Verdankt seinen Namen dieser Eigenschaft. Windreiter heißt er, weil kein anderes Fahrzeug zwischen den Inseln so seetüchtig und sicher ist. Wenn die beiden Männer an Bord gute Seeleute sind — «
»Gute?« Kapitän Jarvis bellte es fast herausfordernd. »Das sind zwei mit allen Seewassern der Erde gewaschene Burschen — wenn der Schoner das hält, was Sie da von ihm behaupten, dann bringen die zwei ihn bestimmt in den Hafen.« Er hielt inne; sein durchdringender Blick forschte in den Gesichtszügen seines Gegenübers. »Aber wäre es Ihnen nicht lieber — er ginge unter? Ich würde es Ihnen nicht übelnehmen, wenn Sie innerlich wünschten, er würde Tahiti nie erreichen — und nicht als Beweisstück gebraucht werden können.«
Stan Ridley wurde flammendrot. »Ich will aber, daß er den Hafen erreicht, Kapitän Jarvis«, protestierte er in tiefernstem Ton. »Sie glauben, das Schiff könne gegen meinen Vater aussagen? Ach, das liegt nur daran, daß Sie ihn nicht kennen. Gerade um ihn von jedem Verdacht zu reinigen, will ich, daß der Windreiter den Behörden übergeben wird. Es gibt eine Menge Dinge, die ich genau untersucht haben möchte, und wenn der Schoner unter-
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geht — « Er zögerte. Sein Gesicht verzog sich sorgenvoll. »Wenn er untergeht, dann nimmt er alle Beweise für meines Vaters Unschuld mit sich in die Tiefe. Verstehen Sie nun, weshalb ich mit allen Fasern wünsche, daß er Papeete erreicht?«
Ted sah ihn an, und er fühlte steigende Anteilnahme am Geschick des jungen Mannes in sich. Stans dunkle Augen schimmerten von einer Bewegung, die ihn fast überwältigte; sein schlanker Körper, der da in angespannter, entschlossener Haltung vor ihnen stand, schwankte leicht, als ein neuer Windstoß übers Deck fegte. Mut und Treue strahlte sein ganzes Gebaren aus; und Ted spürte seine Pulse schneller schlagen. Mochte getrost Beweis auf Beweis erbracht werden, um Stanhope Ridley mit dem Anklagefall zu verknüpfen, mochte jedermann an Bord die Stimme heben und behaupten: »Stanhope Ridley ist der Schuldige« — das Vertrauen des jungen Stan würde all das nicht erschüttern können. Er wußte es besser. Und dieses Wissen gestattete ihm auch nicht eine Minute lang den geringsten Zweifel.
Beim Anblick dieser hochgespannten, beinahe übertriebenen Gewißheit in der Haltung des Jungen fühlte sich Ted von einem aus Bewunderung und Mitleid gemischten Empfinden überwältigt.
Denn wenn Stan sich irrte, wie würde er ihn dann jemals wieder anschauen können, nachdem sich dieser Irrtum herausgestellt hatte? Aber nein — nein! Ein Mann, der solch unbedingtes Vertrauen hervorrief, mußte ein Ehrenmann sein, ein des Vertrauens und der Achtung werter Mann.
Mit warmer Dankbarkeit sah Ted nun, wie Tom Jarvis Stan Ridleys Hand umfaßte. »Junger Mann«, hörte er den Kapitän sagen, »Ihnen glaube ich bereits seit einiger Zeit — aber der Teufel soll mich holen, wenn ich jetzt nicht auch anfange, an Ihren Vater zu glauben!«
Über ihnen hob der Sturm triumphierend seine Stimme. Die Araby stampfte unaufhaltsam weiter auf Tahiti zu.
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3. Die Insel der Abenteuer
Hafen von Papeete:
Ausländische Schiffe vor Anker.
Angekommen am 20. April
Am. Dpfsch. Araby, Kap. Jarvis.
15 Tage von San Francisco;
Fracht für Ridley & Co.
Bulletin: Poste et Telegraphe
Am nächsten Morgen sichtete die Araby zwölf Stunden später als vorgesehen in der frühen Morgendämmerung den Leuchtturm von Point Venus auf der nördlichsten Spitze von Tahiti. Näherkommend, schwenkte der alte Trampdampfer nach steuerbord bei und glitt langsam an dem mächtigen Korallenriff entlang, das eine Meile weit vom Ufer entfernt der Insel vorgelagert war.
Obwohl der Sturm längst abgeflaut war, ging die See immer noch zu schwer, als daß man hätte versuchen können, vor Anbruch des Tages das Riff zu durchfahren. Schließlich schwiegen die Motoren, und die Araby wartete auf das erste Licht.
Ted Moran, den die ungewohnte Reglosigkeit seines Schiffes aus dem Schlaf geweckt hatte, stand geschwind auf. Eilig zog er sich an und stieg zur Offiziersmesse hinunter, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Er wollte um alles in der Welt nicht schlafen, wenn das Schiff vor Anker ging. Ein wenig wacher überquerte er das Vordeck, kletterte die steile Leiter im Bug hoch und ging bis zur Reling vor. Das Schweigen der Motoren schien ihm gespensterhaft. Er hatte sich so an das regelmäßige Vibrieren gewöhnt, daß ihm nun war, als hätten die Pulse seiner Welt zu schlagen aufgehört.
Er ließ den Blick zur Insel wandern, die wie eine Wolke vor dem heller werdenden Himmel lag. Ein kurzes Stück entfernt nur strömte die Brandung mit weißen Brechern gegen das Riff an; und jenseits der Lagune blitzten am Ufer punkthaft einzelne Lichter auf. Als der Himmel noch heller wurde, unterschied er drei Bergspitzen, die ihre gewaltigen Häupter der rosig aufgehenden Sonne entgegenreckten.
Eine Bewegung in dichtester Nähe ließ ihn herumfahren. Im Frühlicht erkannte er den Umriß Stan Ridleys und sah, wie der Junge begierig uferwärts blickte. »Ich konnte nicht schlafen«, bekannte er. »Seit zwei Jahren habe ich die Inseln nicht mehr gesehen. Es scheint Ewigkeiten her zu sein.« Er wies auf die vulkanischen Gipfel hin. »Der höchste ist der Orohena — zweitausenddreihundert Meter hoch. Mon Dieu! Es tut gut, wieder daheim zu sein.« Entzückt sog er die würzigen Gerüche ein, die der Wind zu ihnen hertrug. »Ich möchte Tahiti Jacques sehen,
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wenn du ihn siehst, wie er knapp vor uns aus dem Wasser auftaucht und wieder verschwindet, um gleich darauf abermals hochzuschnellen, dann wirst du schon zugeben müssen, daß er echt ist. Es würde einfach nicht mehr das richtige Tahiti sein ohne den Rifflotsen.«
Ted rückte ein bißchen näher zu ihm hin. »Ich glaube nicht, daß wir ihn heute sehen werden«, sagte er. Stan warf sich herum.
»Was soll das heißen, mon ami?«
»Gestern abend habe ich mir das Logbuch des Windreiters noch mal ausgeborgt«, erklärte ihm Ted, »und habe es beinahe ganz durchgelesen. Ich dachte, ich würde vielleicht ein wenig mehr über den Schoner in Erfahrung bringen. Doch der einzige Vorfall, der meine Aufmerksamkeit fesselte, hatte mit diesem Lotsenfisch zu tun. Es scheint, als hätte der Windreiter vor einigen Monaten bei der Einfahrt in den Hafen einen Passagier an Bord gehabt, einen Mann namens Thatcher. Dieser Bursche nun sauste, als er Tahiti Jacques erblickte, in seine Kabine hinunter, schnappte sich eine automatische Pistole, kam wieder an Deck gerannt und erschoß den Fisch.«
»Erschoß Tahiti Jacques!« Furcht schwang in Stans ungläubigem Ausruf mit.
»Ja. Es steht im Logbuch vermerkt. Nach Thatchers Schuß versank der Fisch aus dem Blickfeld. Blut strömte an die Oberfläche.
Corkery, der Assistent deines Vaters, hat die Eintragung im Logbuch vorgenommen, und er scheint durch den Zwischenfall bedrückt gewesen zu sein. An späterer Stelle erwähnt er, daß Tahiti Jacques auf immer verschwunden sei.«
Stan umklammerte die Reling. »Ich kann es einfach nicht glauben!
Jacques vom Riff war der Liebling aller Insulaner. Die Eingeborenen glauben fest daran, daß er Glück bringt. Und dann dieser Thatcher! Wer ist der Kerl? Ich habe seinen Namen noch nie gehört.«
»Frag Corkery«, meinte Ted. »Der sollte es dir erzählen können.«
Als die Sonne den Himmel stärker färbte, zitterte das Deck durch die Vibration der neu einsetzenden Maschinen, und der Trampdampfer begann sich der Stadt Papeete zu nähern. Stan lehnte sich weit über den Bug des Schiffes vor, die Augen starr aufs Wasser unter sich gerichtet. Doch kein Delphin schob den Kopf