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»Als der Frühling allmählich in Frühsommer überging«, fuhr Sturm fort, während Otik ihm den Tee hinstellte, »schien es, als hätte auch Bonifaz die Sache vergessen. Fürst Gunthar sagte, er hätte besser gegessen, länger geschlafen und irgendwann diesen gejagten, besorgten Blick verloren, der den ganzen letzten Winter über in seinen Augen gelegen hätte. Er machte wieder Späßchen mit den Knappen, jagte mit Adamant Jeoffrey und gönnte sich sogar eine längere Sommerreise nach Westen zu seinem Land in Nebelhafen.

Der Zwischenfall war also anscheinend wirklich vorbei. Selbst als das Julfest nahte, machte sich keiner Gedanken oder erinnerte sich an die Sorgen der Vergangenheit, denn alle – von Fürst Alfred bis zum jüngsten Ritter – rechneten fest damit, daß es diesmal ein schönes, ruhiges Fest werden würde. Ganz wie damals, vor dem Auftauchen des grünen Manns.

Auch Bonifaz war richtig fröhlich, als das Bankett kam, und er strahlte aus allen Knopflöchern, als es losging und er mit seiner normalen Gefolgschaft Platz nahm, den Kronenhütern und Jeoffreys und diesmal obendrein noch mit ein paar Jochanans aus dem Hochadel. Der Saal war so hell wie noch nie, denn überall hingen neue Laternen und an jeder Ecke Fackeln, als hätten sogar die Fackelburschen die unbeschwerte Stimmung bemerkt. Die Musik soll laut Fürst Gunthar besser gewesen sein als letztes Jahr – ein Kendertrio aus dem hintersten Hylo, zwei kleine Flöten und ein Tamburin, ganz frech und wild und laut wie ein ganzes Nest Eichhörnchen.«

»Das hätte ich aber gern gehört!« rief Caramon aus.

»Schscht!« fauchte Raistlin, der seinem Bruder einen Klaps gab, während Sturm lächelnd Tee eingoß.

»Bonifaz muß richtig ausgelassen gewesen sein, denn er legte sogar seine Beine auf einen großen Eichentisch, als wäre er auf der Jagd oder im Feld, nicht aber bei einem offiziellen Festmahl. Hielt praktisch hof zwischen all den jungen Rittern und redete vom Schwertkampf, über Rüstungen und Pferde, brachte einen Toast aus auf die Jagd und auf die Geburt von irgendeinem Sohn… einem Jochanan, wenn ich mich recht erinnere.«

»Ich bin ganz wild auf die Einzelheiten«, stellte Raistlin ironisch fest. »Weiter mit der Geschichte, Sturm.«

Sturm probierte den Tee. Er schmeckte nach Apfel mit einem Hauch Zimt – ein Wintertee, bestimmt der letzte aus Otiks Vorrat.

»Als der Wein in Strömen floß«, sagte er, »wurde es immer lauter im Saal, bis man das Gepfeife der Kender nicht mehr hörte und sogar Fürst Gunthar aufmerksam wurde, und glaubt mir, der ist nicht zu streng, was Manieren und Protokoll angeht.«

Caramon nickte leicht. Raistlin hob hustend die Tasse.

»Gunthar sagte, die jungen Ritter hätten ihn gar nicht beachtet«, fuhr Sturm fort. »Sie wurden im Verlauf des Banketts bloß immer lauter und wilder. Aus dem Lärm wurde Geschrei und Rangelei, und Fürst Gunthar meinte, man hätte sich Bonifaz in diesem ganzen Unfug schwer vorstellen können. Er sagte, es wäre ihm so vorgekommen, als wenn etwas in Bonifaz sich verändert hätte, so daß selbst sein Feiern irgendwie… verzweifelt war. Bonifaz drohte bei der kleinsten Meinungsverschiedenheit mit dem Schwert und rief jeden zur Ordnung, der das Protokoll verletzte, indem er Band und Paragraph des Maßstabs zitierte.«

»Also typisch solamnisch«, stellte Raistlin fest, der noch einen Schluck Tee trank.

Sturm ignorierte seinen Freund. »Es war, als hätte Bonifaz den Eid… so fest umklammert, daß er ihn verloren hatte. Sagte Fürst Gunthar jedenfalls. Ganz plötzlich hörte er dann in dem Gelächter und Gepiepe eine Flöte.«

»Endlich!« atmete Raistlin auf, der seine Tasse abstellte. »Du brauchst ganz schön lange, bis du zur Sache kommst, Sturm.«

Sturm achtete nicht auf ihn. »Selbst die hintersten Tische verstummten, als die Flöte sich in das Gepiepse der Kender drängte. Der neue Klang entzückte die Musikanten, und sie improvisierten sofort mit der Melodie, bis die Töne sich so vermischt hatten, daß man kaum hätte sagen können, wer was spielte.

Gunthar sah zur Decke, sagte er, wo tausend Rosen von den Dachsparren fielen. Rosa und weiß, rot und blau bedeckten sie die Ritter und Damen mit hunderttausend Blütenblättern. Die Kender jauchzten vor Begeisterung und warfen ihre Instrumente in die Luft, doch die Flöte fuhr allein fort und spielte inmitten dieses Rosenregens ein Solo.«

»Weiter«, drängte Raistlin gebannt.

Sturm lächelte. Das war der Teil der Geschichte, der ihm am besten gefiel. »Viel mehr kommt kaum noch, mein Freund. In diesem Moment gingen die Saaltüren auf, und da stand Fürst Vertumnus an der Spitze einer Armee.

Tauben flogen vor ihm her und Eulen und Lerchen und Raben, die sich auf die Dachsparren verteilten und dabei sangen. Eichhörnchen und Hasen folgten ihnen, und dazwischen schlichen Füchse herum, die sich wie aufmerksame Jagdhunde unter den Tischen verteilten.

Tja, die Kender waren inzwischen ganz aus dem Häuschen, tanzten dreist und ausgelassen über die Tische und das Podest hoch. Gunthar sagte, Adamant Jeoffrey wurde es zuviel. Er packte zwei von ihnen an ihren Haarknoten und hielt sie fest.«

»Es gibt da einen, dem ich am liebsten dasselbe antäte«, murmelte Caramon vielsagend mit einem Blick zur Tür. »Und ich würde ihn gern am Zopf herumschleudern.«

»Es folgte ein Dutzend Elche«, sagte Sturm, »und dann zwei Dutzend Hirsche. Die Tiere kamen lautlos herein, und Derek Kronenhüter muß um zehn Jahre gealtert sein, als ein riesiger Hirsch mit dunklen Augen, dessen langes, ernstes Gesicht von einem breiten Geweih gekrönt war, sich von hinten an ihn anschlich und ihn anstupste.«

Sturm lachte bei dieser Vorstellung. Der Gedanke, wie Derek Kronenhüter rückwärts in diese neue Überraschung gelaufen war, konnte ihn endlos amüsieren. Zum großen Entzücken seines jungen Freundes hatte Fürst Gunthar ihm diese spezielle Szene mehrfach geschildert.

»Dann kam die Kapelle«, sagte Sturm, als er sich wieder gefangen hatte. »Gleich hinter den Elchen und Hirschen. Drei Zentauren trabten in den Saal und warfen Tische und Stühle und Familienbanner um. Jeder von ihnen spielte auf einer Art Dudelsack und hatte ein weibliches Wesen in grünen Kleidern auf dem Rücken. Gunthar sagt, es waren eine Druidin und zwei Dryaden, alle mit Handtrommeln. Ich nehme an, ihr kennt sie schon aus der Geschichte, die ich euch erzählt habe.

Zuletzt kam der große Grizzlybär, der furchtlos und frei mitten in den Saal lief. Und auf dem Bären ritt der Herr der Wildnis mit erhobener Silberflöte und spielte immer wieder sein neues Lied…«

Caramon stand auf, denn seine Ungeduld stieg. »Das ist alles schön und gut, Sturm, wer da alles reinkam und Musik machte. Aber was war mit dem Ritter? Mit dem Schuft von Bonifaz? Ich hasse es, wenn einer nicht bekommt, was er verdient.«

»Kommt alles, Caramon«, erwiderte Sturm. »Bonifaz stand auf und hatte die Hand schon am Schwertknauf. Gunthar und Alfred kamen vom Podest herunter.

Vertumnus rutschte vom Rücken des Bären und drehte sich wieder einmal im Kreis, wobei seine Flöte irgendwo in den Blättern verschwand, die ihn bedeckten. Die Zentauren legten ihre Dudelsäcke weg, die Druidin und die Dryaden ihre Handtrommeln, und die Musik trieb aus dem Raum.

›Ich bin Vertumnus‹, sagte er mit seiner sanften, tiefen Stimme. ›Und wieder möchte ich zum Jahreswechsel etwas sagen, was mir sehr am Herzen liegt. Und an die Legenden der Druiden erinnern.‹«

»Ich kenne keine Druidenlegenden«, meinte Caramon.

Sturm zuckte mit den Achseln. »Ich auch nicht. Und Fürst Gunthar offenbar auch nicht. Er sah sich nach seiner Gefolgschaft um – nach Alfred und Bonifaz und den ganzen Jeoffreys und Jochanans, und alle Gesichter zeigten denselben ratlosen Ausdruck.

›Also gut‹, sagte Fürst Gunthar. ›Erinnere an deine Legenden, Vertumnus.‹ Er lachte darüber, als er es mir erzählte. Er sagte, er hätte sich richtig aufgeplustert, als ob er Vertumnus daran hätte hindern können, irgend etwas zu tun oder zu sagen, was er wollte, aber ich nehme an, mehr ist vom Maßstab manchmal nicht mehr übrig – wir tun so, als könnten wir etwas beherrschen, weil wir die Tiefe und die Aussichten darin nicht wahrhaben wollen…«