Ted trat ans Steuerruder und griff eine der Handspeichen.
»Kommen Sie, ich löse Sie einen Moment ab«, schlug er vor.
Stan Ridley trat völlig benommen zur Seite. Ted nahm seinen Platz ein. Aus dem Augenwinkel sah er, daß der Junge mit gerunzelten Brauen den Füller untersuchte.
»Ja, Sir«, mußte er schließlich bekennen. »Er gehört mir.«
»Sie geben es also zu? «
»Ja, es besteht kein Zweifel. Im Rand der Schraubkappe ist ein kleiner Sprung, sehen Sie? Das muß mein Füller sein.«
»Wissen Sie, wie er in die Funkbude gelangt ist?«
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»Nein, Kapitän Jarvis.«
»Sie bleiben bei der Behauptung, daß dieser Chapman ihn geliehen hat?«
»Jawohl, Sir. Als ich mich niederlegte und den Vorhang vorzog, schrieb er immer noch am Tisch.«
»Na gut, das wäre das!« Kapitän Jarvis atmete einmal tief durch; das weiße Hemd spannte sich über der tätowierten Brust. »Ich glaube Ihnen, Ridley.«
»Danke, Sir.« Falls die Stimme eine Spur von Bitterkeit enthielt, so jedenfalls so wenig, daß Ted sie nicht entdecken konnte.
»Und um es zu beweisen«, fuhr Jarvis fort, »werde ich Sie nun mit einem Auftrag hinunterschicken. Suchen Sie den Bootsmann und sagen Sie ihm, er soll diesen Chapman sofort auf die Brücke schicken. Verstanden?«
»Jawohl, Sir.«
»Ich vertraue Ihnen unbedingt. Sie werden diese Geschichte mit Ihrem Füller gegen niemanden erwähnen.«
»Ich verstehe.«
»Dann gehen Sie.«
Ted ließ, die Speichen des Steuerruders fest umklammert, den Blick über die lange Dünung schweifen, die gegen den Bug des Dampfers schäumte. Hinter sich hörte er Stan Ridleys Schritte leiser werden.
Kapitän Jarvis trat neben ihn. »Ich begreife nur nicht, was dieser Chapman mit der Botschaft nach Papeete zu tun haben könnte, Joe Macaroni«, bekannte er, sich auf den Rahmen des offenen Fensters stützend. »Ich habe mir erst vor einer Minute die Papiere des Burschen gründlich angesehen. Scheint alles tadellos in Ordnung zu sein.«
Ted schaute auf das Kompaßgehäuse runter, griff eine Speiche.
»Wollen Sie ihn wegen des Füllhalters befragen?«
Jarvis schüttelte den Kopf. »Nein. Ich werde ein kleines Experiment machen. Mal sehen, was dann geschieht.«
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»Hallo, sind Sie das, Mac?« Kapitän Jarvis stand am Maschinentelegrafen und sprach mit dem Ersten Ingenieur. »Wieviel Umdrehungen macht die Maschine? Gut. Legen Sie zehn zu ... Wie? Der Dampf? Ja, bei Neptuns Bart, haben wir denn nicht alle Bunker voll Kohle? Natürlich wird sie's aushaken! Gut!«
Er drehte sich um lachte kurz auf. »Der Chief möchte seine Maschine am liebsten in Watte wickeln und wie Babies behandeln.
Als ob die Araby nicht Volldampf voraus fahren könnte, ohne ihre Kessel zu strapazieren!« Er schritt zu der Tür hin, die sich auf die Steuerbordseite der Brücke öffnete. »Ich bin draußen, Moran. Wenn Chapman kommt, lassen sie ihn das Ruder übernehmen. Der junge Ridley soll auf dem Bootsdeck warten. Geben Sie mir zehn Minuten Zeit, und ich werde über diesen Chapman alles wissen, was ich wissen will.«
»Jawohl, Sir.« Teds verwunderter Blick folgte der mächtigen Gestalt, die jetzt ans äußerste Ende der offenen Brücke trat und sich dort auf die Reling lehnte. Der feine Regen, der nun fiel, schien den Mann nicht zu stören. Was, zum Donner, mochte er wohl schon wieder vorhaben? Ted zerbrach sich den Kopf. Weshalb wollte Jarvis diesen Chapman lieber zehn Minuten lang beobachten, anstatt ihm das Beweisstück, den Füller, entgegenzuhalten? Wer war denn dieser Chapman bloß?
Über diese Fragen nachgrübelnd, stemmte Ted die Füße fester auf und nahm die Schultern zurück, denn er spürte, daß eine schwere Dünung schräg auf den alten Trampdampfer zulief und ihn leicht schüttelte. Der Nebelregen, der wie nasse, dicke Luft war, fiel ohne einen Laut; wie Waschküchendunst wölkte er auf und verschluckte beinahe Hauptmast und Vorschiff.
Schließlich kam Stan Ridley zurück und trat neben Ted ans Ruder.
»Warten Sie auf dem Bootsdeck, Ridley«, wies der Dritte ihn an.
»Jawohl, Sir.« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß.
Dann wurde auf der eisernen Leiter zur Backbordseite der Brücke das Schuffein von Schuhen hörbar. Ein langer Matrose erschien gleich drauf in der Tür. »Sie wollten mich sprechen, Sir?« klang eine dünne, ängstliche Stimme auf.
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»Ja. Übernehmen Sie das Ruder, Chapman.«
»Jawohl, Sir.«
»Südwest auf West«, sagte Ted, ihm den Kurs meldend.
»Halten Sie das Ruder ruhig, Chapman. Wir haben eine üble See — kreuzende Dünung.«
Ted schlenderte zum Telegrafen hinüber, heftete den Blick dann unbemerkt auf den Mann am Ruder. Er sah einen großen, schlanken Matrosen mittleren Alters. Das Gesicht unter dem ergrauenden Haar war lang und mager. Sehr viel Auffallendes war nicht zu erkennen. War das wirklich der Mann, der heimlich in die Funkbude geschlüpft war, Sparks überfallen, gefesselt und geknebelt und dann kühn eine Botschaft nach Papeete gesandt hatte?
Falls das wirklich stimmte, so wies aber auch gar nichts darauf hin, daß sich unter diesem schüchternen Äußeren eine so waghalsige Natur verbarg. Was versprach Jarvis sich wohl davon, diesen Menschen zu beobachten? Was hoffte er auf diese Weise zu erfahren?
Ted ließ den Blick zum Steuerbordende der Brücke gleiten. Der Kapitän lehnte nun über der Reling nach achtern, auf die tätowierten Arme gestützt allem Anschein nach schaute er zum Windreiter hinüber und kümmerte sich um den Rudergänger überhaupt nicht. Ted ging zu der kleinen hinteren Tür hinüber, öffnete sie und legte sie mit dem Haken fest. Über das Hüttendeck weg konnte er den Schoner am Ende der Trosse schwimmen sehen. Neben dem Klüverbaum stand jemand — ob es Toppy oder Jorgenson war, konnte er der Entfernung wegen nicht erkennen.
Die Segel waren zusammengerollt, und das kleine Schiff schnitt durch die Wellen wie ein Boot hinter eine Barkasse, behende und leicht; und seine Maße schrumpften, von der Brücke des Trampdampfers aus betrachtet, noch mehr zusammen.
Ein plötzliches Schlingern des Decks unter seinen Füßen ließ ihn gegen die Wand rutschen. »He, Chapman«, rief er warnend, »geben Sie acht! Halten Sie das Ruder fest!«
»Jawohl, Sir.« Der Matrose warf ihm einen kurzen Blick zu, ehe er wieder auf das Kompaßgehäuse hinunter sah. Ted fragte sich stirnrunzelnd, ob es Furcht gewesen sein könnte, was er da in den Augen des Mannes gesehen hatte?
Er studierte den Rudergänger genauer. Wenn das ein Seemann
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war, dachte Ted, so sah er bestimmt nicht danach aus. Obwohl sein langer Körper in das übliche ärmellose Hemd und die blauen Arbeitshosen gekleidet war, zeigte das Gesicht keine Spur jener Wetterbräune, die man durch langen Aufenthalt in Wind und Sonne und Regenschauern gewinnt, und die Hände sahen schon gar nicht nach denen eines Matrosen aus. Die langen, schlanken Finger paßten besser dazu, mit einem Federhalter am Schreibtisch zu arbeiten.
Einem Federhalter ... ? Ein noch formloser Gedanke schob sich langsam in Teds Bewußtsein vor. Nahm Gestalt an. Der Atem des Dritten Offiziers ging schneller. Wäre es möglich, daß Chapman den Füller absichtlich in der Funkbude zurückgelassen hatte, um Stan Ridley verdächtig erscheinen zu lassen? Vielleicht hatte er ihn sich nur ausgeliehen, um ihn in die Hand zu bekommen.
Schließlich hatten sie ja nur Stan Ridleys Wort dafür, daß er den Funker nicht niedergeschlagen hatte; und der Mann dort am Steuer konnte nicht ahnen, daß sie dem Jungen unbegrenzt vertrauten. Doch selbst wenn es so war: was konnte Chapman vom Windreiter wissen? Welche Beziehung konnte es zwischen ihm und den Dingen, die sich hier in der Südsee ereignet hatten, schon geben?