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über die Dünung. Das Gesicht des Jungen wurde kummerdunkel.
Alle Freude der Heimkehr schien mit dem Verschwinden des seltsamen Lotsenfisches von ihm abgefallen zu sein.
Hinter den Berggipfeln wandelten die rosigen Farben sich zu leuchtendem Gold. Am Ufer entlang nahmen Reihen von Kokospalmen winzige Gestalt an; in der Ferne wirkten sie unglaublich dünn und zart. An der Durchbruchstelle des Riffs schwang die Araby nach backbord hinüber und glitt auf die schmale Passage zu. An beiden Seiten rollten die Brecher über die Korallenfelsen weg; ihr betäubendes Dröhnen übertönte das Geräusch der Motoren, die mit halber Kraft liefen. Ted bemerkte, daß sich das zackige Riff knapp fußhoch über die Wasseroberfläche erhob. Langsam und vorsichtig schlüpfte das Schiff durch die enge Öffnung in das stille Wasser der Lagune. Der Pazifik lag hinter ihm; nach mehr als dreitausend Meilen auf See lief es nun wieder einen Hafen an.
Als sie einen bestimmten Punkt gegenüber der Quarantäne-Station erreichten, deren Flagge über einem winzigen Märcheninselchen inmitten des Hafens wehte, wurden die Maschinen abermals gestoppt, die Ankerketten rasselten, und die Araby wartete auf dem ruhigen Wasser die Ankunft der Quarantäne-Beamten ab. Ted ließ die Blicke genußvoll über das Ufer streifen.
Riesige blühende Bäume ragten auf. Ihr schwellendes Grün verbarg fast die Häuser und Läden der Stadt, hinter der sachte Hügelhänge mit Bananen- und Palmpflanzungen anstiegen. Endlich war er auf einer richtigen Südseeinsel angelangt!
Ein überaus geschäftiger Morgen folgte. Um acht Uhr waren die Quarantäne-Beamten schon dagewesen und wieder fortgefahren.
Der alte Trampdampfer lichtete die Anker und bewegte sich auf die Schiffslände für größere Fahrzeuge hin, deren sich Papeete rühmen konnte. Erst gegen vier Uhr nachmittags fand Ted Zeit, an Land zu gehen. In seiner besten Landuniform aus weißem Leinen meldete er sich beim Kapitän in der Kabine.
Jarvis sprach, kaum vom Schreibtisch hochsehend, sehr hastig.
»Wir werden heute nacht noch mit dem Löschen fertig«, erklärte er. »Dann bleiben wir daußen im Hafen vor Anker, bis alle Absprachen wegen der Rückfahrt nach den Staaten geklärt sind.
Das möchte ich keineswegs übereilen, Joe Macaroni. Wir müssen
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dieser Ridley-Affäre auf den Grund gehen, ehe wir unseren Heimwärtskurs festlegen.«
»Ich geh ein Weilchen an Land«, verkündete Ted. »Kann ich irgendwas erledigen?«
»Ja.« Kapitän Jarvis schwenkte seinen Drehstuhl herum, steckte die Hände in die Taschen seiner weißen Tropenhosen und streckte die Beine aus. »Ich hätte gern, daß Sie diesen Corkery im Auge behielten. Er kam heute morgen an Bord und wollte mich über die Wrackteile des Windreiters ausquetschen, die wir ja angeblich gefunden haben. Nein«, beantwortete er die Frage in Teds Augen, »einen Versicherungsanspruch hat er bis jetzt noch nicht angemeldet.«
Kapitän Jarvis machte eine Pause. Seine Brauen zogen sich zusammen. »Ich habe mir eine Kopie jener Nachricht geben lassen, die kürzlich nachts aus Sparks' Bude abgeschickt worden ist. Sie war an Corkery gerichtet und wies ihn an, in der Versicherungssache nichts zu unternehmen, da der Windreiter völlig intakt aufgebracht worden sei.«
Ted zog scharf die Luft ein. »Das war es also!«
»Ja. Die Botschaft war mit J. T. unterschrieben. Nun möchte ich doch in Dreiteufelsnamen wissen, wer das ist!« »Haben Sie Chapmans richtigen Namen herausgefunden?«
»Noch nicht. Aber ich habe ohnehin vor, etliche Radiogramme heimzuschicken. Wer ist Chapman? Können wir etwas über seine Vergangenheit erfahren? Und welchen Namen benutzte jener Mr. X, als er im Auftrag der Firma Blakemore nach Tahiti kam?«
Ted sah erstaunt auf. »Mr. X?«
»Ja. Erinnern Sie sich nicht? Er war der erste Detektiv, den die Gesellschaft hierher geschickt hat. Derjenige, der schließlich berichtete, daß alles okay sei. Bis sich bald darauf herausstellte, daß er auf einer großen Pflanzung lebte, die er sich gekauft hatte.
Ich möchte wissen, wo das Geld dazu herkam. War es sein eigenes Kapital oder hat ihm irgend jemand genug gegeben, um ihm das Leben als gestrandeter Amerikaner auf Tahiti schmackhaft erscheinen zu lassen? Ich werde heute abend noch den amerikanischen Konsul besuchen. Halten Sie derweilen ein Auge auf Corkery.« Jarvis erhob sich und machte eine Runde durch die Kabine. »Vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, den jungen
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Ridley beim Kragen zu nehmen und mit ihm gemeinsam in Corkerys Büro aufzutauchen. Mal sehen, was dann geschieht ... «
»Weiß Corkery schon, daß Stan an Bord ist?«
»Nein, ich glaube nicht. Es könnte interessant sein, zu beobachten, wie er sich bei einer Gegenüberstellung mit dem Jungen benimmt.«
»Ridley hilft eben, die Fracht aus Raum drei zu löschen«, informierte Ted ihn.
»Dann lassen Sie ihn durch den Bootsmann auswechseln. Ihr beiden Burschen erfahrt vielleicht an Land was.« Teds Herz hüpfte hoch bei dieser Vorstellung. »Gut. Ich mache mich gleich auf die Socken. Aber was für ein Mensch ist dieser Corkery?«
Augenblickslang stand Kapitän Jarvis gedankenversunken da.
»Ich durchschaue ihn nicht ganz. Er ist ein Amerikaner, der seit Jahren hier lebt — in Stanhope Ridleys Firma. Schauen Sie selber nach, was Sie von ihm halten.«
Der Kapitän ließ sich wieder an seinem Schreibtisch nieder, als Ted zur Tür ging. »Viel Glück!« rief er ihm nach. Auf dem Vordeck fand Ted den Bootsmann mit seiner Crew an der Luke Nummer drei, die nun weit offen war. Auf eine Handbewegung des Dritten Offiziers humpelte der Mann herbei, ein etwas herablassendes Lächeln auf dem dunklen Gesicht. »Kann ich was für Sie tun, Mr. Moran?« Die Worte gingen beinahe unter im Kreischen der Winden.
»Ja, Bootsmann«, schrie Ted ihm ins Ohr. »Der Käpt'n möchte, daß Sie den jungen Ridley austauschen. Er hat andere Arbeiten für den Burschen.«
Der Bootsmann hob die buschigen Brauen. »Okay, Sir.« Er wandte sich ab und schlurfte mit dem lahmen Bein langsam zum Kran hinüber, an dem Stan beschäftigt war. Ted sah, wie der Junge erstaunt aufblickte, als er die Anordnung des Vorgesetzten vernahm, und ihn erwartungsvoll anschaute.
Auf ein Wort des Offiziers hin verschwand Stan im Logis. Ted wartete, bis er nach zehn Minuten weißgekleidet wieder auftauchte. »Einen richtigen Tropenanzug besitze ich gar nicht mehr«, entschuldigte er Hemd und Hose. »Die alte Jacke ist zu eng geworden, und diese Hosen sind mir zu kurz.« Er schaute auf seine Füße und lachte.
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»Oh, das reicht noch«, lächelte Ted. »Du siehst jedenfalls auf diese Weise befahrener aus.«
Mit leichtem Herzen kletterte der Dritte Offizier das Fallreep hinab auf die Pier zu, doch merkte er bald, daß es Stan um nichts anderes ging als um Neuigkeiten über seinen Vater. In die Freude, endlich wieder den Fuß auf die heimische Erde zu setzen, mischte sich die Furcht vor unbekannten Schrecken, die ihn vielleicht erwarteten. Sie durchschritten eilig den riesigen Lagerschuppen, in dem die Ladung der Araby sich nun stapelte, an französischen Beamten vorüber, die gelangweilt die Arbeit der Eingeborenen beaufsichtigten, und traten schließlich durch ein Tor auf die Hauptstraße hinaus, die an dieser Stelle am Hafen endete.
Unter dem Sonnendach der Banque Chin Foo blieb Ted stehen und wandte sich Stan zu.
»Kapitän Jarvis meint, wir sollten Mr. Corkery aufsuchen. Was hältst du davon, Stan?« Stans Augen blitzten. »Ausgezeichnet. Er sollte mir von meinem Vater berichten können.«
»Dann geh du voran«, schlug Ted vor. »Ich bin ja hier fremd, wie du weißt.«