Euch persönlich großzügigerweise zugestanden hat, aber Ihr habt bewiesen, daß Ihr mehr Solamnierin seid als Kagonesti.«

Sie führten sie an der Schmiede vorbei. Wieland stand in der Tür, so daß kaum noch Licht von der Esse herausdrang. Er sah zu, wie sie zur Wiese mit dem Rundhaus und der Zelle neben dem gefangenen Solamnier gebracht wurde.

Wieland schüttelte den Kopf. Seine Gedanken waren ganz woanders. Dann drehte er sich wieder um und schloß die Tür hinter sich. Vorher aber hob er noch die lange Klinge von seiner Bank auf, die im Feuerschein rotsilbern glänzte.

Hätte er nicht den Blasebalg betätigt, so hätte er vielleicht gehört, wie noch jemand vorbeikam, gegen Mitternacht, als sich alle im Dorf in ihre runden Hütten zurückgezogen hatten. Denn vor der Schmiede huschte etwas vorbei, das vorsichtig durch die Gassen eilte und leise zirpte wie eine Grille. Doch irgendwo in dieser merkwürdigen, fremdartigen Sprache schwangen elfische Worte, elfische Ängste und elfische Trauer mit.

15

Was die Druidin wußte

Drei Tage saß Sturm in seiner Zelle. Der Raum, in den man ihn gesteckt hatte, war kaum größer als eine fensterlose Pferdebox. Die Seitenwände gingen in die Decke über, die nach hinten abfiel, wo eine alte Strohmatratze lag. Die vordere Wand war zwölf Fuß hoch. Darüber sah man nur die Decke und das offene Loch über dem Mittelfeuer des Hauses. Nachts blinkte gelegentlich ein Stern durch die Öffnung, und morgens hatte Sturm einmal ganz früh geglaubt, er würde den Silberrand von Solinari sehen. Die meiste Zeit war die Öffnung jedoch ebenso leer wie die Wände, die ihn umgaben und die von zwei stämmigen Angehörigen der Miliz bewacht wurden.

Die Soldaten sprachen nur lemisch und betrachteten ihren solamnischen Gefangenen voller Argwohn. Zweimal am Tag steckte einer von ihnen den Kopf durch die Tür, schob Sturm eine schmutzige Tonschüssel hin und machte die Tür dann schnell wieder zu, um ihn seinem Brei und seinen Gedanken zu überlassen.

Diese ganze Sache mit Jack Derry beschäftigte ihn unablässig. Es war doch überaus seltsam, daß keiner aus dem Dorf – von der Druidin bis zu den Wärtern seiner Zelle – irgend etwas über den Gärtner wußte.

Noch drängender war die Frage, was aus Mara geworden war. Sturm nahm an, daß sie in Sicherheit war, doch nachts hatte er einmal oder zweimal geglaubt, er würde ganz in der Nähe ihre Stimme hören. In der zweiten Nacht hätte er schwören können, er würde das dünne, klagende Lied einer Flöte aus dem Nachbarraum hören.

In der dritten Nacht seiner Gefangenschaft hörte er wieder das Lied der Flöte. Jetzt erkannte er wie damals auf der Ebene die alte Elfenhymne, deren klare, traurige Worte die Luft im Haus erfüllten und den Rauch in die Sternenreiche Nacht hinaustrieben.»Der Wind

Taucht durch die Tage. In der Jahreszeit, während der Nacht Entstehen große Königreiche.
Der Atem Der Feuerfliege, des Vogels, Der Bäume, der Menschen Verblaßt in einem Wort.
Der Schlaf jetzt, Unser ältester Freund, Wiegt sich in den Bäumen Und ruft Uns zu sich.
Die unendlich lange Zeit, Die tausend Leben Der Menschen und ihre Geschichten Kehren in ihre Gräber ein.
Aber wir, Das ewige Volk Im Gedicht und in der Pracht Verblassen im Lied.«

Sturm schloß die Augen und hörte genau zu, ließ sich weder durch Gedanken noch durch seine Sinne ablenken. Mara hatte von dem Lied gesprochen, das in den Pausen verborgen war, von der Magie der weißen Weise, die den meisten Ohren nicht zugänglich ist. Lag vielleicht eine Botschaft zwischen den Worten, die sie sang?

Lange lauschte er angestrengt auf die Töne und die Pausen zwischen den Zeilen. Aber in der Stille fiel ihm nichts auf. »Nichts«, murmelte er und legte sich auf sein Strohlager. »Nur Wunschdenken und Elfenverse.«

Als die Nacht fortschritt, nahm er die Melodie nur noch unbewußt wahr. In den frühen Morgenstunden, als er in jenem eigenartig erwartungsvollen Zustand zwischen Schlafen und Wachen dämmerte, hörte er, wie Mara wieder zu singen begann.

Und beim dritten Mal hörte er etwas: Wunschdenken vielleicht oder Verse, aber trotzdem hatte sich etwas in die letzten Strophen des Liedes eingeschlichen.

»Die unendlich lange Zeit keine Angst keine Angst Die tausend Leben Der Menschen und ihre Geschichten Kehren in ihre Gräber ein.
Aber wir, hör zu hör zu Das ewige Volk Im Gedicht und in der Pracht, Verblassen im Lied. Magie fließt frei in der Luft.«

In der Musik dieser Pausen lagen Süße und Sicherheit und der sichere Eindruck, daß die Finsternis nicht abgrundtief war.

Sturm traten Tränen in die Augen, während die Melodien – die hörbare und die unhörbare – in der verrauchten Nachtluft verklangen. Er saß senkrecht auf seinem Lager. In der Stille, die auf das Lied folgte, bemühte er sich, Worte, Anweisungen, Rat oder Trost zu hören, aber es gab nichts als das Schnarchen einer etwas entfernten Wache und das Knistern des Feuers.

Hellwach legte er sich jetzt wieder hin und bemühte sich, wieder einzuschlafen, doch erst nach Stunden machte er die Augen zu und war sofort in tiefen Schlaf versunken.

Am vierten Morgen ging die Tür wie gewohnt auf. Sturm setzte sich nach der unruhigen Nacht etwas hungriger auf als sonst und hoffte, der Brei würde heute morgen etwas besser schmecken. Doch nicht sein Frühstück kam, sondern die Druidin Ragnell.

Eskortiert von Wachmann Oron trat die alte Frau herein. Mit einer raschen Handbewegung entließ sie den großen Kerl, der ihr widerstrebend nachsah, als er die Tür hinter ihr schloß.

»Dir ist klar, daß du lange hier sein wirst«, sagte sie.

Sturm sagte kein Wort. Wie sollte er mit der Mörderin seines Vaters reden? Wütend legte er sich wieder auf die Matratze und drehte sein Gesicht zur Wand.

Hinter sich hörte er die Druidin schlurfen und husten. Es war schwer, sie sich an der Spitze einer Armee vorzustellen.

»Und das ist deine Begrüßung?« fragte sie. »Das ist die berühmte solamnische Höflichkeit?«

Sturm wälzte sich herum und warf ihr durch den Raum einen zutiefst haßerfüllten Blick zu.

»Vielen Dank, Lady«, antwortete er mit eisiger Höflichkeit, »aber ich würde meinen Brei Eurer Gegenwart vorziehen.«