Howard Pease
SCHIFF OHNE MANNSCHAFT
Howard Pease
Schiff ohne Mannschaft
Originaltiteclass="underline" The ship without a crew
Originalverlag: Doubleday & Comp., Inc., New York
Deutsch von Ursula Bruns
© by Werner Hörnemann Verlag, Bonn 1972
Ausstattung Nikolaus Plump
Gesamtherstellung Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh
Printed in Germany • Buch-Nr. 239/01015
ISBN 3 873 84115 0
Vorwort
Die Geschichte dieses Schiffes ohne Mannschaft ist von einem rätselhaften Geschehnis auf See inspiriert, das sich wirklich ereignet hat — dem berühmten Fall der Mary Celeste, einer amerikanischen Brigg, die verlassen auf dem Meer gefunden wurde.
Trotz zahlreicher, von alten Seebären und Landratten aufgestellter Theorien ist der mysteriöse Fall bis heute ungelöst geblieben.
Tahiti Jacques hingegen, der riesige Delphin, der als Lotse die Schiffe durchs Riff in den Hafen von Papeete geleitete, hat unter anderem Namen in Neuseeland wirklich gelebt. Als Pelorus Jack kennen ihn die Bewohner der Antipoden: und Pelorus Jack ist der einzige namentlich genannte Fisch, der jemals durch einen Regierungserlaß geschützt wurde. Seine seltsame Geschichte ist hier im wesentlichen so wiedergegeben, wie sie geschah.
Der Hintergrund und viele der im folgenden erzählten Einzelheiten wurden vom Verfasser und seiner Frau während eines in der Südsee verbrachten tropischen Winters erforscht.
H. P.
1. Die Breitengrade hinunter
San Francisco,
Donnerstag, den 5. April
Nach Papeete -
Blakemore SS Co's
DS Araby
Kapitän Jarvis (nur Fracht)
Verläßt Pier 45 um 16 Uhr
SF Seefahrtsamt
Ted Moran, der junge Dritte Offizier des Frachtdampfers Araby, stand an der Schiffswand auf dem Vorderdeck, und seine Gedanken waren verschwommen und unbestimmt wie die Silhouette von San Francisco, die sich vor ihm am Himmel abzeichnete. Dies war sein letzter Tag im Hafen. Und er war sich bewußt, daß es auch für viele Wochen — ja vielleicht für Monate — der letzte Tag war, an dem er den Fuß auf amerikanischen Boden setzte.
Denn morgen würde die Araby unter Kapitän Jarvis' Kommando mit Kurs auf die Südsee auslaufen.
Ein zorniger Wortwechsel ganz in der Nähe schreckte ihn aus seinen Überlegungen auf. Er wandte sich dem Fallreep zu, das auf den überdachten Kai hinunterführte, wo der kleine Cockney-Quartiermeister auf Wache stand. Ted sah, wie sein magerer Körper angriffslustig zuckte, und er vermutete, daß wieder mal ein Schnorrer aus dem Hafengebiet versuchte, ungesehen an Deck zu kommen.
»Nee, hier sin keene Jobs mehr übrig!« schrillte die Stimme des Quartiermeisters auf. »Zum Kuckuck — seit 'ner gestrichenen Woche sind wer voll. Fuffzich richtje Fahrensmänner reißen sich um jede Koje, und du siehs mir nich aus, als hätt'ste dich jemals mit Salzwasser bekleckert!«
Die Antwort kam leise, aber bestimmt: »Nein, ich bin noch nie auf einem Frachtdampfer gefahren, doch ich muß unbedingt nach Tahiti — und zwar so schnell wie möglich.«
»Da laust ein doch der Affe! Vielleicht red ich mal'n Wörtchen mit dem Käpten, un er leiht dir seine Kabine und hievt auffer Stelle die Anker, wie?«
»Ich bin durchaus bereit, mir notfalls die Passage zu erarbeiten«, beharrte der Störenfried. »Mir kommt es nur darauf an, so schnell wie möglich nach Papeete zu gelangen.«
»Ach nee! Det heeßt, det die Polente hinter dir her is und du schleunigst Leine ziehen mußt, wat?«
»Mensch — Mann: lassen Sie mich mit Ihrem Kapitän reden!«
»Mensch — Mann? Mensch, verdufte! Ick seh rot! Un'n bißchen sehr dalli — kapiert?« Interessiert schlenderte Ted Moran näher. In halber Höhe des
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Fallreeps stand ein Jüngling, schlank und braungebrannt, fast zu gut angezogen für Augen, die nur die Umgebung des Hafengebietes und die Kleider der Seeleute gewohnt waren. Ted fing das Glänzen manikürter Fingernägel auf, als eine Hand nach dem Seil des Geländers griff. Das fragend emporgerichtete Gesicht war schmal und scharfkantig; die dunklen Augen flammten empört den Mann an, der ihm den Weg versperrte.
»Ist was los, Quartiermeister?« erkundigte sich der Dritte Offizier.
»Nee, nee, noch nicht; aber ich denke, 's könnt noch so weit kommen. Der Bursche hier is 'n richtjer sturer Hund, wenn ick so sagen soll. Hab ick ihm nich jesacht, det wir keen Job mehr frei haben? Un nu sehn Se sich det an!« Der kleine Seemann rückte dichter ans Seil heran, zog die Schultern hoch und spuckte mit unglaublicher Akkuratesse in den schmalen Wasserstreifen zwischen Kai und Schiff.
»Na, Toppy, laß dich nicht aus der Fassung bringen«, riet Ted ihm lächelnd. Er wandte sich wieder dem starrsinnigen Eindringling zu.
Die braunen Augen blickten ihn flehend an. »Von dem Matrosen da kann ich einfach keine vernünftige Antwort bekommen«, protestierte er. »Dabei suche ich nur Arbeit. Die Frage danach kann doch kein Anlaß zu solch beleidigenden Bemerkungen sein.«
Der junge Mann nahm den weichen Filzhut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich muß unbedingt nach Papeete, auf Tahiti«, fuhr er leiser fort. »Es ist eine Frage von Leben und Tod für mich. Ein Passagierdampfer fährt nicht vor nächsten Monat ab, und außerdem — ich hätte das Geld auch nicht.«
Ted Moran lehnte sich über die Schiffswand vor. Der Fremde, der nicht viel jünger sein konnte als er selbst, zog ihn merkwürdig an. »Warum«, fragte er deshalb, »müssen Sie denn so unbedingt auf der Stelle nach Tahiti?«
Der Junge machte auf dem Fallreep einen weiteren Schritt nach oben. »Ich heiße Stan Ridley, und mein Elternhaus steht auf Taiarea, einer kleinen Insel bei Tahiti. Ich war hier an der Ostküste auf der Schule.« Er schwieg, und sein Blick fuhr über das Schiff, als erwarte er sich von ihm Hilfe. »Ich muß einfach so schnell wie möglich heim«, fuhr er fort. »Bitte — bitte, helfen
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Sie mir, auf Ihrem Schiff irgendeine Arbeit zu finden. Ich bin bereit, alles zu tun — einfach alles.«
Teds Ohr hörte einen fremden Tonfall aus der Stimme des jungen Mannes heraus; obwohl sein Englisch fehlerfrei war, schwang eine ganz leise Spur einer fremden Sprache mit, die er vielleicht in seiner Kindheit gesprochen haben mochte. Ted fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das sandfarbene Haar. »Heimweh?«
»Nein, das ist nicht der Grund, obwohl ich mich nach den Tropen sehne. Aber irgend etwas — irgendwas ist dort geschehen.«
»Schlimmes?«
»Ja.« Er ließ die Hände zu beiden Seiten herunterfallen. Seine Stimme wurde noch leiser. »Ich weiß nicht genau, was sich daheim tut. aber es ist etwas Alarmierendes — vielleicht sogar etwas Schreckliches.« Unvermittelt warf er die Arme hoch, in einer Weise, die dem fremdartigen Klang seiner Worte verwandt schien. »Ach, ich kann es Ihnen hier nicht erzählen!«
Ted Moran betrachtete ihn prüfend. Ein Jüngling von einer der teuren Internatsschulen im Osten, überlegte er, und — hm — ein Junge, der ohne einen Pfennig in San Francisco herumlief. Ob der Bursche hier Freunde hatte? Er verlieh dem Gedanken Worte.
»Nein«, erwiderte Stan Ridley. »Ich kenne keine Menschenseele hier. Ich bin allein. Ich bin pleite. Doch das kümmert mich nicht sonderlich — ich kann schon für mich sorgen. Nur muß ich dringend heim. Die Araby ist, wie ich festgestellt habe, das einzige Schiff, das innerhalb der nächsten drei Wochen nach Papeete ausläuft.«