»Den Schweden Jorgenson und Toppy.« Ted lächelte in Gedanken an das entsetzte Gesicht des kleinen Londoners, als er dem ablegenden Rettungsboot nachblickte.
Kapitän Jarvis wandte sich wieder dem Tisch zu und nahm, in seinen Sessel sinkend, Tabaksbeutel und Pfeife aus der Tasche.
»Ich habe den Funker in Tahiti beim Regierungssender nachhören lassen«, vertraute er Ted an. »Habe nach Informationen über diesen Windreiter gefragt, ohne jedoch jemanden auf der Insel wissen zu lassen, daß wir ihn aufgebracht haben. Heute nacht sollte die Antwort kommen.« Er zündete die Pfeife an, nahm dann das Buch vom Tisch auf. »Dies ganze Logbuch muß ich mir näher ansehen. Vielleicht können wir daraus noch was erfahren. Die Tatsache, daß ausgerechnet wir diesen Schoner, der Stanhope Ridley gehört, finden, spielt uns ja direkt in die Hand, oder?«
»Wir haben Glück gehabt, freilich.«
»Glück?« wiederholte Jarvis sinnend. »Das möchte ich mal wissen.« Jählings schloß er das Buch mit einem leichten Knall. »Wie war's, wenn ich mir den jungen Ridley mal kaufte? Ich habe so
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ein Gefühl, daß er über die Affären seines Vaters mehr weiß, als er uns erzählt hat.«
Ted beugte sich eifrig vor. »Soll ich ihn gleich holen, Kapitän Tom? Ich weiß bestimmt, daß er in Ordnung ist. Er möchte die Wahrheit ebenso dringend wissen wie wir.«
Kapitän Jarvis kratzte sich nachdenklich über das dünne weiße Hemd auf seiner Brust, durch das in schwachem Umriß die tätowierten Drachen sichtbar waren. »Na schön. Lassen Sie ihn holen.«
Draußen war die Nacht dunkel, aber klar, mit fremden Sternen am Firmament. Das Kreuz des Südens schimmerte hell, und Ted fragte sich, zu ihm emporschauend, einen Moment lang, wann er wohl das vertraute Sternbild des Großen Wagens wiedersehen würde. Er überquerte das Achterdeck und trat zu einem Matrosen, der an der Reling lehnte. Als der Mann fort war, um Stan Ridley zu rufen, kehrte Ted in den Offizierssalon zurück.
Ganz offensichtlich hatte der Herr der Araby inzwischen über das Problem des Windreiters weiter nachgegrübelt und war zu irgendeinem Ergebnis gekommen. Ein Lächeln des Triumphes spielte um seine Mundwinkel; die hellblauen Augen über den hohen Backenknochen glitzerten vor Entschiedenheit. »Ich glaube, ich hab's gefunden, Joe Macaroni«, begann er mit seiner tiefen, schwingenden Stimme. »Bis vor einer knappen Minute waren meine Gedanken verworren, schief, total durcheinandergeraten.
Nichts, was ich über diesen Schoner wußte, schien zusammenzupassen. Nun aber fügen die Fäden sich allmählich zu einem Muster ineinander.«
Ted ließ sich wortlos in seinen Sessel fallen. Die Art und Weise, wie sich Tom Jarvis um die Lösung eines Problems bemühte, war ihm vertraut. Seine Methode, sagte Jarvis selbst immer, sei es, alle bekannten Tatsachen mit mathematischer Präzision an die richtige Stelle zu setzen. Diese Tatsachen seien wie die Fäden bunten Garnes, die man verweben müsse, bis man das vollständige Muster erkennen könne — so, wie man es die Teppichweber in den orientalischen Häfen tun sehe. Bei einem sorgfältig ausgeführten Webvorgang müsse einem die Antwort bald schon offenkundig werden.
»Ihr Muster nimmt Gestalt an?« fragte Ted lächelnd.
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»Ja«, gab der andere zu. »Doch ein Faden fehlt mir. Ist der Schoner als verloren gemeldet worden? Falls ja, wer hat die Verlustmeldung abgegeben? Stanhope Ridley?«
»Das hoffe ich.«
»Weshalb?« fragte der Kapitän sehr knapp.
»Weil wir dann wüßten, daß er bestimmt noch lebt, daß er nicht bei dem Versuch, die Noa Noa-Inseln zu erreichen, umgekommen ist. Ich denke dabei an Stan Ridley.«
Jarvis' Augen zogen sich zusammen; sein Kopf fuhr vor. »Glauben Sie wirklich, Joe Macaroni, daß der junge Ridley lieber hören würde, sein Vater versuche, Versicherungsgelder für einen Schoner zu kassieren, der gar nicht untergegangen ist?«
Ted saß regungslos da. Plötzliche Furcht schwemmte über ihn hin. »Das glauben Sie also?« rief er. »Sie glauben — «
Jarvis versetzte dem Tisch einen ärgerlichen Faustschlag. »Denken? Glauben? Zeigt nicht alles haargenau in diese Richtung?
Weshalb wurde ich denn überhaupt hierher geschickt, um Ridleys Geschäfte zu prüfen? Weil bei Ridley & Co. schon viel zu viele Malheure mit Frachten und Schaluppen passiert sind. Weil die Reederei Blakemore und die Versicherungsgesellschaften ihn betrügerischer Machenschaften verdächtigen.« Jarvis erhob sich; seine Augen glitzerten im Licht der Lampe. »Der Schoner sollte untergehen — aber er tat es nicht.«
Ted zog scharf die Luft ein, um die Flut der Worte zu stoppen, die ihm in heftigem Protest über die Lippen wollten. Welche Gründe hätte er anführen können? Keinen einzigen — außer einem festen Vertrauen, das sich höchstwahrscheinlich aus seiner Freundschaft mit Stan Ridley ableiten ließ.
Als Ted keine Bemerkung machte, fuhr Jarvis fort. »Vielleicht glauben Sie es jetzt noch nicht, doch werden Sie nicht anders können, wenn Sie alle Tatsachen kennen.« Plötzlich hielt er inne; sein Blick schweifte zur Tür. Es hatte jemand geklopft.
»Herein«, rief der große Mann laut und deutlich.
Stan Ridley trat ein. Ted sah ihm schweren Herzens entgegen.
Das Gesicht des jungen Mannes war blaß, aber eifrig, als sei er sich nicht ganz im klaren, was ihn hier in den Räumen des Kapitäns erwartete. Als er auch den Dritten Offizier entdeckte, hellte sich seine Miene auf.
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»Setzen Sie sich, Ridley.«
Ted stellte erleichtert fest, daß die Stimme des Kapitäns einen warmen, beinahe freundschaftlichen Ton angenommen hatte.
Freundlich? Er forschte in den Zügen seines Vorgesetzten. Oder war es Mitleid, das er auf dem strengen Antlitz sah?
»Ich möchte Ihnen verschiedene Fragen stellen«, verkündete Jarvis. »Sie könnten vielleicht den einen oder anderen Punkt übersehen haben, der nun neue Wichtigkeit bekommt. Die Entwicklung der Angelegenheit wirft ja neues Licht auf Ihr Problem.«
»Ich habe Ihnen alles erzählt, was ich weiß«, erwiderte Stan sofort. »Ich bin ja seit zwei Jahren nicht mehr daheim gewesen.«
Jarvis nickte, warf dem Jungen dann schnell eine Frage hin.
»Was wissen Sie von den Geschäften Ihres Vaters?«
Bei diesem direkten Angriff fuhr Stan Ridley erschrocken zurück; doch seine Augen hielten dem durchdringenden Blick des älteren Mannes ruhig stand. »Falls Sie annehmen, daß seine Methoden nicht ehrlich sind, Kapitän Jarvis, dann irren Sie sich — ganz bestimmt!«
»Ich möchte nur die Wahrheit herausfinden«, sagte Tom Jarvis milde. »Haben Sie mir nicht, als Sie an Bord kamen, gesagt, daß auch Sie die Wahrheit wissen möchten?«
»Das will ich immer noch, Kapitän Jarvis.«
Der schwere Mann zog die Schultern vor, indem er mit den Ellenbogen auf dem Tisch näher rückte. »Die Wahrheit — selbst wenn sie schmerzt?«
Stans Blick wich nicht aus. »Jawohl, Sir.« Doch die Worte kamen gedämpft von seinen Lippen.
In Jarvis' Augen flackerte Bewunderung auf. »Nun gut«, sagte er schließlich. »Wir wollen ehrlich miteinander sein. Geht das in Ordnung?«
Stan nickte; seine blutleeren Lippen preßten sich fester aufeinander.
»Gut. Ich möchte diese Windreiter-Geschichte geklärt haben, ehe wir den Hafen anlaufen. Sie haben mir erzählt, Ridley, daß Ihr Vater von Tahiti verschwunden ist, doch haben wir nun entdeckt, daß er vor fünf Tagen erst noch auf diesem Schoner war. Wie können Sie das erklären?«
Ted saß bewegungslos da, den Blick auf das Gesicht seines jungen
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Freundes geheftet. Mitleid packte ihn, als er sah, wie der andere die trocken gewordenen Lippen befeuchtete, ehe er antwortete.
»Ich kann es nicht, Kapitän Jarvis«, brachte er dann langsam, mühsam hervor. »Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen damals sagte, mein Vater habe vor etwa drei Monaten aufgehört, mir zu schreiben — und mir meinen regelmäßigen monatlichen Scheck zu schicken. Endlich erhielt ich eine kurze Nachricht. Ich sollte nicht nach Hause kommen ... Sehen Sie, er hatte mir versprochen, Geld für eine Reise nach Tahiti zu schicken, damit ich ihn besuchen könnte. Zwei Jahre lang hatte ich ihn nicht gesehen