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»Fürst Bonifaz, sagst du? Dann ist er… hier im Turm?«

Reza nickte. »Nehmt noch etwas Käse, Meister Sturm«, bot er an, wobei er dem Jungen den Teller hinschob. »Ja, allerdings, Fürst Bonifaz ist hier.«

»Dann muß ich ihn begrüßen – aus alter Freundschaft«, erwiderte Sturm (etwas zu schnell, wie er fürchtete). »Ja. Ich werde ihn aufsuchen und ihn begrüßen.«

Er lächelte dem alten Diener zu und nahm noch eine Ecke Käse. In Gedanken ging er rasch verschiedene Strategien durch.

»Er erwartet sicher, daß Ihr gleich zu ihm geht«, drängte Reza. »Ihr wißt doch, wie er mit dem Maßstab ist.«

»Allerdings«, sagte Sturm, der dankbar war, daß alte Bedienstete sich so gern einmischten. »Allerdings, Reza, und angesichts der späten Stunde und meiner Müdigkeit wäre ich dir sehr verbunden, wenn du nichts von meiner Ankunft erwähnst, bis ich ihm… angemessen begegnen kann.«

Reza nickte, verbeugte sich und zog sich rückwärts zurück. Sturm aß das Brot auf. Der alte Mann war vertrauenswürdig. Dann stand er leise auf, gähnte, nahm die Kerze vom Tisch und schlich über eine Hintertreppe zu seiner Kammer hinunter. Er war todmüde und schon halb im Traum, als er sein Zimmer erreichte, so daß er weder die späte Stunde noch das Vogelgezwitscher draußen noch das leise Scharren auf der Treppe hinter sich wahrnahm.

Als Sturm hinter sich die Tür schloß, tauchte auf dem Treppenabsatz ein schwaches Licht auf. Verstohlen blickte Derek Kronenhüter um die Ecke, lächelte und stieg dann zu den Gemächern seines Onkels hoch.

Sturm gab seine Ankunft am nächsten Morgen bekannt.

Im Gang hielt er einen Pagen am Kragen fest und ließ den Jungen zu Fürst Alfred Merkenin rennen, um ihm zu sagen, daß Meister Sturm Blitzklinge aus dem Südosten zurück sei und sich geehrt fühlen würde, wenn er vor dem Hoherat von seiner Reise berichten dürfte.

Als der Page mittags zurückkam, um ihn in den Ratssaal des Rittersporn zu begleiten, folgte Sturm dem Kind mit makelloser, polierter Rüstung und blitzendem, bloßem Schwert in der Hand. Einen verrückten Moment lang hatte er überlegt, ob er die Waffe in die Scheide stecken sollte, die er von Fürst Vertumnus bekommen hatte.

Er hatte sich dagegen entschieden. Sie war eine strahlende Erinnerung an seine Niederlage.

Sturm wußte, daß sich der Hoherat aus den Fürsten Gunthar, Alfred und Stephan zusammensetzte. Da der Rat jeden zurückkehrenden Ritter allein begrüßte, würde Bonifaz nicht dabeisein. Für das, was Sturm zu sagen hatte, würde seine Abwesenheit höchst willkommen sein.

Der Ratssaal war nichts anderes als der große Saal, in dem das Julbankett stattgefunden hatte. Ohne den Schmuck wirkte er dunkel und zweckmäßig, eher ein Arbeitszimmer als ein Ort von Zeremonien. Hier war nicht Eleganz, sondern Tüchtigkeit zu Hause.

Seine erste Überraschung war eine böse. Alfred war da und Fürst Gunthar, doch anstelle von Fürst Stephan Peres saß Bonifaz Kronenhüter von Nebelhafen auf dem dritten Ratssitz. Als Sturm den Raum betrat, lehnte sich Bonifaz nach vorn. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch seine Augen waren so kalt und konzentriert wie die eines Bogenschützen vor dem Ziel.

Sturm war bei den drei vorgeschriebenen Verbeugungen abgelenkt, und bei der dritten der sechs förmlichen Anreden stolperte er über das Wort »untadelig« und wurde knallrot.

So ein Ausrutscher entsprach nicht dem Maßstab. Er hatte zu lange kein Ritual mehr befolgt, und außerdem war Bonifaz dabei…

»Du nimmst dir einiges heraus, Sturm Feuerklinge«, stellte Alfred fest, »daß du um eine Audienz vor diesem Rat bittest. Schließlich gehörst du noch nicht dem Orden an.«

»Wohl wahr, Fürst Alfred«, gab Sturm zu. Es fiel ihm schwer, Bonifaz nicht anzusehen. »Doch als mich der Herr der Wildnis in der Julnacht forderte und ich beschloß, die Forderung anzunehmen, geschah das auf das Drängen des Ordens und mit seinem Segen. Ich hielt es für… angebracht…, daß ich dann auch seinem Urteil unterliege.«

»Was du für ›angebracht‹ hältst, Sturm Feuerklinge, entspricht nicht unbedingt dem Maßstab«, bemerkte Bonifaz mit trockener, kalter Stimme. Er lehnte sich zurück und faltete die Hände elegant vor der Brust. »Aber wir vom Rat würden gern hören, was auf deiner Reise in den Südlichen Finsterwald geschehen ist. Und angesichts der ungewöhnlichen Umstände in diesem Fall wird der Rat deine Aussage… dulden.«

»Wofür ich überaus dankbar bin«, entgegnete Sturm, der sich bei dem feinen Reigen von Ehrerbietung und Höflichkeit wieder gefangen hatte. »Und ich möchte Fürst Bonifaz zu seinem Platz im Hoherat beglückwünschen und dabei die Hoffnung ausdrücken, daß seine Ernennung unter… glücklichen Umständen stattgefunden hat.«

Es entstand eine lange Pause, in der die drei Ratsmitglieder einander verunsichert ansahen.

»Fürst Stephan ist anderswo«, antwortete Alfred. »Setz dich.«

Sturm blickte verwirrt von einem zum anderen, denn er erwartete weitere Erklärungen von seinem alten Freund. Doch Fürst Alfred vermied es, ihn anzusehen, indem er sich zu Bonifaz hinüberbeugte, um diesem etwas zuzuflüstern. Bonifaz nickte nachdrücklich. Gunthar war der einzige aus dem Rat, der den Jungen offen ansah. Sein kurzes, fast unmerkliches Zwinkern war beruhigend, auch wenn es nichts verriet.

Sturm räusperte sich. »Ich nehme an«, begann er, »daß ich zunächst von Vertumnus berichten soll.«

Und er erzählte alles oder fast alles, wobei er der Wahrhaftigkeit und dem Urteilsvermögen von wenigstens zweien der Ratsmitglieder vertraute. Er erzählte, wie er durch das Spukschloß geirrt war, wie er durch Banditen und feindliche Dorfbewohner in einen Wald voller Illusionen vorgedrungen war und wie er dabei von Märchenwesen und geheimnisvollen, trügerischen Wegen geführt worden war.

Er erzählte seine Geschichte, ohne die verschiedenen Fallen und Hinterhalte auf seiner Reise zum und vom Finsterwald besonders zu erwähnen, und ließ auch Jack Derry und Mara aus, obwohl er nicht genau wußte, warum. Drei Augenpaare hingen an ihm, und als er fertig war, senkte sich ein unangenehmes Schweigen über den Ratssaal.

»Nun«, fing Fürst Bonifaz nach einem langen Seitenblick auf Fürst Alfred und Fürst Gunthar an, »ich nehme an, in jedem Bericht über ein Versagen liegt eine gewisse Ehrlichkeit.«

»Aus diesem Bericht geht mehr als das hervor«, schimpfte Fürst Gunthar, der sich ärgerlich zu Bonifaz umdrehte. »Und wenn Fürst Bonifaz… erfahrener in Ratssachen wäre, würde er den Erfolg und den hohen Wert der Reise dieses Jungen erkennen.«

»Vielleicht könnte Fürst Gunthar mich aufklären«, erwiderte Bonifaz ironisch, sagte es jedoch in Sturms Richtung. »Der Junge wurde in den Südlichen Finsterwald geschickt, um am ersten Frühlingstag dem Herrn der Wildnis zu begegnen und eine rätselhafte Forderung zu erfüllen. Sturm hat selbst gestanden, daß er nur die erste seiner Aufgaben vollbracht hat – den Südlichen Finsterwald zu erreichen. Ganz davon abgesehen, daß er genausogut Pilze gesammelt oder… sich mit Feen vergnügt haben könnte.«

Er lächelte grausam und zog sein Messer, um seine Fingernägel zu säubern.

Sturm verschlug es die Sprache. Mit der gleichen Tollkühnheit, die am Ufer des Vingaard sein Schwert gegen den Drakonier geführt hatte, ließ er den Maßstab Maßstab sein und ging auf seinen Gegenspieler los.

»Pilze und Feen sind weniger… an den Haaren herbeigezogen als das, was ich wirklich gesehen habe, meine Herren. Denn ich sah einen vom Orden… einen bekannten Ritter des Schwerts… in dunkler Verschwörung gegen mich – aus welchem Grund auch immer!«

Die Halle war bedrückend still. Vor der Tür hörte man einen Diener fegen, und irgendwo unterm Dach des Turms heulte überrascht und unangebracht eine Eule. Die solamnischen Fürsten zeigten keine Regung, und Sturm dachte an Kastell di Caela, an die marmornen Zeugnisse seiner Familie und deren Spleens, als er die Geschichte noch einmal erzählte.