Die Wildheit des Windes schleuderte ihn gegen die Reling. Erschrocken sah er nach unten; doch es war so dunkel, daß er kaum
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die Umrisse des Vorschiffes ausmachen konnte, als es sich auf einen Wogenkamm hob, dann wieder in die Tiefe sprang. Eine schwere See rollte über die Steuerbordverschanzung und fiel krachend auf das Vorderdeck. Unter dem Aufprall dieser Tonnen stürzenden Wassers erschauerte der kleine Dampfer wie in Todesängsten. Sprühregen wehte über die Decks und blies feine Feuchtigkeit in Teds Augen. Blinzelnd und sich mit beiden Händen an der Reling festhaltend, tastete er sich zu der nach oben führenden Eisentreppe hin.
Auf dem offenen Flügel der Brücke angelangt, zögerte er einen Augenblick, um durch das Fenster auf den Mann am Ruder zu schauen. Schwaches Licht vom Kompaßgehäuse lag auf dem Gesieht des Rudergängers, und Ted stellte erleichtert fest, daß es nicht mehr Stan Ridley war, der dort stand. Der Junge war Gott sei Dank abgelöst worden; in einem solchen Sturm war das Ruderhaus nicht der richtige Aufenthaltsort für einen so unbefahrenen Seemann. Ted packte sogleich nach einer Geländerstange und schwang sich wieder aufs Bootsdeck hinab. Von einem verhältnismäßig geschützten Eckchen im Windschatten des riesigen Schornsteins aus ließ er seine Blicke nach rückwärts schweifen, um den Schoner zu suchen. Jenseits der Funkbude aber herrschte eine undurchdringliche Finsternis; nicht einmal die Heckreling war mehr auszumachen. Ganz dicht in seiner Nähe jedoch lagen die beiden Rettungsboote; das Steuerbord-Boot ruhte fest und sicher am gewohnten Platz, das Backbord-Boot hingegen schwankte in den Kränen, und der Bootsmann und seine Leute versuchten es hastig festzulaschen.
Ted ging über das windgepeitschte Deck zu ihnen und hob seine Stimme zum Gebrüll. »Habt ihr es geschafft, Bootsmann? Sind die Männer drüben?«
Der Bootsmann wandte ihm ein übelgelauntes Gesicht zu. »Geschafft? Von wegen!« schrie er durch das Heulen des Windes zurück. »Der verdammte Schoner hat sich selbständig gemacht. Losgerissen — ehe wir noch — das Boot runterlassen konnten! Keinen Sinn — es jetzt noch zu versuchen!«
Ted betrachtete, sich breitbeinig dem Rollen des Decks entgegenstemmend, bestürzt den Sprecher. »Sie haben also — niemanden an Bord gebracht?«
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Der Sturm riß ihm die Antwort förmlich vom Mund. »Nein, Sir. Wir haben gewartet — ob wir ihn — wieder erwischen würden.«
»Wo ist der Kapitän?«
»Achtern. Wollte sich die Trosse selbst ansehen.« Der Bootsmann wandte sich seinen Leuten wieder zu. »Macht 'n bißchen fix mit der Persenning!« brüllte er. »Der Regen kann jeden Augenblick hier sein.«
Ted hastete die Kajütstreppe hinunter, rannte nach achtern und sprang die Leiter zum Achterdeck 'runter. Dort traf ihn der Wind wieder mit voller Wucht. Sich mit ganzem Gewicht dagegenlehnend, schwankte er auf eine geschützte Stelle zu. Die Araby taumelte abrupt nach steuerbord; über das Schanzkleid stürzte ein gischtender Wasserfall. Mit bösem Zischen wirbelte und schäumte das Wasser ihm um die Füße. Er tastete blindlings nach dem nächsten Lukendeckel und hielt sich fest, bis das Deck wieder gerade lag. Als er endlich die Leiter zum Hüttendeck erreichte, blieb er einen Augenblick stehen und sah mit wild schlagendem Herzen zu, wie sich der Bug des Schiffes auf einer immensen Dünung hochhob. Die ungestüme See verschwand unter der Schiffswand; der schwarze, zornige Himmel schien auf ihn niederzufallen. Das Rollen und Stürzen schien immer noch schlimmer zu werden! Mit fest aufeinandergepreßten Lippen kletterte er nach oben.
In der Düsternis des Hüttendecks stand, den mächtigen Körper gegen einen Pfosten gestemmt, Kapitän Jarvis. Rechts vor ihm befand sich Stan Ridley. Teds Blick glitt an ihnen vorbei zur schäumenden Kiellinie ihres Schiffes hin nach dort, wo fünfzig Fuß weit zurück die Lotleine in der Dunkelheit verschwand.
Keine Spur des Windreiters war zu entdecken — sein Blick traf nichts als schwarze Wogenkämme, die der Sturm zu Gischt hochpeitschte.
Ted eilte über das schräg geneigte Deck. »Hat sich losgerissen?« brüllte er, sich an die Heckreling anklammernd.
Kapitän Jarvis schaute mit zornig blitzenden Augen zu ihm hin.
Die Hand in einer Geste hilfloser Wut von sich schleudernd, antwortete er: »Ach wo — zum Teufel! Die Trosse ist durchgeschnitten worden.«
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»Wollen Sie damit sagen, daß Toppy sich frei machen mußte?« schrie Ted.
»Ich will damit sagen, daß irgendein Schuft an Bord dieses Schiffes die Trosse durchgeschnitten hat. Hab's mir eben angeschaut.
Nirgends durchgescheuert oder ausgefranst. Hatte noch keine Zeit, die Männer zu kontrollieren.« Jarvis zog mit einem Ruck die Kappe tiefer über die Ohren und wandte sich zornig um.
Ted warf Stan Ridley, dessen Gesicht wachsbleich war, einen ungläubigen Blick zu. »Wann ist es passiert?« rief er ihm ins Ohr.
»Acht Glasen.« Stans Brauen zogen sich zusammen. »Als ich abgelöst wurde und aufs Bootsdeck hinaustrat, sah ich den Windreiter langsam hinter uns abtreiben.«
»Wir haben natürlich sofort den Kurs geändert, Joe Macaroni«, rief ihm Jarvis erklärend zu. »Ich dachte, wir würden ihn vielleicht noch erwischen. Aber es war zwecklos. Gott allein weiß, was nun aus dem Schoner wird.«
Ted klammerte sich fester an die Reling, als das Deck unter ihren Füßen sich neigte und das Schiff abermals in einem tiefen Wellental fast verschwand. Er wandte das Gesicht ab, um es der beißenden Gewalt des Windes zu entziehen. »Irgendeiner an Bord ist mächtig besorgt darum — den Windreiter nicht im Hafen ankommen zu lassen.«
»Genau das.« Kapitän Jarvis kam dichter auf die jungen Leute zu. »Na, Ridley«, bemerkte er, die Hand auf die schmale Schulter legend, »diesmal fällt wirklich kein Verdacht auf Sie.«
Stan sah zu ihm auf. »Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, wer es wohl getan haben könnte?«
Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Sie wissen darüber ebensoviel wie ich selbst.« Das Kreischen des Windes überdeckte seine nächsten Worte. Er schwieg, bis wieder einmal ein Augenblick der Stille einfiel. »Sieht so aus, junger Mann«, sagte er endlich, »als ob Ihr Schoner nun doch nicht heil nach Hause gelangen wird.«
Als die Bedeutung dieser Worte Teds Bewußtsein durchdrang, fühlte er, wie sein Herzschlag stockte. Furchtbare Gedanken stiegen in ihm auf. Toppys flehende Stimme fiel ihm ein, mit der ihn der kleine Cockney beschworen hatte, ihn nicht auf dem Schoner zurückzulassen. Und was hatt er geantwortet? Grinsend hatte er
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Toppy und Jorgenson befohlen, an Bord zu bleiben. Jetzt hatte er das Resultat zu verkraften ... Er stellte sich vor, wie die beiden tapferen Seeleute gehetzt und außer sich versuchten, auf einem so kleinen Inselschiff den Hurrikan zu überstehen — Toppy, der immer frech und fröhlich war, immer knurrend und doch in jeder Notlage der beste, tüchtigste Kamerad, und Jorgenson, so stur und verläßlich und so völlig phantasielos, daß keine drohende Gefahr ihm jemals Schrecken einflößen konnte. Würden sie es schaffen — diese zwei? Konnten sie sich ans Ruderrad anlaschen und so den Hurrikan durchstehen, der über ihren Kurs wegfegte?
Oder würde der schwerbeladene Schoner die stürzenden Wassermassen nicht aushalten und, von der gnadenlosen Grausamkeit des Sturmes gepackt und geschüttelt, schließlich hilflos untergehen? Ted schloß verzweifelt die Augen vor dem Anbranden dieser schrecklichen Bilder.
Stan Ridleys mutige Stimme riß ihn schließlich zu jäher Hoffnung hin. »Keine Angst um den Schoner«, schrie der junge Mann dem Kapitän zu. »Der hat schon schlimmere Stürme überstanden.